Der deutsche Einheitsstil. Über Romane, die sich immer ähnlicher werden

Verena Günthers „Power“ basiert auf einer interessanten Idee. Dass der Roman sprachlich klingt wie etwa fünfzig Prozent der heutigen „ernsthaften“ Literatur, schadet allerdings, findet Kolumnist Sören Heim


Eine Frau hockt geduckt an einem Schreibtisch. Sie ist Schriftstellerin. Sie schreibt konzentriert. Achtet darauf, dass die Sätze nicht zu kurz, vor allem aber nicht zu lang werden. Dafür gibt es Gründe, auch wenn sie sie nicht genau kennt. Mag sein, man muss heute so schreiben, weil die Leser nicht mehr anders lesen können. Oder: Muss so lesen, weil die Schreiber nicht mehr anders schreiben können. Vielleicht kommen ja alle Schreiber von denselben Schreiber-Schulen? Sie (es könnte natürlich genauso gut ein Mann sein), möchte trotzdem, dass Schönheit im Text ist. Darum beschreibt sie Dinge, die schön sind. Den matten Stahl der alten Remington, die klackern würde, würde sie noch auf einer alten Remington schreiben. Den dekorativen Federkiel im Glas am linken Ende des Schreibtisches. Den Tisch selbst, der von schwerem Eichenholz ist. Oder von Sandstein (es tut nichts zur Sache). Und wie draußen der Wind durch den Kirschbaum weht. Solcherart Schönheit ist erlaubt. Nicht aber, die Sprache selbst zu biegen. Den Rhythmus. Oder: die Melodie. Weil: Das ist manieriert. Ganz kurze Sätze mit Doppelpunkt: Das geht. Das ist nicht manieriert. Irgendwo hockt ein Rezensent, genau so geduckt wie die Schreibende. Er wagt es kaum, etwas Schlechtes über das Buch zu sagen, das so entstanden ist. Denn: Sie hat da sicherlich etwas rein gegossen, das ihr ganz wichtig ist. Aber eben: In diesem neuen deutschen Einheitsstil. Und deshalb kann der Rezensent nicht anders. Draußen weht noch immer der Wind durch den Kirschbaum. Weiße Blüten fallen.

Das Buch könnte einfach besser sein

Ernsthaft. Wie viele deutschsprachige Romane lesen sich mittlerweile so oder so ähnlich? Definitiv viel zu viele. Ich würde sagen, von den Rezension-Exemplaren, die ich bekomme, mittlerweile jeder zweite bis dritte. Kurze Sätze, ein Ausbruch daraus nur, wenn Dinge beschrieben werden. Vergleiche, aber keinesfalls Metaphern oder ausgedehnte Bilder. Und dann gerne noch ein gewisser Einschlag von Kindlichkeit. Wahrscheinlich wird dieser Stil auf den Schreibschulen gelehrt. Ich kann es mir nicht anders erklären. Aber auch nicht-schreib Schulabsolventen schließen sich an. Etwa Verena Günther mit ihrem Power, das klingt wie aus einer Hildesheim/Leipzig/Biel-maschine gepurzelt. Immerhin: Die Verkindlichung der Fokus-Perspektive, die die radikale Variante dieses Stils fast zwangsläufig mit sich bringt, ist in diesem Fall größtenteils gerechtfertigt. Denn die Protagonistin ist ein Kind. Allerdings wird der Stil im Großen und Ganzen auch da durchgehalten, wo die Fokus-Charaktere Erwachsene sind.

Ansonsten ist Power ein etwas komisches Buch, das höchstwahrscheinlich etwas ganz Besonderes ausdrücken soll, doch da nicht wirklich ankommt. Von den Behauptungen im Klappentext stimmt nicht viel. Ja, ein Kind geht auf die Suche nach einem Hund. Aber wo im Buch wird das Folgende hinreichend klar gemacht: “Kerze verteidigt ihr Dorf gegen den Schwund, sie ist hier fest verwurzelt.” Diesbezüglich erinnert Power an manchen Film, der es nötig hat, die Vorgeschichte in einem Textfeld zu erzählen. Ohne den Klappentext wäre (bzw. ist) das Setting sehr viel unklarer. Und wo ist die „Geschichte einer Radikalisierung“? Wer radikalisiert sich? Kerze sucht etwa die Hälfte der 200 Seiten erfolglos nach dem Hund, verhält sich dabei wie das letzte A******** (sie befiehlt etwa ihrer Mutter, Stefan Raab nicht lustig zu finden, ist immer böse und streng zur Auftraggeberin, arrogant gegenüber anderen Kindern), dann beginnen die Kinder sich selbst wie Hunde zu verhalten und verschwinden in den Wald. Soll das die Radikalisierung sein? Dann bleibt sie ohne Folgen. Nach einiger Zeit wird der Hund tot gefunden und die Kinder kommen zurück. Die Dorfbewohner sind derweil wütend auf Hitschke, die den Hund verloren hat, berufen eine Versammlung ein und versuchen, die Kinder zurückzubekommen. Aber: Die Wut auf Hitschke ist am Anfang am größten und selbst dann geschieht nichts besonders Schreckliches. Auch hier findet nicht wirklich eine Radikalisierung statt. Über diese etwas verquere Geschichte werden verschiedene Beziehungen und Verhältnisse im Dorf gestreift, am Ende kommt heraus, dass Hitschke sich selbst am Verschwinden des Hundes schuldig fühlt, weil sie ihn schlecht behandelt hat. Vielleicht könnte man das nun auf die Erwachsenen übertragen, denen die Kinder weggelaufen sind, und das als den tieferen Sinn des Romans betrachten. Aber: Im Gegensatz zum Hund komme die Kinder irgendwann eben freiwillig zurück, ohne dass es bei den Erwachsenen irgendeine Einsicht gab.

Und: so sehr die Kinder die Erwachsenen ausschließen, sie leben im Wald nicht anders oder besser. Kerze ist wirklich ein unglaublich schreckliches Kind. Sie regiert autoritär, wenn Leute ihren idiotischen Befehlen nicht folgen (die Kinder beschnüffeln sich unter anderem, um den Hunden ähnlicher zu werden, gegenseitig die Intimbereiche), zwingt sie sie dazu, Tannenzapfen zu essen. Auch das könnte natürlich eine tiefere Ebene des Buches sein: Es wird nicht besser, solange wir das Schlimme an unsere Kinder weitergeben. Andersherum aber: Das müsste man sich zurechtkonstruieren. Die Eltern treten nämlich keinesfalls so autoritär auf wie dieses Kind. Es sind dörfliche, doch nette, laissez-faire Eltern.

Die Crux mit dem Stil

Warum bin ich anfangs so sehr auf dem Einheitsstil herum geritten? Ganz einfach: Ich denke, das Buch hätte ohne diesen Stil deutlich besser werden können, als es geworden ist. Denn es gibt immerhin zu Denken, und gibt dabei keine leichten Antworten. Das ist an sich keine schlechte Voraussetzung für einen mehr als ordentlichen Roman. Im Falle von Röckels Der Vogelgott war es zuletzt sogar Voraussetzung für eines der seltenen neueren deutschsprachigen Meisterwerke. Aber der Stil von Power wirkt nicht wie für seinen Gegenstand geschaffen, sondern wie der Stil, mit dem man hofft, den Gegenstand derzeit einer möglichst großen Masse der gehobenen Leserschaft verkaufen zu können. Und es tut einfach weh, immer mehr Bücher zu lesen, die auf diese Weise ähnlich klingen. Das lässt dann die anderen Schwächen auch gleich noch deutlicher hervortreten.

Sören Heim

Sören Heim ist Journalist, Übersetzer und Schriftsteller. Er ist Träger des kosovarischen Preises für moderne Dichtung „Pena e Anton Pashkut“ (Stift des Anton Pashku) und des Sonderpreises „Favorit von Daniel Glattauer“ der art.experience 2014. In HeimSpiel schreibt Sören Heim mit Heimvorteil zu den Schnittpunkten von Kunst, Kultur und Gesellschaftspolitik. Er beleuchtet die unerwartete Bedeutung ästhetischer Fragestellungen für zeitgenössische Debatten, die mit Kunst auf den ersten Blick kaum Berührungspunkte haben. Und wo immer, sei es in der Politik, sei es in der Ökonomie, sei es gar im Sport, er auf geballten Unsinn und Unverstand trifft, wagt der Kolumnist auch das ein oder andere Auswärtsspiel. Bisher erschien die Kolumne HeimSpiel im Online-Debattenmagazin The European. Daneben veröffentlicht Heim in mehreren Literaturzeitschriften vornehmlich Lyrik und dichte Kurzprosa, und bloggt auf der eigenen Homepage aus seinem Zettelkasten. Monographien: Kleinstadtminiaturen: Ein Roman in 24 Bildern. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154181.Cover nur Front Gewogene Worte: Nachdichtungen aus dem Chinesischen. edition maya: 2016 – ISBN: 978-3930758463.cover kathaStrophen. Experimente in Rhythmus und Melodie. Chiliverlag: 2017 -ISBN: 978-3943292541.FrontCover 2_bleu Algenhumor: Gedichte für das dritte Jahrtausend. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154228.algen Audio-Exklusiv: La vie! La jeunesse! – Hörmordkartell 2017

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