Übersetzt mehr Erdoğan! (Aslı, nicht Recep)
Sören Heim sucht nach weiteren Werken der Türkischen Schriftstellerin Aslı Erdoğan und macht einen Vorschlag, wie man die Übersetzung dieser auf Deutsch nur in Bruchstücken vorliegenden Autorin sicherstellen könnte
Ich hatte eigentlich nicht geplant, eine Serie über türkische Autoren zu machen, die im Gefängnis saßen. Aber es scheint, die Zeit zwingt, wenn man das eine will, einem das andere geradezu auf:
Meisterin des Details
Von Aslı Erdoğan habe ich vor einiger Zeit bereits Die Stadt mit der Roten Pelerine besprochen. Man lasse sich von der Kürze der Rezension nicht in die Irre führen – es schien mir geboten, eine so dichte Autorin auch dicht zu besprechen. Die Stadt mit der Roten Pelerine ist einer der ästhetisch vollendetsten Romane unserer Zeit. Erdoğan ist eine Meisterin der Detailzeichnung, versteht durch kaum merkliche Wendungen Weltbilder umzuwerfen und vereint Breite mit Prägnanz, wie man es sonst höchstens noch von Woolf und Carpentier gewohnt ist. Möchte man aber in deutscher Sprache weitere Werke dieser Autorin, die ihresgleichen sucht, lesen, stößt man schnell an Grenzen. Für eine horrende Summe lässt sich noch die Erzählung „Die Holzvögel“ erstehen, die es hier auf Englisch zu lesen gibt und das Frühwerk Der wunderbare Mandarin ist verfügbar. Das war’s. Immerhin, auf Englisch gibt es noch die Sammlung dreier Erzählungen und eine Novelle The Stone Building and other Places. Den neuesten Roman Kabuk Adam (Schneckenmensch) bekommt man auf Französisch, für alle weiteren Werke heißt es Türkisch lernen.
In The Stone Building stößt der Leser auf eine ganz andere Aslı Erdoğan als in Die Stadt mit der Roten Pelerine. Erdoğan zeigt, dass Stil bei ihr nicht Markenzeichen ist, sondern gegenstandsbezogen. Ein Ausweis großer Künstlerschaft. So ist die Auftakterzählung „The Morning Visitor“ düster und knapp, bewegt sich von klaustrophobischem Bild zu klaustrophobischem Bild. Zerschlagene Träume stoßen in einer Absteige aufeinander, die irgendwo stehen könnte und wo der namenlose Protagonist (die Protagonistin?) schließlich mit der kathartischen Erzählung eines Mitbewohners konfrontiert wird. Oder nicht? Kann man in einer Atmosphäre gefühlten Stillstandes überhaupt von Katharsis sprechen?
Vertrautes, ganz anders
In „Wooden Birds“ (s.o.) gehen lungenkranke Damen im Schwarzwald auf abenteuerliche Wanderschaft, um, was die Erzählerin noch nicht weiß, ein keckes Tableau Vivante zu inszenieren – mehr zu verraten würde vielleicht den Lesegenuss ein wenig einschränken. In dieser Erzählung fasziniert, wie der Schwarzwald zur exotischen „Anderwelt“ zu werden vermag und nicht zuletzt, wie Erdoğan das Profane, Alltägliche mit einer Aura des (Weltlich-) Heiligen auflädt.
„The Prisoner“ schließlich folgt dem ziellosen Driften einer schwangeren Frau, die, mit ihrer Schwangerschaft und der Zukunft ringend, von Busbahnhof zu Busbahnhof treibt – die trostlosen Szenerien dabei ähnlich unbestimmt wie in „The Morning Visitor“.
Das unvermeidliche Gefängnis
Das titelgebende Text „The Stone Building“ spielt in und um ein Gefängnis. Die knapp hundertseitige Novelle setzt die Erfahrungswelt eines wieder namenlosen Protagonisten aus Beobachtungen von hoher Symbolkraft zusammen, wobei das Gefängnis mal eher physisch, mal eher geistiger Natur zu sein scheint. Hier stößt die Erzählweise Erdoğans manchmal an ihre Grenzen. Die nach allen Seiten offene, nirgends genau verortete Szenerie, die auch in „The Prisoner“ und „The Morning Visitor“ vorherrscht, droht im Fall von „The Stone Building“ manchmal ins Eintönige zu kippen. Doch auch „The Stone Building“ wartet wieder mit Szenen und Bildern auf, die sich lang in Erinnerung halten werden.
Alles in allem ein Buch, das nicht ganz an Die Stadt mit der Roten Pellerine herankommt, doch Aslı Erdoğan einmal mehr als sowohl handwerklich starke als auch geistreiche Autorin vorstellt. Was muss geschehen, damit diese Erzählungen auch in Deutschland die ihr gebührende Aufmerksamkeit bekommen? Ich schlage eine Lex Pamuk vor. Wann immer auf Deutsch eines der geschwätzig- nostalgischen Werke dieses Autors mit seinem melancholischen Istanbul-Geschmachte und den Abziehbildern der immer gleichen, sehnsuchtsvoll angebeteten Frauenfiguren ohne eigenen Charakter übersetzt oder neu aufgelegt wird, muss zugleich ein Werk Erdoğans ins Deutsche übertragen werden. Dann hätten wir vielleicht in 10 bis 20 Jahren die wichtigsten Texte Erdoğans vorliegen.
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