Dylan? Neeeeeiiiiiiin! – Nobelpreiskolumne
Kolumnist Sören Heim hört Dylan, seit er 16 ist. Das Literatenbohei um den Musiker sieht er allerdings kritisch. Auch müssten sich jetzt die Regeln des Nobelpreises für immer verändert haben. Leonard Cohen, John Cale und viele mehr melden Ansprüche an.
Intertextualität ist wohl der Fetisch der zeitgenössischen Literaturkritik. Nicht als das archäologische Aufspüren von Textzusammenhängen, wie es lange vor Genettes wegweisendem Palimpseste bereits betrieben wurde, nachweislich schon in den Blütezeiten der Bibliothek von Alexandria. Sondern das Heranziehen von möglichst vielen Zitate und Anspielungen als Qualitätsmerkmal eines Autors für sich. Der Fetisch der Intertextualität ist der Hauptgrund, warum so viele junge Autoren in schlecht verstandener Folge James Joyce der Vorstellung verfallen, eine anspielungsreiche Arbeit glänze schon von alleine und strenge Komposition sei etwas für Spießer und ewig Gestrige. Anspielungen und Zitate sind auch das Hauptargument, das immer wieder herangezogen wird, wenn es darum geht Bob Dylan nun aber wirklich für den Nobelpreis ins Spiel zu bringen oder ihn wenigstens als einen der großen Dichter unserer Zeit anzuerkennen. Bei der Intertextualität endet die Dylan-Apologie dann meist auch schon. Über die innere Form der Werke wird selten detailliert gesprochen oder geschrieben.
Bob Dylan (nicht?) verstehen
Einer, der es in jüngerer Zeit zumindest versucht hat ist Tony Beck. In Understanding Bob Dylan untersucht Beck stellenweise in ergiebiger Form unter anderem Reim- und Rhythmusschemen in Dylans Songs, weist nach, dass Dylan neben den traditionellen Endreimen manches Mal geschickt mit Reimen innerhalb von Zeilen, mit Assonanzen und Alliterationen spielt, was ihn definitiv über manchen Wald- und Wiesenpoeten erhebt und Auge in Auge stellt mit dem ein oder anderen ambitionierteren Hiphopper. Doch auch Beck muss zwischen den Zeilen eingestehen, dass Dylan den seit Baudelaire entwickelten poetischen Verfahrensweisen eigentlich nichts hinzuzufügen hat und zumindest formal die literarische Moderne an Dylan größtenteils vorbeigezogen ist. Einwand: natürlich, es handelt sich um Lieder, die muss man singen können. Einwand gegen den Einwand: Sicher, doch wer Dylan als Dichter würdigen möchte, vielleicht sogar mit Literaturpreisen, der hat sich auf Textebene zu stellen. Dylan dürfte das ziemlich egal sein, und der Qualität der Songs als Songs tut es auch keinen Abbruch. Aber auf der reinen Textebene? Auch beim Versuch nachzuweisen, dass das mehrfach kritisierte Sad Eyed Lady of the Lowlands mehr als „meaningless dribble“ (so die Kritik) sei, glänzt Beck nicht. Nach 30 Seiten Ausarbeitung schließt er:
The words are so vague that they could have multiple – or no – Meanings. And that’s the beauty of the song, we are left to figure for ourselves what these wordassociations mean.
Am Ende belässt es dann auch Beck im Großen und Ganzen bei Hinweisen darauf, aus welchen Traditionen (Der Dichter als Reisender, Geld vs. Liebe, Individualismus vs. Gesellschaft) Dylan schöpft. Gerade dabei legt er aber unabsichtlich auch den Finger auf die nicht gerade geringe Klischeelastigkeit nicht weniger Texte, die sich besonders offenbart wenn man sie des musikalischen Kontext entkleidet. Besonders schmerze dürften Dylan-Fans Becks Gegenüberstellungen von Texten Wordsworths und Yeats sowie Springsteens mit Dylan. Dass hier in Präzision der Wortwahl, in Rhythmik und Sprachmelodie sich doch zwischen His Bobness und The Boss weit mehr Gemeinsamkeiten finden lassen als etwa zwischen Dylan und den englischen Romantikern, unterminiert Becks Stoßrichtung doch ein wenig.
Ovid und die Unterwelt
Das vielleicht lesenswerteste Buch zu Bob Dylans Quellen und seinen Ansprüchen als Songtexter der letzten Jahre kommt von Heinrich Detering. In Die Stimmen aus der Unterwelt legt Detering kenntnisreich dar, wie etwa fast jede einzelne Zeile aus dem oberflächlich so simplen Working Mans Blues #2 von Ovid übernommen, aus Folk-Traditionen kopiert oder von dem unbekannten Südstaatendichter Henry Timrod stibitzt wurde. Analog zeigt Detering für Roll on John, ein später Nekrolog auf John Lennon, dass hier für den Text Robert Fagles Odyssee-Übersetzung die Grundlage legte, mit Einsprengseln aus Beatles-Songs, Gebeten und William Blakes Tygre.
In der Vielstimmigkeit des Zitategestöbers und der Collagenkunst setzt Dylan die Identitätsspiele, die sein Werk und seine Selbstinszenierungen von Beginn an bestimmt haben, auf einem veränderten Schauplatz fort. Zu diesem Schauplatz gehört, wie die amerikanische Musik, die Weltliteratur mitsamt ihren spezifisch amerikanischen Anverwandlungen und Brechungen – und mitsamt Dylans bisherigem eigenen Werk, das in Zitaten und Anspielungen, Echos und Reminiszenzen allgegenwärtig ist und das nun selber eingeht in den Chor der Stimmen.
beschreibt Detering Dylans Projekt im Spätwerk seit „Love and Theft“, und beim Nachvollzug dessen kann man durchaus eine Gänsehaut bekommen. Aber gerade, wer Literatur nicht zum elitären Zitatejagen verkommen lassen möchte sollte sich an die Regel halten „entscheidend ist, was hinten raus kommt“. Und ein Vers wie
A gal named Honey
Took my money
She was passing by
It’s soon after midnight
And the moon is in my eye
taugt nun mal schwerlich zum Anschauungsobjekt für große Literatur, selbst wenn jede einzelne Zeile von Shakespeare, Spenser und aus der Bibel geklaut wäre. Damit soll Dylans Ansinnen nicht in Misskredit gebracht werden. Es handelt sich um ein einmaliges Unterfangen praktischer Musik-, Literatur- und Mythenarchäologie, das in Gänze übrigens nur würdigen kann, wer die Musik gerade nicht abschneidet. In Misskredit gebracht werden soll, wenn Kritik überhaupt in Misskredit bringen kann, die paranoide Literaten-Götterverehrung rund um Dylan, die sich einerseits den Anschein gibt endlich einmal Volkspoesie zu höheren Weihen verhelfen zu wollen, andererseits das mit dem elitärsten denkbaren Mittel versucht, dem sammeln gelehrter Zitate.
Man muss den Nobelpreis nicht vor Bob Dylan retten. Aber Dylan rettet man vielleicht besser vorm Nobelpreis.
Epilog
Entscheidend ist was unten rauskommt. Ich versuche das abschließend anhand eines einfachen Gedichtchens zu demonstrieren:
niedlich bist du anzuschauen
anmutig sind deine wangen
was hilfts? wir müssen vertrauen
du fällst aus träumen ins licht.
wohin ist dein liebster gegangen?– ich widersteh‘ dir auch heute nicht –
immer sind vornan die frauen
gilts edel, herzen zu fangen.
Hierin versammelt finden Sie in mehr oder weniger stark abgewandelter Weise Zitate aus dem Hohelied Salomons, aus Goethes Faust, Stücken Shakespeares, Liedtexten von Ton Steine Scherben, und für die Bodenhaftung – Helene Fischer. Das Gedicht ist nun wirklich nichts besonderes, nach meinem Dafürhalten sogar ziemlich schlecht. Und das liegt nicht an Helene Fischer.
Bücher: Detering, Heinrich: Die Stimmen aus der Unterwelt: Bob Dylans Mysterienspiele. C.H.Beck 2016
Beck, Tony: Understanding Bob Dylan. Selbstverlag 2011/2015
Lesen sie zum Thema auch: Bitte Nicht Bob Dylan!
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