Punk in der DDR – Geralf Pochops „Untergrund war Strategie“
Geralf Pochop schaut zurück auf seine Zeit als Punk in der DDR. Kolumnist Sören Heim entdeckt ein faszinierendes Buch.
Punks in der DDR – das Thema ist schon mal interessant genug, dass ich mir das Rezensionsexemplar des Hirnkost-Verlages nicht entgehen lassen konnte. Untergrund war Strategie. Punk in der DDR: Zwischen Rebellion und Repression fängt allerdings etwas holperig an. Die früheste Kindheit, Reibereien mit bekloppten oder übereifrigen Lehrern: Alles wird von Anfang an in das Bild eines Kampfes des Einzelnen gegen das System integriert. Das trifft hier und da gut, hier und da allerdings auch nicht. Wirklich schwer wiegt aber die Inszenierung als Rebell der allerersten Stunde, einer, dem das dagegen Sein quasi in den Genen liegt. Denn: Exkulpiert der „geborene Rebell“ nicht die Mitläufer? Die, denen die Rebellion eben nicht in den Genen liegt? Erscheint so Widerstand nicht eher als Schicksal denn Entscheidung?
You could make a pun of that, said the White Queen… something like „The likeliness of rebellion is determined by your jeans“ (nach Through the Looking Glass)
Die Jeans der Margot Honecker
Danach aber nimmt das Buch ganz schnell Fahrt auf – und wirft auch das Bild vom schicksalhaften Widerstand rasch über den Haufen. Geralf Pochop berichtet von amüsanten und erschütternden Erfahrungen, wobei manche üble Erfahrung erst im Rückblick so wirklich witzig erscheinen dürfte. Jeans, oft billige Imitate von Westprodukten, sind das erste Objekt der Begierde, auf die sich das jugendliche Distinktionsbedürfnis des Noch-nicht-ganz-Punks richtet. Einmal soll Margot Honecker dessen Schule besuchen. Und die Schulleitung unternimmt alles, um zu verhindern, dass dieses Zeichen des Widerstandes während des Besuches an Schülern sichtbar wird. Allerdings:
Schließlich lachten wir laut und schallend und keiner konnte mehr damit aufhören. Die Direktorin kreischte mit furchteinflößender, sich überschlagender Stimme nach Ruhe. Doch selbst das konnte die ausgelassene Schülermenge nicht beruhigen. Frau Honecker war sichtlich irritiert und verstand Wohl die Welt nicht mehr. Unseren Lehrern und der Direktorin ging es in diesem Moment wahrscheinlich nicht Viel anders. Margot Honecker, die Bildungsministerin der DDR und Ehefrau von Erich Honecker, hatte sich, ganz im Trend der Zeit, jugendlich gekleidet und damit, anders als erwartet, die Herzen der Schüler der POS Rosa Luxemburg erobert. Sie trug eine Jeans!
Weiter erzählt Pochop von der Rezeption von Punkkonzerten zuerst im Umfeld der Blueser- und Kundenbewegung, dann in verschiedenen Kirchen, von den halb klandestinen Reisen zu Punktreffen und der Zeit anschwellender Repression. Obwohl die Informationen über den westlichen Punk spärlich sind, entwickeln sich die Szenen rückblickend überraschend parallel. Macht kaputt, was euch kaputt macht. Was im Westen gegen den Gleichklang aus Konsumismus, Zukunftsangst und inoffiziellem Konformitätsdruck zielte, richtet sich in der DDR gegen das Konsumverbot und inoffiziellen Konformitätsdruck. „Too much Future“ (so Pochop), statt No Future. Häuser werden besetzt, Friedensdemonstrationen besucht, Punks von Polizisten zusammengeschlagen. Zwar müssen die Punks im Osten gegenüber den Staatsorganen noch einmal deutlich vorsichtiger sein und zwischenzeitlich steht bereits das Outfit unter Strafe. Dennoch ähneln sich sogar die Rituale des Widerstandes – Verstecken ist nicht, die DDR Punks setzen auf Provokation durch kleine Nadelstiche:
Wir trafen uns eben immer vor den Gaststätten und hielten uns an keine sozialistische Regel mehr. Entweder rannten wir gleich in die Lokalität und setzten uns an einige der leeren Tische. Dass wir nichts bekommen würden, war uns zwar klar, aber die Kellner bekamen uns auch nicht raus. Sie schimpften, diskutierten und verwiesen auf ihre „Sie werden platziert“~Schilder. Aber wir gingen einfach nicht. Manchmal wurde die Polizei dazu geholt. Manchmal stellten wir uns nach ewigen Diskussionen vor die Eingangstür der besagten Kneipe und warteten auf die Platzierung. Na ja, nicht Wirklich. Wir nutzten unsere Zeit vor den Lokalen damit, jeden neuen Gast zu verprellen, indem wir allen schon von Weitem lautstark zuriefen, dass hier alles voll wäre. Anstellen sinnlos! (…)
Begeisterung überlagert Erschütterung
Wenn es allerdings das Ziel Pochops sein sollte, zu zeigen wie übel die DDR den Punks in ihrem Staat mitgespielt hat, gelingt das höchstens zum Teil. Ein heutiger Leser, der etwa mitbekommt, dass die Protagonisten länger als ein Jahr in einem besetzten Haus leben konnten, obwohl in der DDR doch aller Wohnraum zugeteilt wird, oder dass, als das Haus endlich entdeckt wird, keine Räumung folgt, sondern erst eine einfache Hausdurchsuchung und dann Wochen später für jeden einzelnen Bewohner das Angebot einer legalen Wohnung im Stadtzentrum vorliegt, dürfte sich eher verwundert die Augen reiben. Aber diese radikal individuelle Perspektive, die darauf verzichtet, mit dem einstigen politischen Gegner 30 Jahre später noch einmal richtig abzurechnen, ist letztendlich wohl ziemlich punk.
Das heißt nicht, dass Repression in Untergrund war Strategie keinen großen Raum einnimmt. Da gibt es regelmäßige Verhöre, absurde Kontrollen, Polizeigewalt. Und unter anderem einen sehr einschüchternden Anwerbeversuch Geralfs als IM durch die Stasi, samt Entführung in einen nahen Wald und schließlich eine halbjährige Haftstrafe aufgrund dubioser Anschuldigungen und abgekartertem Prozess. Am krassesten aber vielleicht sticht das Beispiel der Familie von Geralfs Freundin Dana heraus, die im beschaulichen Aschersleben wohnt. Das wird aufgrund der freundschaftlichen Besuche dreier Punks kurzerhand zur Punk-Hochburg erklärt und den Eltern (!) ein „Punkverbot“ auferlegt. Das heißt: Sollten sich jemals wieder Punks im Ort blicken lassen, werden die Eltern dafür bestraft.
Aber wer von der Punkszene nichts wusste, dürfte dennoch faszinierter sein von den Freiräumen, die sich in einem repressiven System auftaten als geschockt von den empfindlichen Strafen, die einige prominente Szenemitglieder trafen. Dazu tut natürlich auch der Tonfall des Buches sein Übriges: dieses anarchisch-heroische Auftrumpfen mit kaum geheimen Konzerten, Grenzübertritten, Provokationsaktionen gegen Polizei und Geheimdienst usw. Geralf Pochop inszeniert sich im Buch, wie sich Punks gern inszenieren, und das verkleinert für den Leser natürlich die Bedrohlichkeit eines Systems, das sich von minderjährigen Jugendlichen mit bunten Haaren regelmäßig auf der Nase herum tanzen lässt. „Krass, das ging?“ dürfte man bei der Lektüre mehr als einmal denken.
Sog und Grenzen der Erzählperspektive
Die radikal individualistische Perspektive ist erzählerisch die große Stärke des Buches, wächst sich so manchmal aber auch zu seiner Schwäche aus. Die Frage etwa, ob eine tiefere Verbindung zwischen der westlichen, anarchistisch-antikapitalistischen Punkbewegung und der östlichen, anarchistisch- antisozialistischen überhaupt existieren kann, hätte schon ein wenig tiefere Reflexion verdient. Auch Angaben wie zum Song Moscow von Wonderland:
Ob der Song wirklich verboten war oder ob er irgendwann Verboten wurde, weil alle DDR-Iugendlichen davon sprachen, dass er verboten sei, und ob er wirklich einen staatsfeindlíchen Text hat oder nicht, weiß ich bis heute nicht (…)
sollten, nachdem zuvor die Bedeutung dieses Verbotes hoch aufgehängt wurde, doch heute zu prüfen sein (Prüfung ergibt: 1 Jein, 2 Nein – oder nur mit viel Fantasie).
Nichts desto trotz, Untergrund war Strategie. Punk in der DDR: Zwischen Rebellion und Repression ist ein faszinierender Zeitzeugenbericht von erkämpften Freiheiten unterm Systemzwang, der auch heute, in einer Zeit des vor allem freiwilligen Konformismus, mitreißen dürfte. Wenn man von mehrtägigen Konzert-Exzessen in dunklen Kellern liest, von langen Sommernächten auf der Budapester Margareteninsel, dann vergisst man leicht, dass die nächste Arrestzelle nicht weit war.
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