Verleiht Michael Jordan den Physik-Nobelpreis!

Vier Jahre nach dem Dylan-Stunt schlägt Kolumnist Sören Heim eine weitere unorthodoxe Nobelpreisentscheidung vor.


Ich hielt damals bekanntlich nicht viel von der Idee, den Literaturnobelpreis Bob Dylan zu verleihen. Dafür musste ich einige virtuelle Prügel einstecken, wobei ich mir noch immer nicht sicher bin, ob überhaupt irgendein Kritiker das zentrale Argument beachtet hat.

Rückblick auf die Dylan-Debatte

Es ging mir nicht darum, dass Dylan kein guter Musiker oder Songwriter sei. Obwohl ich zugegebenermaßen finde, es gibt einige, die man ihm mit Recht vorziehen kann. Aber entscheidend war: Da meint ein Komitee, das sich offenkundig kaum mit Songwriting und den Unterschieden zwischen von Anfang an für Musik geschriebenen Texten und Lyrik auseinandergesetzt hat, und von dem auch relativ klar ist, dass es nicht vor hat, sich für die Zukunft diese Expertise zu erarbeiten, um theoretisch regelmäßig auch Musiker auszeichnen zu können, zwischendurch auch mal einen Songwriter aufs Podest heben zu müssen. Für diesen Tabubruch hat man sich auch weiterhin keine Gedanken gemacht, ob das dann wirklich der beste Songwriter sein sollte, den man diese besondere Ehre zuteil werden lässt, sondern man hat sich de facto Dylan ausgesucht, weil dieser der konsensfähigste Songwriter ist, und das ganze als Publicity-Stunt die größtmögliche Reichweite erzeugen würde. Ich sagte es damals, ich sage es heute: Der Nobelpreis wurde nicht Bob Dylan verliehen. Der Nobelpreis verlieh sich Bob Dylan. Das ist auch deshalb traurig, weil man dem Preis in seiner jüngeren Geschichte immerhin eins zugute halten kann: Es wurden regelmäßig literarisch interessante, oft aber gar nicht so berühmte Autoren ausgesucht. Der Nobelpreis für Literatur ist bis heute kein Bekanntheitspreis.

Grenzfälle der Newtonschen Physik?

Aber gut, der Damm ist gebrochen und es gibt sicher Schlimmeres. Nun wäre es vielleicht an der Zeit für weitere kreative Nobelpreis-Entscheidungen. Michael Jordan, wahrscheinlich der größte Basketballspieler und vielleicht der größte Sportler aller Zeiten, zudem der Sportler, dessen Karriere praktisch genau meine Kindheit und Jugend umspannte, ist dank der zehnteiligen Netflix Doku The Last Dance wieder in aller Munde. Ich habe das letzte halbe Jahr zahlreiche (übrigens oft sehr starke) YouTube Dokumentationen über den Basketball der 80er und 90er angesehen, und mich gefragt: Können Physik-Nobelpreise eigentlich wirklich nur für trockene Formeln und Dinge, die irgendwann mal irgendwer in einem Buch aufgeschrieben hat, das kaum jemand wirklich lesen wird, verliehen werden? Oder nicht zur Abwechslung auch mal an einen, der die Grenzbereiche der praktischen Anwendbarkeit der klassischen Newtonschen Physik in einer Weise ausgelotet hat, in der nebenbei doch mindestens ein paar neue Naturgesetze entdeckt worden sein sollten? Ernsthaft: Wie oft kann man innerhalb einer Sprungbewegung antäuschen, zum Korb zu gehen, zu passen, und im letzten Moment den Ball doch noch irgendwie in die Luft werfen, wo er blind sein Ziel findet? Ich muss sagen, das hat mich am Sport immer besonders fasziniert. Ob bei mir selbst oder bei anderen: Welche komplizierten physikalischen Berechnungen oder besser Abschätzungen Menschen fähig sind, durchzuführen, die der Physikunterricht in der Schule mit seinen paar einfachen Formeln geradezu in den Wahnsinn treiben konnte. Aber dann: Den Ball vom Eckpfosten ohne Feindkontakt scharf ins kurze Eck treten. Einen Handball nach dem Sprungwurf so aufsetzen lassen, dass er nach dem zweiten oder dritten (!) Aufsetzen am Torwart vorbei ins Tor gezirkelt ist. Oder eben diese verrückten Aktionen mit Körper und Basketball.

Bälle als Welle und Teilchen

Die Nobelpreisverleihung an Jordan würde sich in mehrfacher Weise vor der an Dylan auszeichnen. Erstens verliehe hier eine Jury, die sich tatsächlich mit Physik auskennt, den Preis einem großen praktischen Physiker. Zweitens dürfte es bei Jordan kaum Streit geben. Während der Dylan-Entscheid sich ernsthaft mit den Fragen konfrontiert sehen sollte – Warum nicht Cohen? Warum nicht Joni? Warum nicht Cale? Warum nicht Cave? Warum nicht Tori Amos? – und wahrscheinlich noch einigen guten Händen voll weiterer berechtigter Einwände, dürften sich auf Jordans herausragende Stellung als Ballphysiker die Meisten einigen können. Vielleicht bringt man noch Maradona oder Messi ins Spiel, vielleicht noch Magic Johnson. Mancher Deutsche wird die Chance nutzen wollen, um mal wieder über Mario Basler zu reden. Aber im Großen und Ganzen ist die Sache bei Jordan doch eindeutiger als bei Dylan. Also her mit dem Nobelpreis. Es heißt doch sowieso ständig, die Physik entdecke seit gut 100 Jahren nichts wirklich bahnbrechend Neues mehr. Und da ist einer, der nahelegt, dass man quantenphysikalische Betrachtungsweisen auch für makroskopische Objekte heranziehen muss – Der hat das Ding doch verdammt nochmal nun wirklich verdient!

PS: The Last Dance: Ansprechend inszeniert, wenig Neues. Und wer Jordans Größe als Spieler adäquat einschätzen möchte, findet auf YouTube tatsächlich deutlich Besseres.

Sören Heim

Sören Heim ist Journalist, Übersetzer und Schriftsteller. Er ist Träger des kosovarischen Preises für moderne Dichtung „Pena e Anton Pashkut“ (Stift des Anton Pashku) und des Sonderpreises „Favorit von Daniel Glattauer“ der art.experience 2014. In HeimSpiel schreibt Sören Heim mit Heimvorteil zu den Schnittpunkten von Kunst, Kultur und Gesellschaftspolitik. Er beleuchtet die unerwartete Bedeutung ästhetischer Fragestellungen für zeitgenössische Debatten, die mit Kunst auf den ersten Blick kaum Berührungspunkte haben. Und wo immer, sei es in der Politik, sei es in der Ökonomie, sei es gar im Sport, er auf geballten Unsinn und Unverstand trifft, wagt der Kolumnist auch das ein oder andere Auswärtsspiel. Bisher erschien die Kolumne HeimSpiel im Online-Debattenmagazin The European. Daneben veröffentlicht Heim in mehreren Literaturzeitschriften vornehmlich Lyrik und dichte Kurzprosa, und bloggt auf der eigenen Homepage aus seinem Zettelkasten. Monographien: Kleinstadtminiaturen: Ein Roman in 24 Bildern. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154181.Cover nur Front Gewogene Worte: Nachdichtungen aus dem Chinesischen. edition maya: 2016 – ISBN: 978-3930758463.cover kathaStrophen. Experimente in Rhythmus und Melodie. Chiliverlag: 2017 -ISBN: 978-3943292541.FrontCover 2_bleu Algenhumor: Gedichte für das dritte Jahrtausend. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154228.algen Audio-Exklusiv: La vie! La jeunesse! – Hörmordkartell 2017

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