Halbvolle Regentonnen – von der Unmöglichkeit des Lyrikbandes
Mit Marion Poschmann könnte morgen wieder eine Lyrikerin mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet werden. Sören Heim mag den letztjährigen Preisträger Jan Wagner, und hat doch das ein oder andere an dessen Regentonnenvariationen auszusetzen. Ein Rückblick:
Der Verdacht, dass die Regentonnenvariationen nicht unbedingt das Beste von Wagner präsentieren, beschlich mich schon während meiner Recherche zum Artikel „Die Lyrik blüht? Die Kritik darbt“ im European. Ich hatte den Autor zuvor eher in Einzelgedichten wahrgenommen, und meine Auseinandersetzung entsprechend auch auf diese, und weniger auf die Variationen konzentriert. Richtig so: Denn ein gelungener Gedichtband ist noch einmal etwas anderes als gelungene Dichtung.
Fast alle großen Sammlungen großer Dichter sind tatsächlich Mittelmaß. Die Neuen Gedichte Rilkes, der seinen Malte sagen ließ,
Man sollte warten damit und Sinn und Süßigkeit sammeln ein ganzes Leben lang und ein langes womöglich, und dann, ganz zum Schluß, vielleicht könnte man dann zehn Zeilen schreiben, die gut sind.
enthalten viel Mittelmäßiges, das die Meisterwerke konterkariert. Mehr noch, das schematische Erstarren des Rilkeschen Stils in den mittelmäßigen Werken färbt auch auf die Wahrnehmung der wirklich starken Texte ab. Ähnliches gilt für alle Bände Stefan Georges, ganz besonders aber gilt es für Swinburne. Nur ein mir bekannter Autor, der sich nahezu an das rilkesche Diktum hielt, fällt der Lyrikbandfalle nicht anheim: Der nur sehr spärlich produzierende T.S. Eliot, z.B. mit seinen Aerial Poems.
Wenn Schwächen das Starke herabziehen
Wagner befindet sich also in guter Gesellschaft. Dabei ist es im modernen Verlagswesen wohl unmöglich, tatsächlich nur sein Bestes zu publizieren – kaum ein Verleger ließe sich mit einer Handvoll Gedichten, aufs Leben gerechnet, abspeisen – und auch neue Vertriebsmodelle, wie sie etwa Thomas Böhm in der Zeit vorschlug, zielen zu sehr auf den Massenmarkt. Ein schlechter Ratgeber, wenn es um Lyrik geht.
Warum aber sage ich, es handele sich bei den Regentonnenvariationen trotz zahlreicher starker Gedichte darin kaum um einen gelungenen Band? Wie im Fall Rilkes – weil innerhalb der schieren Textmasse die schwächeren Werke den Blick besonders auch auf die Schwächen der stärkeren lenken.
Da sind die bemühten Rhythmusbrüche und Zeilensprünge, die sich neben den vielen klug gesetzten umso schmerzvoller ausmachen, insbesondere solche, die wie von einem Schüler, der meint nun aber etwas ganz und gar unerhörtes zu tun, mit Trennungsstrich mitten im Wort angesetzt werden und sogar
„… im braunen oder kupfern-
en federkleid …“ (S.71)oder
„wie gerade eben erst in einem mehl-
*
sack, in das mehl der fabeln eingetaucht“ (S.12)
über Strophengrenzen hinweggeknüppelt werden. Verlören denn die Verse von Wagners „Nagel“ (S. 41)
„über die gärten, felder, rübenmiete
hinaus, die hühnerställe, das radies-chenbeet, wurde umfassender, mondial:
wir hängten die hüte auf. wir hängten strick-
jacken und rahmen, hängten regenmäntel“
irgendetwas, wenn man sie so notierte?
„über die gärten, felder, rübenmiete
hinaus, die hühnerställe, dasradieschenbeet, wurde umfassender, mondial:
wir hängten die hüte auf. wir hängten
strickjacken und rahmen, hängten regenmäntel“
Irgendetwas, als dass der Leser eben nicht ganz so sehr mit dem Hammer auf die innerhalb des Wortes versteckten Anklänge gestoßen würde?
Da sind gewaltsame Metaphern, die klingen wie bei den aufs Spektakel fokussierten Poetry-Slammern à la Julia Engelmann abgeschaut, zB
„sechs augen stark wie ein espresso“ (S.16)
Was fehlt: Die große Form
Und da ist natürlich Wagners Problem mit der großen Form, das ich schon einmal angerissen habe:
Wagner fehlen kompositorische Mittel zur großen Form. Er spult sein Programm … ab, ohne längeren Werken darüber hinaus Zusammenhalt zu verleihen. In den Variationen ergänzen sich Wagners Schranken und die Lust des Publikums auf kleine Happen besonders trefflich…
Exemplarisch hierfür das Gedicht „Die Esel“, in dem der Autor eine historisch und geographisch ausgreifenden Hymne auf das Grautier ebenso brav in Vierzeilern abspult wie viele kürzere Texte – optisch gegliedert in drei Teilgedichte und rhythmisch und klanglich zwar im Kleinen durch die bewährten Stilmittel (versteckter Reim, Zeilensprung, Assonanz) sauber zusammengehalten – im Großen aber kaum zu einem Ganzen verwoben.
Nichts hiervon soll heißen, dass ich mein Lob Wagners zurücknehme. Vielmehr zeigen auch die Regentonnenvariationen einfach, dass es beinahe unmöglich ist mit einem zeitgenössischen Dichter einen rundum gelungenen Gedichtband zu produzieren. Dahinter, dass es dennoch versucht wird, steckt der gleiche Mechanismus, der dafür sorgt, dass Verlage tendenziell eher dicke Roman auf den Markt werfen, während man als Newcomer mit einem dünnen Bändchen wie Carpentiers Barockkonzert nur schwer einen Verleger findet. Von Leonard Cohen oder Bob Dylan akzeptieren wir ohne weiteres Alben mit höchstens zehn Songs –
Aber ein Dichter soll gefälligst mindestens hundert Seiten liefern…
Alle Zitate aus: Wagner, Jan: Regentonnenvariationen. Gedichte. Hanser Verlag, Berlin 2014
Zuerst erschienen auf Literaturschock.
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