Wollt ihr Harry Potter zum bedeutendsten politischen Roman unserer Zeit machen?
Autokraten und Möchtergern-Autokraten, die an die Macht drängen und dabei oft wie Clowns wirken. Ein Establishment, das sich einlullen lässt oder dem Machtwechsel nicht ganz abgeneigt ist. Die Realität imitiert in besorgniserregender Weise Harry Potter, findet Kolumnist Sören Heim.
Harry Potter taugt eigentlich nicht wirklich als Parabel für den Aufstieg einer Diktatur. Schon gar nicht eine, die relativ viel mit dem Nationalsozialismus gemein hat. Zu unernst wirkt das Ganze, zu regelmäßig lassen sich Zauberhitler und seine Schergen von kleinen Kindern auf der Nase rumtanzen. Joanne K. Rowling war nicht besonders gut darin, von der rustikal-fröhlichen Kindergeschichte in ein tatsächlich das Gefüge der Gesellschaft untersuchendes Szenario überzuleiten. Ein allerdings schwieriges, wie ich bereits schon einmal argumentierte, vielleicht fast unmögliches Unterfangen.
Mrs. Rowling, die Prophetin?
Doch die Realität tut im Moment alles, damit Rowling nicht nur als Autorin eines erfolgreichen Kinderbuches in Erinnerung bleibt, sondern tatsächlich als Prophetin, die zu einer Zeit, als andere das Ende der Geschichte fast realisiert sahen, den Aufstieg eines neuen Faschismus prophezeite (der Plan zu Harry Potter soll ja seit spätestens 1997 gestanden haben, der letzte Roman erschien 2007, noch ehe die „Great Recession“ manifest wurde).
Denn auch die neuen Nasen haben etwas Clownesques an sich, wirken oft unglaublich inkompetent, sind dabei erfolgreich, und werden trotzdem von ihrem Umfeld in der Breite noch immer nicht ernst genommen (bzw.: Man beschwört das Ernstnehmen mittlerweile und ist ansonsten relativ hilflos).
Gewiss: Die Machtübernahme dürfte, anders als in Harry Potter, nicht durch Gewalt, sondern demokratisch erfolgen, woraufhin diese als Rechtspopulisten verharmlosten Parteien Mittel ergreifen, die Macht nicht mehr aus der Hand geben zu müssen. In den Reaktionen auf das Phänomen zeigen sich aber doch viele Gemeinsamkeiten: Ableugnen, klein reden, schon einmal vorsichtig abtasten, wie es sich in der neuen Ordnung leben ließe, versuchen, die Welt durch Kopie der rechten Barbareien vor den Rechten zu retten… Bis hin zur ständig überhörten Mahnung, den Beamten- und Sicherheitsapparat nachhaltig gegenüber Sympathisanten und Parteigängern des Rechtsradikalismus zu imprägnieren, wirkt es immer wieder, als wolle die Realität die Farce, die der politische Plot von Harry Potter ist, nicht nur wiederholen, sondern überbieten.
Grund für konservative Rechtsaußen
den neuen Rechten entgegen zu treten
Und das sind doch wirklich schreckliche Aussichten: Schlimm genug, dass Rechtsradikale, Sympathisanten im Wartestand, Teile der bürgerlichen Mitte sowie einige „Linksnationalisten“ die Demokratie sturmreif schießen. Aber wollen wir wirklich Harry Potter zum bedeutendsten politischen Roman der letzten Dekaden adeln?
Das sollte doch nun wirklich selbst dem größten Reaktionär, der sich mit den neuen Rechten sicher irgendwie arrangieren würde, Sorge bereiten: Wollt ihr wirklich, dass in zwanzig Jahren, wenn Onkel Bernd abgedankt hat und Gauland vielleicht wieder unter demokratischer Kontrolle steht, Harry Potter zur Pflicht-Schullektüre wird? Diese multikulturelle Toleranzparabel mit allerlei unchristlicher Zauberei?
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