Nach Christchurch
Gastkolumnist Horst Kläuser fragt nach den Quellen des Hasses und denkt über unsere Toleranz für Gewalt, Gewaltdarstellungen in Filmen und Computerspielen nach.
49 Tote, etwa gleich viele Verletzte. Muslime, die beten wollten. Gemetzelt, barbarisch massakriert. Es ist furchtbar, sinnlos, schmerzend. Ein mutmaßlicher, reueloser Täter, der bis an die Zähne bewaffnet, seinen eigenen Krieg gegen den Islam führt. So weit, so wenig überzeugend.
So naheliegend die These auch ist, dass hier ein islamophober Mann seine Wut auf die vermeintliche „Überfremdung“ brutal auslebt, so wenig hinreichend ist sie.
Sein Hass hätte sich vermutlich auch auf Juden richten können, gegen Behinderte, vielleicht gegen Reiche, Homosexuelle, mag sein Obdachlose, Schwarze, Asiaten, Frauen … alle diese Gruppen sehen sich irgendwo Verfolgungen und falschen Anschuldigen ausgesetzt. Das zieht sich durch die Geschichte und es mag manchmal nur ein falsches Wort, eine unglückliche Begegnung sein, die einen labilen Menschen gegen den einen oder anderen aufbringt. Als Verstärker wirken heute dann die schier unendlichen Möglichkeiten für seine (Vor-)Urteile im Internet Bestätigung und Gleichgesinnte, vor allem aber angebliche Gründe zu finden. Ob diese übertrieben, gefälscht oder schlicht erfunden sind, ist dabei eher unerheblich. Wer „Futter“ für seine kruden Ideen sucht, findet es. Spielend.
Daran trägt freilich das Internet als solches keine Schuld. Es ist zunächst nur ein Medium, das Kommunikation schafft und bislang unbekannte Verbindungs- und Verknüpfungsmöglichkeiten schafft. Auch über ein x-beliebiges Telefon kann ich der alten Mutter zum Geburtstag gratulieren oder einen Mord verabreden … Auch eine Zensur des Internets ist natürlich keine Lösung: China, Nordkorea, die Golfstaaten und in zunehmenden Maße Russland versuchen das – Gewalt, Mord und Hass gab und gibt es auch dort.
Vielleicht sollten wir mehr auf den Hass als solches schauen, wodurch er entsteht und wie er größer wird. Vielleicht gibt es sogar Katalysatoren in der der Gesellschaft, die Hass beflügeln und wie eine „Anleitung“ wirken.
Wir werden gewiss in den nächsten Tagen in zum Teil ernüchternder Art und Weise erfahren, wie der Massenmörder von Christchurch gelebt hat, was er vor der Tat machte, wie er radikalisiert wurde. Politik, das Gefühl der weißen Überlegenheit mögen eine Rolle gespielt haben, eine verkorkste Jugend, eine gescheiterte Beziehung zu einer Muslima – was weiß ich. Aber vielleicht ist es sehr viel banaler. Ich möchte fast wetten, dass herauskommt, in welch hohem Maße (bis zur Sucht?) er Egoshooter-Spiele konsumiert und gespielt hat. Wenn Realität Fiktion kopiert, dann hier: ein Arsenal beliebiger, tödlicher Waffen, fast unbegrenzte Mengen an Munitionsnachschub und ein idiotisches „Narrativ“ (Manifest), das die Taten begründen soll, eine Helmkamera (noch dazu live) – dies alles ist in vielen, vielen frei verfügbaren Egoshooter-„Spielen“ zu erleben – immer mit dem glühenden, Kugeln spuckenden Gewehrlauf im Bild. So wie in Christchurch.
Wann wird aus der Lust am fiktiven Töten, den immer höheren Punktzahlen der Wunsch, es den animierten Helden in realiter gleichzutun?
Längst gibt es im Netz und auf Großveranstaltungen, eGames, Standing Ovations für diejenigen, die die meisten Punkte, „kills“, Tötungen erzielt haben. Fans rotten sich um den geschickten Krieger, der Gegner niedermäht.
Der Massenmörder wird zum Helden. Das ist obszön.
Und erste Meldungen berichten, dass der Mörder von Christchurch am Leben bleiben wollte, damit er berühmt würde und seine Ansichten Verbreitung fänden. Seine 15 Minuten „Ruhm“.
Ja, wir müssen über Islamophobie, Antisemitismus, Xenophobie, Homophobie und andere Feindseligkeiten gegen Menschen reden. Auch über den viel zu einfachen Zugang zu Waffen.
Wir müssen aber insgesamt auch über unsere Toleranz für Gewalt, Gewaltdarstellungen in Filmen und Computerspielen sprechen. Menschen zu verletzen, zu quälen, zu töten, ist weder Spaß noch in irgendeiner Weise unterhaltsam. Sie gehören geächtet und auch Künstler, Regisseure, Schauspieler, Produzenten und Programmierer müssen sich die Frage gefallen lassen, ob alles, was praktisch und technisch möglich ist, realistisch aussieht und als „realitätsnahe Darstellung“ und „ungeschminkte Wahrheit“ verkauft wird, tatsächlich unsere Gesellschaft nach vorn bringt.
Und man mache sich nichts vor. Nicht nur Blut, Tötungen und Verletzungen sind Gewalt: Worte und Anschuldigungen, dauerhaft wiederholte Diskriminierungen und Insultationen gegen Minderheiten sind ebenso Gewalt. Zu sehen auf beliebigen Seiten rechts- und linksradikaler Menschen hierzulande und rund um uns herum.
Gewalt nährt Hass.
Und Hass ist ein Krebs in jeder Gesellschaft – wir sollten ihn nicht glorifizieren!
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