Feudale Englische Wildnis? Über „Elmet“ von Fiona Mozley.
„Elmet“ von Fiona Mozley beschreibt aus der Perspektive der Kinder eines Preisboxers die Kämpfe eines Lumpenproletariats gegen neofeudale Landlords. Ein düsterer Roman, oft stark erzählt, mit einigen Inkonsistenzen.
Geht es nach den letzten beiden Romanen aus England, die ich gelesen habe, dann ist dieses Land ein zerfallendes, düsteres, in dem eine ganze Reihe Außenseiter sich aus der Gesellschaft komplett zurückgezogen hat und in Wäldern und auf Flüssen ein Aussteigerleben lebt. Und ich habe mir diese Romane nicht etwa ausgesucht, weil mich solche Themen besonders interessieren, sondern sie halb zufällig (wenn auch auf Anfrage) als Rezensionsexemplare bekommen. Einfach, weil ich lesen wollte, was im Moment in England als wichtige Literatur gehandelt wird. Zuerst also Untertauchen, 2018 erschienen, ein finsteres Flussepos, und nun Elmet, 2017 erschienen, ein ebenso finsteres Waldepos. In Deutschland kamen beide Übersetzungen erst kürzlich auf den Markt.
Sagt die zeitgenössische Literatur etwas aus über den derzeitigen Zustand des Landes? Und wenn, dann eher aus einem soziologischem Blickwinkel oder im Sinne einer weitreichenden Metapher? Und inwiefern trifft die Perspektive der meist hochgebildeten Menschen, die diese Romane schreiben, das, was tatsächlich in den beschriebenen Schichten am Gären sein könnte? Ein kurzer Essay kann das nicht beantworten, hier wären soziologische Untersuchungen fällig. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass beide jungen Autorinnen es (meines Erachtens zurecht) für nötig befunden haben, ihren Protagonistinnen einen wenn auch ungewöhnlichen Bildungsweg zuzuschreiben, der halbwegs erklären hilft, wie aus der Erzählperspektive nur hier und da mit dem Schulsystem in Berührung kommender junger Menschen am Ende ein Roman entstehen kann, der so offenkundig der Poetik eines eher gehobenen Mainstreams entspricht.
Widerstand im Neo-Feudalismus
Elmet von Fiona Mozley beginnt mit drei unglaublich starken Seiten: Eine gehetzte Suche durch den anscheinend in Schutt und Asche liegenden Wald Elmet, sehr dicht beschrieben, sehr überzeugend eine beklemmende Atmosphäre transportierend, von der man ahnt, dass sie chronologisch ans Ende der Geschichte gehört. Dann wird das Ganze deutlich beschaulicher, die Geschichte, die der Klappentext zusammenfasst und die ich hier nicht wiederholen will, wird in Rückblenden erzählt. Es gibt zwei Erzählebenen: Daniel und Cathy leben mit ihrem Vater in einem festungsartigen Wald-Squat und die beiden gehen, noch deutlich jünger, zur Schule. Im Wald lernen sie dann und wann bei der Aussteigerin Viviane verschiedene Dinge, wobei Literatur eine besondere Rolle spielt (das erklärt so halbwegs, warum aus der Perspektive des Aussteiger-Sohns solch ein gehoben-poetisches Buch entwickelt werden kann). All das geschieht erzählerisch solide, doch nicht mehr mit der Poesie des Auftaktkapitels und einiger kurzer Zwischenkapitel. Allerdings muss ich hier einschränken: Das Original scheint sich sehr um einen glaubhaften mündlichen lokalen Stil der Protagonisten zu kümmern, was im Deutschen natürlich bis auf ein paar verschluckte Endungen wegfällt.
Insgesamt finde ich Elmet etwas überzeugender als das vom Millieu her ähnliche Untertauchen von Daisy Johnson, was vor allem daran liegt, dass der Roman weniger bemüht „modern“ auftritt, weniger Erzählperspektiven jongliert und damit weniger Gefahr läuft, auf die Nase zu fallen. Die Art, wie Cathy in einigen Schlüsselszenen überzeichnet stark (körperlich gemeint) daherkommt, verstört sporadisch. Und das keinesfalls, weil es prinzipiell nicht glaubhaft sein könnte, dass eine junge Frau mehrere ihrer männlichen Altersgenossen im Kampf besiegt, sondern weil es teils anderen Momenten der Erzählung entgegensteht. So hätte Autorin Mozley etwa leicht in einem Nebensatz erwähnen können, dass der Vater, geübter Faustkämpfer, seinen Kids das ein oder andere beigebracht hat, doch stattdessen ist es ihr wichtig noch im Zuge der betreffenden Schlägerei zu erklären, dass Cathy gerade n i c h t weiß, wie man effizient kämpft. Das ist nicht weiter schlimm im Großen und Ganzen, und wer möchte kann sich etwaige Inkonsistenzen immer aus der Erzählperspektive des jungen Daniel erklären, der die Schwester vergöttert. Cathy wächst ja später noch mehrfach in unwahrscheinlichster Weise in Kämpfen, die (wie übrigens auch der erste) stets „off-stage“ stattfinden, derart über sich hinaus, dass das durchaus intendiert sein mag. Doch es gibt immer mal wieder solche Momente, in denen die erzählte Welt etwas nachlässig aufgebaut wirkt, in denen die Erzählung sich beinah zu widersprechen scheint.
Auch im Politischen etwas überzeichnet und mit Lücken
Ähnlich zwiespältig stehe ich auch der Behandlung der sozialen Frage in Elmet gegenüber. Es ist auf jeden Fall begrüßenswert, dass ein Text einmal wieder konsequent diese Perspektive „von unten“ einnimmt, wobei hier nicht wie meist sonst, wenn so etwas geschildert wird, rein individuelle Fragen im Mittelpunkt stehen, sondern protogewerkschaftlich im Verlauf des Romans eine Art Lumpenproletariat organisiert und in den Kampf geführt wird gegen eine neofeudalistische Postbourgeoisie, in der die Landlords regieren wie mittelalterliche Feudalherren. Ich denke das funktioniert, wenn man es nicht naturalistisch, sondern als Metapher liest, relativ gut. Rund um Elmet scheint kein Gesetz zu existieren, und die besitzende Klasse hat sich, wie es in der Tendenz auch heute wieder zu beobachten ist und in zerfallenden Staaten bereits ganz real, quasi gleichzeitig als Großkapital und Exekutive etabliert. Dass die Verhältnisse dabei an den mittelalterlichen Feudalismus erinnern, ist im doppelten Sinne kein Zufall. Denn nicht nur neigt der heutige Kapitalismus beobachtbar zu solchen Entwicklungen, die Autorin selbst gibt auch an, sich von der Feudalgeschichte ihrer Heimat und der Region Elmet, die vom 5. bis 7. Jahrhundert ein eigenes Königreich war, inspiriert haben zu lassen.
Auf der anderen Seite führt das zu sehr holzschnittartigen Konflikten, die sich zumindest schwer in heutige Problemlagen übersetzen lassen. Die Geknechteten sind die Guten und sind ziemlich gut, auch wenn der Vater gegen Ende eine größere Sauerei begeht, und die Bösen sind so richtig böse, ohne dass ihre Motivationen noch wirklich nachzuvollziehen wären. Zudem sind alle Figuren scheinbar weiße alteingesessene Briten. Das wird einmal in einem Nebensatz damit halbwegs plausibel gemacht, dass die Jobs innerhalb dieses neofeudalen Komplexes so beschissen sind, dass nur Ausgestoßene wie etwa Ex-Gefängnisinsassen sie übernehmen und selbst rumänische Einwanderer um das Gebiet einen Bogen machen. Nun gibt es allerdings mit Sicherheit auch Einwanderer, die mal im Gefängnis waren, und sollte das England von Elmet nicht irgendwann ethnisch gesäubert worden sein (eine genaue Zeit, in der der Roman spielt, wird nie genannt und das Ganze wirkt teils doch ziemlich parallelweltlich), wäre zu erwarten, dass man in solch beschissenen Jobs gerade eine große Zahl von Migranten finden würde, die in den meisten westlichen Gesellschaften eben die Jobs machen, die niemand machen will. Und dann hätte zwangsläufig etwas Thema werden müssen, das genau die zumindest partiell erfolgreiche klassisch gewerkschaftliche Organisation, mit der die Armen von Elmet die Landlords bekämpfen, heute unterläuft (neben der gesellschaftlichen Atomisierung, die der Wegfall von Industriejobs sowieso mit sich bringt): Der auch unter den „Erniedrigten und Beleidigten“ immer zu beobachtende Rassismus.
Nun sollte man von einer Autorin nicht verlangen, dass sie ein ganz anderes Buch schreibt als das, das sie geschrieben hat. Und Elmet ist auf jeden Fall ein interessanter Versuch eines literarisch konsequenten Blickes auf soziale Verwerfungen von unten. Nur stellt sich eben doch immer wieder das Gefühl ein, dass die Autorin sehr leichte Auswege nimmt, um Gegenstand und Figurenkonstellationen Herr zu werden. Alles in allem aber ein durchaus lesenswertes Debüt und eines der besseren Bücher, die ich in diesem Jahr gelesen habe.
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