Jogi im Wunderland
Erst rund zwei Monate nach der Weltmeisterschaft hat Joachim Löw seine WM-Analyse vorgelegt. Vieles, was er sagte, mag richtig sein. Löw ist aber kein Journalist, sondern ein sehr gut bezahlter Trainer, der viel früher hätte handeln müssen. Neidisch schauen deutsche Fans nach Frankreich, wo der Verband eine Krise viel konsequenter anging.
Der Berg kreißte und gebar nicht einmal eine Maus. Fast zwei Monate nach der historischen Pleite, dem WM-Aus gegen Südkorea, hat Bundestrainer Joachim Löw diese Woche seine mit Spannung erwartete Analyse vorgelegt.
Was der Badener der Menschheit dann allerdings zu verkünden hatte, hätte jeder mittelbegabte Volontär einer Sportredaktion genauso, mit Sicherheit aber deutlich schneller, zu Papier bringen können. Dass sich mit Ballbesitzfußball bei der Weltmeisterschaft kein Blumentopf gewinnen ließ, weiß inzwischen auch der letzte Fußball-Laie und über die schlechte Stimmung in der deutschen Elf, die sich der besseren Vermarktungschancen wegen nun „Die Mannschaft“ nennen lässt, die bei der WM aber alles, nur keine echte Mannschaft war, sind mittlerweile Bände geschrieben worden. Der Gipfel an Hybris ist jedoch erreicht, wenn Löw sich und seinem Team nun arrogantes Verhalten bescheinigt und seine taktische Marschroute beim Weltturnier in Russland in Frage stellt. Irgendwie muss man dieser Tage den Eindruck haben, da lebt ein Weltentrückter Löw in seiner eigenen Welt. Das Unglaubliche dabei: Sein Arbeitgeber, der Deutsche Fußball Bund, lässt ihm das alles durchgehen. Jogi im Wunderland…
Analyse kam viel zu spät
Inhaltlich mögen Löws Ausführungen nicht rundweg falsch sein. Joachim Löw ist aber kein Journalist. Sein Job ist nicht, hinterher Berichte zu verfassen oder Spielanalysen zu erstellen. Er wird sehr gut dafür bezahlt, seine Eingebungen während eines Turniers zu haben (Presseberichten zufolge ist er sogar der bestbezahlteste Verbandstrainer auf diesem Planeten). Spätestens nach dem desaströsen Aufritt gegen Mexiko, hätte Löw er deshalb versuchen müssen, taktisch das umzustellen, was noch umzustellen ist. Es ging jedoch immer weiter mit dem Stehgeiger-Gekicke.
Personell war nach Ankunft im berüchtigten Quartier Watutinki ohnehin schon alles auf dem falschen Gleis. Dass es im Kader offensichtlich Spannungen zwischen Arrivierten und Newcomern gab, hätte ein so hochbezahlter Mann auch früher merken sollen – entsprechende Gegenreaktionen eingeschlossen. Löws Rolle bestand laut Stellenbeschreibung eben nicht nur darin, bei Pressekonferenzen Espresso zu trinken und am Strand von Sotchi für die Kameras zu posen.
Löw redet bei Causa Özil an Thema vorbei
Auch Löws Aufarbeitung der leidigen Causa Özil fällt unzureichend aus. Der Bundestrainer betonte, dass es in seiner Mannschaft keinen Rassismus gegeben habe. Das hat aber nicht einmal Özil behauptet, der bezog seinen Vorwurf auf die Fans! Kern der ganzen Angelegenheit ist und bleibt aber ein Foto des Spielers mit einem Autokraten. Der ehemalige grüne Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele hat dazu unlängst treffend angemerkt, dass dies eben keine Aufnahme für Özils Privatalbum war, sondern eine, die für die Weltöffentlichkeit bestimmt war. Ströbele schrieb auf twitter weiter, dass ein Spieler, der sich im Wahlkampf für so eine Aktion hergebe, sich auch fragen lassen müsse, was er denn so von Erdogans Politik halte. Eben diese Frage hätten auch Löw und DFB-Teammanager Oliver Bierhoff ihrem Spieler Özil stellen müssen – und ihn bei unbefriedigender Antwort nach Hause schicken sollen. All dies ist offensichtlich nicht geschehen. Und auch hierfür liegt die Verantwortung bei der Teamleitung.
Löw und Bierhoff wollen allen eingestandenen Unzulänglichkeiten zum Trotz weitestgehend wie bisher weiter machen und lediglich ein paar neue Spieler ins Team berufen oder mitunter etwas an der Taktik variieren. Gehen müssen nur zwei Leute aus der dritten Reihe des DFB-Staffs. Assistenztrainer Thomas Schneider und Chef-Scout Urs Siegenthaler. Verantwortung übernehmen sieht anders aus, zumal Schneider und Siegenthaler nicht erst seit gestern Löws Trainerteam angehörten.
Neidischer Blick nach Frankreich
Es scheint hierzulande wohl in Mode zu kommen, dass man auch nach deftigen Niederlagen nicht mehr weiß, was man eigentlich hätte anders machen sollen. Und so dürfen auch Löw und sein Kompagnon Bierhoff weiter das DFB-Team anführen, wo doch ein Neuanfang mit neuen Ideen und neuen Köpfen dringend notwendig gewesen wäre. Eine Tageszeitung aus Frankfurt, hinter der nach eigener Aussage immer ein kluger Kopf steckt, nannte den Freiburger Christian Streich als Nachfolgekandidaten. Einen Vorschlag, den ich zunächst überraschend, dann genial fand. Über Namen wie Klopp, Tuchel oder Nagelsmann kann man natürlich auch jederzeit reden. Nur: Die wären wegen laufender Verträge schwer zu haben gewesen. Und letztlich bin ich überzeugt, dass auch eine von Friedhelm Funkel betreute Auswahl beliebiger Bundesliga- oder Zweitliga-Kicker sich besser in Russland besser verkauft hätte, als dies Löws uninspirierte Truppe getan hat.
Dass „Weiter so“ und Wunschdenken aber nur schwer mit der Realität vereinbar sind, werden schon die nächsten Partien in der neuen Nations League zeigen, immerhin geht es gegen Weltmeister Frankreich und den alten Rivalen Niederlande. Man muss kein Prophet sein, um zu prophezeien, dass dort Niederlagen warten könnten. Selbst im anstehenden Testspiel gegen Underdog Peru halte ich eine Blamage für möglich.
So bleibt den deutschen Fußball-Fans nichts anderes übrig, als neidisch nach Frankreich zu schauen, wo der Verband und Trainer Didier Deschamps zuletzt ziemlich viel richtig gemacht haben. Der Wiederaufstieg zum weltweit dominierenden Team begann übrigens auch mit einer Blamage, dem Vorrunden-Aus bei der WM 2010 in Südafrika. Anders als im Weiter-So-Deutschland haben die Franzosen damals wirklich eine knallharte Analyse gemacht und vom Trainer bis zu den Spielern alles auf Anfang gesetzt. Irgendwann, so die Hoffnung, wird das der DFB auch so machen. Nur, wann ist irgendwann?
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