Späte Verteidigung von Ultima 9
Zum zwanzigsten Geburtstag würdigt Kolumnist Sören Heim ein zu Unrecht verfemtes Spiel.
In diesem Jahr wird ein Spiel zwanzig Jahre alt, das bei Erscheinen erst enthusiastisch willkommen geheißen, mit der Zeit gehasst und schließlich fast vergessen wurde. Dabei hat Ultima 9 Acension, geplant als großer Abschluss der dritten Trilogie der weltweit wohl beliebtesten Rollenspielreihe aller Zeiten, durchaus vieles richtig gemacht. Und einiges falsch. Doch der spätere Hass heftete sich an Aspekte, die bei Erscheinen gar nicht so wichtig genommen wurden.
Schande für die Serie?
Ultima 9, sagen heute die, die sich noch an das Spiel erinnern, sei eine Schande für die Serie. Ascension habe sowohl die Spielmechanik als auch die Idee von Ultima pervertiert. Moniert werden vor allem: Die Amnesie des Hauptcharakters „Avatar“, der sich viele Konzepte aus der Serie noch einmal erklären lässt, die relativ wenigen beeinflussbaren Charaktereigenschaften, die das Spiel eher zu einem Action-Adventure machten, die misslungene Story und nicht zuletzt auch die geringe Größe der Spielwelt. Bei Erscheinen kritisiert wurden zudem der Hardware-Hunger der Engine und die wirklich unerträglich vielen Programmierfehler, die das Spiel bis zum Erscheinen der allerdings schnell nachgereichten Patches unspielbar machten.
Die Kritik an der „Amnesie“ hat coqdiddles in einem ausführlichen Artikel (leider mittlerweile offline) schon als unlösbaren Konflikt zwischen Hardcore-Gamern und dem angepeilten breiteren Markt entschlüsselt. Die Amnesie war allerdings für sich genommen auch nicht verrückter als manch andere Umdeutung der Geschichte der Serie bis dahin. Lücken im Plot hatten alle Ultimas, die ersten drei waren sogar vor allem ein verrücktes Konglomerat aus Sci-Fi und Fantasy-Topoi; das frühe 3D-Meisterwerk Ultima-Underworld folgte einer billigen „Finde die Prinzessin“-Geschichte, und selbst noch der hochgelobte siebte Teil schwächelte bei der von Anfang an gelösten Kriminalgeschichte, führte herrlich unpassende, potenziell das Spiel brechende Gadgets wie den fliegenden Teppich ein und ließ die mittelalterliche Heldengruppe ein Raumschiff auf einem Bauernhof finden (Natürlich: Ein Wing-Commander-Easteregg). Und was das Rollenspielsystem betrifft: Wer wie ich mit den Spielen der DSA-Reihe groß geworden ist, fand die Charaktergenerierung in Ultima wohl schon immer unterkomplex. Wirklich glänzte Ultima nur beim Magiesystem, und gerade das war oft in der Reihe so schlecht zu bedienen, dass man Ultima 9 zugute halten muss, die metaphysische Komplexität dahinter beibehalten, die Bedienung aber deutlich vereinfacht zu haben.
Der Hass auf Ultima 9 speist sich auch aus einer Verklärung der Vorgänger. Dabei wird vergessen, dass das Rollenspiel in Ultima niemals von komplexen Statistiken lebte, sondern davon, tatsächlich die Rolle des Avatars zu spielen. Und das gelang auch im Soloabenteuer Ascension dank der interaktiven 3D-Welt, der tatsächlich im Vergleich zu früheren Titeln sogar relativ kohärent erzählten Geschichte, der stimmungsvollen Musik und vieler weiterer Details gut.
Was Ultima 9 richtig machte
Ultima 9 war zwar nicht der erste jener Titel, die man heute (3D) Open-World nennt – Underworld und die frühen Elder-Scrolls waren auf diesem Gebiet schon erfolgreich -, doch es war wahrscheinlich der erste moderne jener Titel. Britannia war bei genauer Betrachtung nicht sonderlich groß, erweckte aber durch stark unterschiedliche Örtlichkeiten und passende Designs sowie geschickte Überleitung von Ort zu Ort durchaus den Eindruck einer lebenden Welt. Britisches Mittelalter in Britain, Elfische Baumhäuser in Yew, Klein-Venedig in Trinsic, Moonglow, das überall Magie ausatmet. Was die Wiedererkennbarkeit und artistische Durchdachtheit betrifft dürfte sich Ultima 9 bis heute auf dem Gebiet der Rollenspiele höchstens noch mit Morrowind vergleichen lassen (dessen Welt auch eher klein war). Oblivion und Skyrym etwa mit ihren generischen Weiten verschwimmen dagegen zu einer Soße. Die Geschichte um die geschändeten Schreine verband die verschiedenen Städte geschickt und schaffte es sogar halbwegs, eine romantische Nebenhandlung zu integrieren, was Spielen bis heute schwer fällt. Dennoch lässt die Handlung genug Raum, die Welt auf eigene Faust zu erkunden, und man konnte erstaunlich viel Zeit damit verbringen. Britannia war auch dahingehend gut designt, dass es viele Geheimnisse barg und wenig leeren Raum, ohne dass es geradezu überfüllt wirkte. Und die Dungeons rangierten, was klug ausgedachte Rätsel betrifft, ein gutes Stück vor der damaligen Konkurrenz. Wobei einige vielleicht etwas zu gut ausgedacht waren, man sich für den Lösungsweg all zu sehr in den Kopf der Designer versetzen musste. Zuletzt war nicht nur die Grafik damals atemberaubend, sie hat sich auch ihren Charme bewahrt. Denn die Entwickler rückten Britannia nie mit dem Anspruch des Ultrarealismus auf den Leib, sondern von Anfang an mit dem Ziel, eine etwas andere, wie gezeichnet wirkende, Märchenwelt zu schaffen. Das wirkt heute viel weniger angestaubt als zur gleichen Zeit entstandene Hochglanzprodukte.
Zwanzig Jahre nach dem Erscheinen könnte also ein guter Moment sein, Ultima 9 noch einmal eine Chance zu geben. Mittlerweile ist das Spiel umfassend gepatcht, sollte auf den meisten Rechnern laufen, und Erweiterungen wie Beautiful Britannia versprechen noch einmal eine umfassende Verschönerung der Welt. Und: Gerade weil es mit seinen vielen Erklärungen auf neue Spieler zielt, könnte Ultima 9 auch gut als Einstieg in die ganze Reihe dienen. Man muss dann eben damit zurecht kommen, dass in früheren Installationen Ultima ganz anders funktioniert. Aber ehrlich: Das Problem hat man auch, wenn man die Serie von vorne nach hinten spielt.
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