Der Literatur-Nobelpreis war schon immer ein politischer Preis…
… findet Kolumist Sören Heim. Die Trennung von Autor und Werk ist literaturkritische Notwendigkeit, keine akademische Schrulle. Doch wer sie noch nie respektiert hat, kann sie nicht jetzt anführen.
Normalerweise wäre mir wichtig, klarzustellen: Gute Kunst wird nicht zu schlechterer Kunst, weil der Autor politisch fragwürdige Haltungen vertritt. Das kann jeder bei sich selbst testen. Einfach mal kurz vorstellen, bei dem/der AutorIn des Lieblingsbuchs stellte sich plötzlich heraus, er oder sie sei ein veritables Arschloch. Das ist eigentlich relativ wahrscheinlich, die Welt ist voller Arschlöcher. Etwa vertreten laut Mitte-Studie durchgehend etwa 40 Prozent der Bevölkerung antisemitische Positionen (und die notorische Israelfeindschaft ist da wohl noch nicht mal ganz eingepreist). Wird der Lieblingstext dadurch schlechter? Ehe Sie „ja“ sagen: Kann das wirklich sein? Dass Sie einfach die 10, 20, 50 Jahre, die Sie diesen Text geliebt haben, von vorne bis hinten durchanalysiert, tausendfach weiter empfohlen, nicht gemerkt haben, was für ein Arschloch-Text das ist? Nein, natürlich nicht. Fehlerbehaftete Menschen können wunderbare Kunst schaffen. Sicher, es mag angeraten sein, wenn ich etwas Neues über einen Autor lerne, den Text noch einmal kritisch darauf abzuklopfen, ob sich das im Text nicht doch niedergeschlagen hat. Aber prinzipiell sind Autor und Werk in der Analyse des Werkes zu trennen. Das ist keine Haltungsfrage, auch keine akademische Verstiegenheit, sondern leicht praktisch nachweisbar. Es wäre sonst geradezu unverantwortlich, Autoren überhaupt zu lesen, über deren Leben und Haltung wenig bekannt ist. Andererseits kann von niemandem verlangt werden, eine solche Trennung dann auch persönlich im Verhältnis zum Text aufrechtzuerhalten, wenn ein Autor menschlich/politisch eben das Arschloch raushängen lässt. Und ob ich Bücher (um drastisch zu werden) zB eines Mörders dann auch noch weiterempfehle, ist durchaus eine Haltungsfrage, die nicht locker-flockig mit der „Trennung von Autor und Werk“ abqualifiziert werden kann. Was gefeiert wird, entfaltet nunmal im Gesamtpaket Vorbildwirkung, und nicht isoliert „als Werk“.
Missgriff Handke, verlogene Begründung
Viel Vorrede, um zu sagen: Im Falle des Nobelpreises für Peter Handke hat sich das Komitee selbst zuzuschreiben, dass nun vor allem über Politik gesprochen wird und der Literaturnobelpreis – schon wieder – in Frage gestellt wird.. Zumal, wie Jürgen Brokoff bereits 2010 zeigte, in Handkes Fall die Politik tatsächlich tief zumindest in einen Teil des literarischen Werkes eingeschrieben ist. Doch der Nobelpreis war sowieso noch nie auch nur ansatzweise ein ernsthafter Literaturpreis. Er wird an jene verliehen, die zumindest im Großen und Ganzen auf der „richtigen“, vage-humanistischen, Seite stehen; falls die zumindest irgendwann mal irgendetwas verfasst haben, das man mit einigem Recht als Literatur bezeichnen kann (sogar an Winston Churchill!). Wie man da auf die Idee kommen konnte, ausgerechnet Handke auszuwählen, das verwundert doch sehr. Ja, wäre es beim Nobelpreis für Literatur schon immer in erster Linie um Textkomposition, um Sprachgestaltung, gegangen, Handke wäre zumindest keine ganz falsche Wahl. Nicht falscher als mancher vorherige Preisträger.
Aber nun – der Nobelpreis für Literatur ist eben kein Literaturpreis, sondern ein politischer Preis. Da mag der ständige Sekretär Mats Malm nun auch erklären “It is not in the Academy’s mandate to balance literary quality against political considerations,” – das ist nichts weniger als eine Lüge. Schon im Selbstverständnis steht es: Alle Nobelpreise sollen „denen zugeteilt werden, die […] der Menschheit den größten Nutzen geleistet haben“, und der Literaturpreis im Besonderen jenem, der „das Vorzüglichste in idealistischer Richtung geschaffen hat“.1
Vielleicht doch lieber abschaffen?
Und dann muss man die Wahl von ausgerechnet Handke doch als politisches Statement sehen. Und das wäre, neben Handkes bekanntem Hinwegschreiben über die Opfer der Massaker von Srebrenica und Višegrad (vgl. Brokoff, s.o., eine ausführlichere politische Einordnung hier), auch nach dem Skandal um sexuelle Belästigungen, wegen dessen die Akademie im vergangenen Jahr den Preis ausfallen ließ, ein mindestens unbedachtes, eigentlich aber doch geradezu bösartiges Signal. Wenn die bisherigen willkürlichen Vergaben und der Skandal die Abschaffung nicht bereits rechtfertigten, nach dem misslungenen Comeback wäre es an der Zeit. Vielleicht besteht ja die Möglichkeit, mit neuer Besetzung dann einen klar geregelten „Autorenpreis für Menschenrechte“ daraus zu machen, oder – unwahrscheinlich – einen tatsächlich auf ästhetische Fragen konzentrierten Literaturpreis. Falls nicht: Die Welt ist voll von bedeutenden Literaturpreisen, die in der Vergangenheit, was die Kunst betrifft, deutlich treffsicherer waren als der Nobelpreis.
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1gemeint ist hier nicht die philosophische Richtung des Deutschen Idealismus.
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