Clemens Meyers absurde Literaturpreis-Beschwerde

Die Unzufriedenheit, die Clemens Meyer mit dem Deutschen Buchpreis geäußert hat sorgt weder dafür, dass die Qualität von Literatur wieder ernsthafter debattiert wird, noch rückt sie die tatsächlich prekäre Situation vieler Autorinnen und Autoren in den Blick. Kolumne von Sören Heim.


Neben vielen kritischen Posts habe ich jetzt auf Social Media auch schon häufiger gelesen, es sei doch schön, wenn einer so viel Selbstvertrauen habe wie Clemens Meyer und überzeugt sei, sein Buch sei das beste, und wenn der dann auch noch auf die prekären Bedingungen im Literaturbetrieb hinweise. So viel stimmt daran: Wenn man nicht überzeugt ist, ein geradezu notwendiges Werk in sich zu haben, müsste man eigentlich gar nicht schreiben, es sei denn aus finanziellen Gründen. Es gibt ja längst mehr Literatur, selbst längst mehr gute Literatur, als ein Mensch in seinem Leben lesen kann. Wer also aus Bedürfnis nach künstlerischem Ausdruck arbeitet und nicht einfach, um Geld zu verdienen, sollte von seinem Werk überzeugt sein.

Nur, wieso sich dann aufregen, dass man einen Buchpreis nicht bekommen hat? Zudem auch noch: den deutschen? Der ist doch in neun von zehn Fällen gerade Ausdruck davon, dass das Werk im besten Fall Mittelmaß ist, ein Zeitgeist-Thema aufgegriffen hat oder aus anderen Gründen der Jury- und Buchmarktpolitik gewählt wurde. Wer halbwegs weiß, wie der Markt funktioniert, wie Buchpreise funktionieren, und insbesondere wie ein Preis funktioniert, der nicht nur als Preis für herausragende Literatur sondern auch als Preis für Verkaufsförderung aufgestellt ist, kann doch nicht zugleich behaupten, für diese ganz besondere, einzigartige Literatur zu stehen, die vielleicht in einer perfekten Welt preiswürdig wäre, und dann auf den Deutschen Buchpreis schielen.

Aber selbst wenn ein solch perfektes Werk auf solch einen perfekten Preis träfe und ihn dann doch nicht bekäme: Es ist nicht erfrischend ehrlich, das eigene Werk aufzuwerten, indem man die tatsächliche Siegerin Martina Hefter doch zumindest implizit abwertet. Man schadet, wenn man auf diese arrogante Weise auftritt, nicht zuletzt auch dem Werk, um das es vorgeblich gehen soll. Denn über Themen, Stil und Komposition wird jetzt definitiv erst recht nicht gesprochen werden. Es wäre vielleicht etwas anderes, wenn ein Autor – und das könnte gern auch dieser Autor sein – irgendwann auf sein Leben zurückblickt und sagt: „Eigentlich finde ich, diesen und jenen Preis hätte ich irgendwann auch einmal verdient gehabt.“ Und natürlich dürfen Schriftstellerinnen und Schriftsteller sich auch als Literaturkritiker betätigen. Aber dann doch bitte in der Sache und nicht im Kontext eines direkten Wettkampfes.

Und nein, ich kann dem Autor auch nicht zugutehalten, wie es einige Leute z.B auf Facebook tun, dass er endlich mal auf die prekären Arbeitsbedingungen von Autorinnen und Autoren hingewiesen hat. Wenn man das machen möchte, macht man das anders: Wenn Meyer dahingehend wirklich etwas unternehmen wollte, hätte er – der nach allem, was ich über Lese-Honorare von AutorInnen seiner Klasse weiß und angesichts der zahlreichen Literaturpreise einschätzen kann, zu den besserverdienenden Autoren gehören sollte – vielleicht mal einen Vorschlag machen können, wie man sich in diesem prekären Sektor zumindest gewerkschaftsähnlich organisieren könnte, und wie die breiten Schultern der Stars dabei helfen könnten, auch die Schwächeren, die oft Glück haben, wenn sie mit ihrer Literatur über den KSK-Mindestbetrag kommen, über Wasser zu halten. Denn das Buchpreis-Geld, mit dem Meyer hofft, Schulden abzubezahlen, würde für viele Künstlerinnen und Künstler, nach dem, was über deren mittleres Einkommen bekannt ist, für zwei bis drei Jahre reichen müssen.

Vor allem, zuletzt: Clemens Meyer!? Und dann auch noch mit einer solch erbärmlichen Begründung, die letztlich darauf hinausläuft, dass unglaublich viel Arbeit und unglaublich viel Text in diesem Buch steckt – noch vulgärer heruntergebrochen: Das Buch ist dick!?

Meyer hat ja durchaus bereits einmal so ein dickes Buch vorgelegt, das einfach nur möglichst viele Themen durchkaut, dabei, wie immer beim heutigen auf das Massenpublikum zugeschnittenen Modernismus mit Handbremse Joyce, Dos Passos und andere unverdaut auf seinen Gegenstand angewandt. Am Ende kommt im besten Falle ein passagenweise interessantes epigonales Werk heraus.

Meyer scheint einen „Blut, Schweiß und Tränen“-Begriff von Literatur zu vertreten. Die einfache Frage „Ist es auch schön?“ scheint er nicht zuzulassen. Nun heißt „schön“ nicht gefällig, heißt „schön“ nicht einfach angenehm. Schönes kann hochkomplex sein, ästhetisch begriffen Schönes kann durchaus das Schmerzlichste und Brutalste enthalten, kann verstörend sein. Aber nur weil etwas kompliziert ist, viel Arbeit drinsteckt und viele Themen verwurstet sind, ist ein Werk noch lange nicht schön, ist ein Werk kein gelungenes Kunstwerk. Und dann wiederum: Ein rein gelungenes Kunstwerk ist nicht annähernd eine Garantie für einen der größeren Literaturpreise. Gerade bei einem solchen gehört viel Glück dazu, einen Preis zu erringen.

Ich habe aufgrund all der mit Stolz präsentierten Mittelmäßigkeit vor drei Jahren endgültig damit aufgehört, die BuchpreiskandidatInnen zu lesen. Vielleicht ist Meyers Werk tatsächlich endlich sein großes Meisterwerk geworden, vielleicht wurde ihm auch die Titelträgerin ganz zurecht vorgezogen. Durch die Arroganz, mit der der Autor diese „Debatte“ eröffnet hat, ist sichergestellt, dass das Thema niemals literaturkritisch besprochen werden wird, sondern rein persönlich. Fast sicher sein kann man derweil, dass die besten Bücher des Jahres weder auf der Shortlist noch auf der Longlist standen.

Sören Heim

Sören Heim ist Journalist, Übersetzer und Schriftsteller. Er ist Träger des kosovarischen Preises für moderne Dichtung „Pena e Anton Pashkut“ (Stift des Anton Pashku) und des Sonderpreises „Favorit von Daniel Glattauer“ der art.experience 2014. In HeimSpiel schreibt Sören Heim mit Heimvorteil zu den Schnittpunkten von Kunst, Kultur und Gesellschaftspolitik. Er beleuchtet die unerwartete Bedeutung ästhetischer Fragestellungen für zeitgenössische Debatten, die mit Kunst auf den ersten Blick kaum Berührungspunkte haben. Und wo immer, sei es in der Politik, sei es in der Ökonomie, sei es gar im Sport, er auf geballten Unsinn und Unverstand trifft, wagt der Kolumnist auch das ein oder andere Auswärtsspiel. Bisher erschien die Kolumne HeimSpiel im Online-Debattenmagazin The European. Daneben veröffentlicht Heim in mehreren Literaturzeitschriften vornehmlich Lyrik und dichte Kurzprosa, und bloggt auf der eigenen Homepage aus seinem Zettelkasten. Monographien: Kleinstadtminiaturen: Ein Roman in 24 Bildern. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154181.Cover nur Front Gewogene Worte: Nachdichtungen aus dem Chinesischen. edition maya: 2016 – ISBN: 978-3930758463.cover kathaStrophen. Experimente in Rhythmus und Melodie. Chiliverlag: 2017 -ISBN: 978-3943292541.FrontCover 2_bleu Algenhumor: Gedichte für das dritte Jahrtausend. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154228.algen Audio-Exklusiv: La vie! La jeunesse! – Hörmordkartell 2017

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