Schreiben KANN man lernen…

… und „Show, don’t tell“ ist nicht verantwortlich für den Gleichklang der deutschen „E“-Literatur. In Sören Heims neuer Literatur-Kolumne geht es heute um eine periodisch wiederkehrende Twitter-Debatte.


Es gibt diesen anstrengenden und ich glaube besonders deutschen, Dünkel, der besagt: Schreiben kann man nicht lernen. Niemand würde das für Musik oder Malerei bestreiten. Oder, wenn man sich in den Dünkel erstmal verrannt hat, vielleicht doch. Wir kommen dazu.

Schreiben „können“ und soziale Klasse.

Ich habe mich zumindest mal wieder auf eine solche Diskussion eingelassen und es gleich bereut. Es begann damit, dass jemand auf Twitter die Hilfestellung “show, don’t tell” durch die Bank weg verdammte. Ja, die gründliche Beherzigung dieser Regel sei sogar, was die zugegeben schreckliche Schreibschulenprosa hervorbringe, die unsere Zeit dominiert.
Das ist großer Unfug. Erstens ist “show, don’t tell” einfach eine Hilfestellung für Schreibanfänger, und da, wie ich aus meiner Erfahrung heraus berichten kann, sehr effektiv. Wie viele andere Techniken, die man eben doch LERNEN kann. Denn mag sein, vielleicht kann nicht jeder zur Meisterschaft gelangen, wie auch nicht jeder zum großen Fußballer wird. Einen Teil des Handwerks kann man sich auf jeden Fall draufschaffen. Und erst dann zeigt sich, was sich aus der eigenen Inspiration, Originalität oder was auch immer tatsächlich machen lässt. Was ist die Alternative? Wer nicht mit spätestens 15 auf die Idee kam, sich autodidaktisch immer wieder an zahlreichen Vorbildern abzuarbeiten, hat halt Pech gehabt? Also vor allem Angehörige des Bildungsbürgertums bzw. deren Kinder “können” schreiben (weil sie halt die Voraussetzungen haben, es irgendwie doch für sich selbst zu lernen)? Der Rest „kann“ nicht, weil lernen halt irgendwie pfui ist?

Wenn man Schreiben vernünftig lehrt, erleichtert man genau diesen Weg und öffnet ihn für Menschen aller Klassen und jeglichen Alters. Nicht, indem man die Fehlschläge wegnimmt, sondern vielleicht, indem man direkt mit der Nase in sie stößt. “Show, don’t tell” ist eine von zahlreichen Techniken, die man dann zugleich an die Hand gibt und einer Kritik unterwirft. Man diskutiert gemeinsam: Inwiefern hilft das uns? Kann es mir vielleicht sogar helfen, wenn mein Vorbild eher Joyce oder Marquez ist? Und man macht das mit vielen Techniken. Es gibt kein “show, don’t tell”-Diktat. UND man schaut sich immer wieder herausragende Texte an und fragt: Warum funktionieren die, obwohl sie doch (und wenn wir ehrlich sind, oft nur dem Anschein nach) so vielen unserer Regeln widersprechen?

Formkönnen beschränkt nicht, es befreit!

Mein Diskussionspartner, der auf solche Argumente übrigens nie einging, brachte stattdessen vor allem “einfach machen” und “Originalität” und ähnliches in Anschlag. Ich sage: Nichts befreit die Originalität so wie das Beherrschen der Form(en). Man mag mir viel vorwerfen, aber kaum, dass meine literarischen Texte stilistisch/formal klingen wie das, was derzeit auf den Massenmarkt der deutschen E-Literatur geworfen wird. Doch in der Lyrik wie in der Prosa: Ich kann ganz klar sagen, dass die Freiheit und Souveränität des Ausdrucks wuchs mit dem Bemühen, tatsächlich überlieferte Formen zu beherrschen. Meine ersten Jahre waren schlechte Imitationen meiner Vorbilder (Joyce, Llosa u.a.), die auch seltenst fertig wurden. Meine freien Verse waren ungelenk (denn wer heute schreibt, darf doch verdammt noch mal nicht reimen, auf den Rhythmus achten oder gar ein Sonnet verfassen! Wenn ich es dann mal versucht habe, waren entsprechend auch meine Sonette schlecht). Erst die intensive Arbeit an den Formen führt zu einer Form, die sich mit der Zeit wie von selbst sogar für die verrücktesten Ideen einstellt (d.h. nicht EINE FORM für Alles. Sondern EINE FORM je für DEN GEGENSTAND. Das aber gelingt nur, wenn man in den Formen zu Hause ist). Dass das in zeitgenössischer Literatur nicht geschieht, oder höchst selten und zumindest dem Anschein nach äußerst selten in den drei bis vier großen offiziellen Schreibschulen – DAS führt in den Gleichklang der Deutschen Gegenwartsprosa. Nicht eine Handreichung wie “show, don’t tell”. Wer keine Souveränität über die Formen hat, findet nicht zur Form, sondern höchstens in den Gleichklang dessen, was sowieso schon überall um einen herum ist.

Die Gegenwartsliteratur
hat doch mit „show, don’t tell“ nichts am Hut!

Mit “show, don’t tell” hat das fast nichts zu tun. Die deutsche E-Gegenwartsliteratur ist keine “show, don’t tell” Literatur. Sie ist nicht am Film geschult. Sie ist in erster Linie eine selbstbezügliche Innerlichkeitsliteratur, gern mit ein wenig rotziger Ironie und literarisch-politischem Engagement. Oft Ich-Erzählungen, wenn nicht dritte Person, stark an eine Fokusfigur gebunden. Fast immer biografisch. Fast immer ErzählerInnen, die mal mehr, mal weniger gefiltert im sozialen Status und der ungefähren Beschäftigung den AutorInnen entsprechen. Oder, selbst wenn es nicht passt, so sprechen und denken. Und immer, immer, immer: Sehr viel „tell“. Nennt mir einen Buchpreis-Longlist-Titel der vergangenen drei Jahre, der wirklich in erster Linie filmisch erzählt und nicht die Hauptfiguren ganz viel Introspektive und Zeitkommentar betreiben lässt. Nein. Einer ist unfair. Die Chance, dass ein paar dabei sind, ist nicht schlecht. Ich meine, wir reden von 60 Titeln. Nennt mir 25. Wenn “show, don’t tell”, wenn das filmische Erzählen, die deutsche Gegenwartsliteratur so belasteten, müssten 25 eine Leichtigkeit sein.

Das Gegenteil ist wahr. Die Titel der deutschen Gegenwartsliteratur sind größtenteils so schrecklich zu lesen, weil sie diese Hilfestellung nicht beherzigen. Würden sie es (und ein paar Dinge mehr, die aus dem filmischen Erzählen stammen), sie würden zumindest einmal aus dem Buchpreis-Einerlei, aus dem E-Literatur-Einerlei herausstechen. Sie würden originell wirken, auch wenn sie es dann vielleicht noch nicht sind. Man könnte nun meinen, es ginge vielleicht um die internationale Gegenwartsliteratur. Aber wirklich: Rushdie, Roy, Morrison, Yanagihara, Vuong, Franzen. Selbst moderne Klassiker wie Updike oder Roth, denen man das vielleicht zuschreibt: Sind die wirklich zu filmisch? Fehlt denen wirklich der Erzähler-Gestus, die Innenschau? Gerade international wird sich doch zur Zeit wieder auf das ausschweifende auktoriale Erzählen besonnen. Wenn auch teilweise mit schwachem Ergebnis.

Ich bin nicht mal wirklich ein Freund von “show, don’t tell” als “Regel”. Aber es ist keine Regel. Es ist eine Hilfestellung, die man nutzt oder nicht, und mit der man sich gleichzeitig kritisch auseinandersetzt. Weil viele SchreibanfängerInnen ansonsten tatsächlich immer wieder Sätze schreiben würden wie “sie war intelligent” oder “es war ein schönes Haus”, ohne uns in irgendeiner Weise vor Augen zu führen, was das bedeutet. Im Fall des schönen Hauses könnte das z.B ganz klassisches Beschreiben bedeuten. Ja: Es gibt zeigendes Erzählen!
“Show, don’t tell” als Regel, an die man sich halten muss, wird nicht gelehrt (Oder sicherlich, die Menschheit ist voll von Idioten, hier und da schon). Aber nicht in den großen Schreibschulen, denn dann wäre die deutsche Gegenwartsliteratur weniger erbärmlich und würde sich mehr lesen wie die sogenannte Unterhaltungsliteratur, auf die der Betrieb so gern herabschaut. Aber sie wird auch nicht an den mir bekannten Volkshochschulen und unabhängigen Schreibwerkstätten unterrichtet. Denn dort setzt man sich kritisch mit einer ganzen Reihe von sogenannten Regeln auseinander, die wir sicher nicht als Regeln nehmen. Und man hat sowieso wenig zu tun mit dem normierten und gegen Outsider fast hermetisch verschlossenen Literaturbetrieb, also sicher auch keinen negativen Einfluss darauf. Unsere Lernenden sind oft ältere Menschen, die noch einmal etwas Neues ausprobieren oder eine alte Liebe wieder erwecken wollen. Und viele von ihnen legen dann und wann, dank der Hilfen, die sie erhalten, Texte vor, die ich gegen keinen der Einheitstexte aus dem Literaturbetrieb zurzeit tauschen möchte.

Kein Grund, das Niveau von Rob Ross zu belächeln.

Als ich in der Debatte fragte, ob man denn Malen und Musik lernen könne, aber vielleicht nicht das Schreiben (und wieso), wurde mir übrigens mit einem Bild von Rob Ross, also höchstwahrscheinlich abwertend gemeint, entgegengehalten:

Klar kann man Malen lernen, in dem Maße halt wie auch Schreiben.

Nun, wenn Menschen, die zuvor nicht malen konnten, erstmal das Niveau von Rob Ross erreichen, haben sie einiges erreicht. Das Gleiche würde für das schriftstellerische Äquivalent gelten. Es ist einfach Unsinn, dass man dann dort verharren muss, weil man so viele böse Techniken gelernt hat, von denen man sich nun nicht mehr lösen kann. Erstens lernt man im Idealfall die Kritik der Technik(en) gleich mit, aber auch, auf die Technik(en) zu vertrauen, um sich nicht ständig in Selbstzweifeln fest zu fressen (und, was häufig ist unter nicht professionellen Schreibenden, tausend Dinge anzufangen, zu verwerfen, und sich darob Vorwürfe zu machen). Und zweitens malt sich mit einer soliden Grundlage von Perspektive und Farbwerten, von Schattenwurf und so weiter und so fort auch besser gegen die Regel, besser abstrakt, besser in diesem unglaublich schwierigen Zwischenraum zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit.

Wir haben einen unglaublichen Dünkel entwickelt gegen das Lernen von Kunst, gerade in einer Zeit, in der immer mehr Menschen Kunst lernen. Man stelle sich mal vor, als welche Witzfigur man vor Rembrandt gestanden hätte, hätte man ihm gesagt, man könne malen nicht lernen und lehren. In der Musik wäre so eine Haltung noch heute undenkbar. Der Dünkel ist vor allem sozial-elitär, ein Abwehrkampf der Alteingesessenen und ihrer Epigonen. Er schottet einen Kunstbetrieb ab gegen die, die sich dort hineinarbeiten wollen. Er ist dann vor allem offen für die Menschen aus den Klassen, die sich schon immer mit Kunst beschäftigt haben. Die es eben doch so halbwegs gelernt haben, weil man im Elternhaus viel über Kunst spricht, weil man in einen Freundeskreis hineinkommt, der durch kritische Diskussionen über die eigenen Werke die Schreibschule ersetzt und so weiter und so fort. Ja, das Lernen von Literatur ist weit hinter dem Lernen anderer Künste zurück und vielleicht wird es niemals das gleiche Niveau erreichen, weil es irgendwie als anrüchig gilt und die Menschen oft erst spät im Leben einsteigen. Und ja, die großen Literaturschuhen normieren: in Deutschland und international. Aber längst nicht mehr in Richtung von “show, don’t tell”,. sondern vor allem in Richtung von autobiographischer Innerlichkeitsprosa, die oft fast ohne Zeigen auskommt.

Der Markt ist der große Normierer.

Aber selbst das ist nur ein Baustein eines größeren Problems, das sich letztlich durch den Druck der Vermarktung ergibt. Denn der Markt ist der große Normierer, nicht einzelne Hilfestellungen. Und selbst die experimentellen Räume der Jugend werden mittlerweile größtenteils einem Pseudomarkt gehobener und gesenkter Daumen unterworfen. Sei es in den Poetry Slams, wo sich die Texte von Menschen, die früher vielleicht einige Jahre über ganz verschiedene Herangehensweisen an Lyrik einen Stil entwickelten, auf einen marktgängigen Rhythmus normiert haben, sei es auf Instagram & Co, wo nur eine ganz bestimmte Art von einfacher gefühliger Literatur zieht.

Man kann Schreiben lernen. Man kann Schreiben lehren. Das geschieht vielleicht heute oft nicht in besonders gelungener Weise. Und es ist schwieriger als in der Malerei und in der Musik, wo es tatsächlich reicht, in erster Linie Techniken an die Hand zu geben, von denen sich die Künstlerinnen und Künstler dann irgendwann selbst lösen. Aber es geht. Und “show, don’t tell” ist dabei eine wichtige Handreichung. Nicht mehr, nicht weniger. Und mit dem derzeitigen Elend im Literaturbetrieb hat es wenig zu tun. Der ist eine Folge des Fetischs der Authentizität, die zugleich durch Angleichung an die „Peers“ zu diesen immergleichen Bekenntnis-/Engagement-Romanen führt. Ganz ohne “show, don’t tell”. Wirklich. Moderne deutsche E-Romane sind größtenteils reine Erzähl-Romane.

Sören Heim

Sören Heim ist Journalist, Übersetzer und Schriftsteller. Er ist Träger des kosovarischen Preises für moderne Dichtung „Pena e Anton Pashkut“ (Stift des Anton Pashku) und des Sonderpreises „Favorit von Daniel Glattauer“ der art.experience 2014. In HeimSpiel schreibt Sören Heim mit Heimvorteil zu den Schnittpunkten von Kunst, Kultur und Gesellschaftspolitik. Er beleuchtet die unerwartete Bedeutung ästhetischer Fragestellungen für zeitgenössische Debatten, die mit Kunst auf den ersten Blick kaum Berührungspunkte haben. Und wo immer, sei es in der Politik, sei es in der Ökonomie, sei es gar im Sport, er auf geballten Unsinn und Unverstand trifft, wagt der Kolumnist auch das ein oder andere Auswärtsspiel. Bisher erschien die Kolumne HeimSpiel im Online-Debattenmagazin The European. Daneben veröffentlicht Heim in mehreren Literaturzeitschriften vornehmlich Lyrik und dichte Kurzprosa, und bloggt auf der eigenen Homepage aus seinem Zettelkasten. Monographien: Kleinstadtminiaturen: Ein Roman in 24 Bildern. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154181.Cover nur Front Gewogene Worte: Nachdichtungen aus dem Chinesischen. edition maya: 2016 – ISBN: 978-3930758463.cover kathaStrophen. Experimente in Rhythmus und Melodie. Chiliverlag: 2017 -ISBN: 978-3943292541.FrontCover 2_bleu Algenhumor: Gedichte für das dritte Jahrtausend. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154228.algen Audio-Exklusiv: La vie! La jeunesse! – Hörmordkartell 2017

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