Von Büchern und Joghurt
Kolumnist Sören Heim nimmt sich des beim Deutschen Buchpreis aufgeworfenen Vergleichs an.
Dass Bücher nicht wie Joghurt seien, das scheint nach der Buchpreisverleihung zum geflügelten Wort zu werden. Das stimmt, aber vielleicht auch in ganz anderer Weise, als es jetzt (nämlich implizit als Parole zur Rettung des Buchmarktes) gebraucht wird.
Joghurt, selbst der beste, ist weg, wenn ich ihn genossen habe und will ich etwas Ähnliches nochmal erleben, brauche ich einen neuen. Das gilt für Bücher nicht: Als physische Reproduktionen sind sie sehr langlebig, ihr geistiger Inhalt ist beinahe unsterblich. Und es gibt unglaublich viele gute Bücher. Es wird zwar größtenteils Mist geschrieben, aber es entstanden dabei doch schon viele Meisterwerke, und jedes Jahr kommen ein paar neue hinzu, so dass man geradezu einen Overkill dieser „existenziellen Erfahrungen“ erleben kann, mit denen Buchpreisträgerin Mahlke die Bücher von Joghurt absetzt.
Und gerade diese Meisterwerke kann man ja wirklich alle paar Wochen bis Monate wieder zur Hand nehmen. Hätte ich nicht Spaß daran, Literaturkritiken zu verfassen, wollte ich mich wirklich nur an die richtig großen Werke halten, ich käme wahrscheinlich mit grob 100 Texten gut durchs Leben (20-40 Klassiker, der Rest Meisterwerke der Moderne, einige wenige Lyrikbände bzw. einzelne große Gedichte).
Dass nun zugegebenermaßen die breite Masse, in der die Meisterwerke all zu oft zu ersticken scheinen, oft genug auch erst die Möglichkeit des Erscheinens bzw. Wahrgenommenwerdens dieser Meisterwerke unter Marktbedingungen darstellt, ist ein Konflikt, mit dem der Literaturmarkt zu ringen hat. Aber formal betrachtet sind Bücher tatsächlich vor allem darin nicht wie Joghurt: Man braucht immer seltener wirklich neue.
Die meisten n e u e n Bücher allerdings sind gerade nicht so. Sondern ziemlich genau wie unzerstörbarer Joghurt. Über dieses Horrorszenario gibt es auch ein Buch… nunja, eher eine kleine Geschichte:
Es war einmal ein armes, frommes Mädchen, das lebte mit seiner Mutter allein und sie hatten nichts mehr zu essen. Da ging das Kind hinaus in den Wald und ihm begegnete darin eine alte Frau, die wusste von seinem Jammer schon und schenkte ihm ein Töpfchen, zu dem sollt’ es sagen: „Töpfchen koch!“ So kochte es guten, süßen Hirschenbrei, und wenn es sagte: „Töpfchen steh,“ so hörte es wieder auf zu kochen. Das Mädchen brachte den Topf seiner Mutter heim und nun waren sie ihrer Armuth und ihres Hungers ledig und aßen süßen Brei, so oft sie wollten. Auf eine Zeit war das Mädchen ausgegangen, da sprach die Mutter: „Töpfchen koch!“ da kocht es und sie ißt sich satt; nun will sie, daß das Töpfchen wieder aufhören soll, aber sie weiß das Wort nicht. Also kocht es fort und der Brei steigt über den Rand heraus, und kocht immer zu, die Küche und das ganze Haus voll, und das zweite Haus und dann die Straße, als wollt’s die ganze [108] Welt satt machen, und ist die größte Noth und kein Mensch weiß sich da zu helfen. Endlich, wie nur noch ein einziges Haus übrig ist, da kommt das Kind heim und spricht nur: „Töpfchen steh!“ da steht es und hört auf zu kochen, und wenn sie wieder in die Stadt wollten, haben sie sich durchessen müssen.
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