Impfpflicht und Demokratie

Über eine Impfpflicht soll der Bundestag aufgrund von Gruppenanträgen entscheiden. Eine gute Idee? Die Samstags-Kolumne von Heinrich Schmitz


foto: picasa (gemeinfrei)

Gruppenanträge ohne die ungeschriebenen aber recht wirksamen Zwänge einer Fraktionsdisziplin sind ein gutes Mittel, um Gewissensfragen oder besonders bedeutsame Fragen im Bundestag zu diskutieren und zu entscheiden. So war das eigentlich gemeint mit dem freien Mandat der Abgeordneten, die ohne äußere Zwänge Entscheidungen treffen sollen und nicht aus parteipolitischen Gründen mitunter auch gegen ihre individuelle Überzeugung handeln müssen. Die Aufhebung der Fraktionsdisziplin kommt zwar immer mal wieder vor, ist aber eher selten.

Mehr Demokratie wagen?

Nun soll also das umstrittene Thema einer Impfpflicht gegen das Coronavirus auf diese Weise behandelt werden. Obwohl der Bundesgesundheitsminister Lauterbach wohl persönlich und auch als Bundestagsabgeordneter für eine Impfpflicht ist, gibt es dennoch keinen Gesetzentwurf der Ampel. Wie kömmt’s, hätte meine Tante Tonchen wohl gefragt.

Das kann man als große demokratische Geste der Regierenden betrachten, es kann aber genauso gut die Angst vor einer ersten großen parlamentarischen Niederlage der Ampelkoalition sein, die Lauterbach zu dieser Entscheidung gebracht. Klar, er hat ja recht, dass sein Ministerium allen parlamentarischen Gruppenanträgen logistisch unter die Arme greifen muss, aber das hätte ihn natürlich nicht daran gehindert, einen eigenen Gesetzesentwurf der Regierung vorzulegen. Wenn man allerdings damit rechnen muss, dass ein solcher Antrag nicht die notwendige Mehrheit im Bundestag bekommt, dann ist es schon clever, das unter dem Mantel des „Mehr-Demokratie-wagens“ gleich ganz dem Parlament zu überlassen. Dann sieht man wenigstens nicht, dass die Ampel mal ausgefallen ist und es nun an der Kreuzung kracht. Den Schwarzen Peter hat nun der Bundestag. Und dieses Kartenspiel endet bekanntlich, wenn alle Karten, bis auf eine, auf dem Tisch liegen.

Und dass die Ampel mit einer entsprechenden Mehrheit in den eigenen Reihen so ihre Probleme bekommen hätte, zeigt schon die Initiative des FDP-Geistes, der stets verneint, namens Kubicki und seiner Mitstreiter. Dazu die Stimmen von AfD, ein paar anthroposophisch- homöopathische Grüne und einer aus parteipolitischen Gründen gegen den Entwurf stimmenden CDU – schon wäre der schöne Entwurf der Regierung nur noch Makulatur.

Der große Vakzinator

Nun also Gruppenanträge. Die müssen, nein, eigentlich müssten sie nicht, aber sie werden halt, umfassend im Parlament debattiert werden. Und so was kann dauern. Zwischenzeitlich bläst der große Vakzinator Omikron unbeeindruckt zum Generalangriff auf die Ungeimpften und beweist gleichzeitig, dass der bisher verimpfte Stoff zwar in großem Maße vor Hospitalisierung und Tod, nicht aber vor Infektion schützt. Das ist dann blöde.

Wenn sich dann eine Mehrheit der Abgeordneten irgendwann einmal auf eine Impfpflicht verständigen sollte, könnte die sich schon erledigt haben. Und dann besteht ja auch noch das Risiko, dass das Bundesverfassungsgericht diese Impfpflicht – im Gegensatz zu der bei Masern oder Pocken – für verfassungswidrig erklären könnte. Denn bisher sieht es eben nicht so aus, als könnte das Virus mit einer Impfung tatsächlich ausgerottet werden. Und wenn das nicht so ist, dann schützt die Impfung eben in erster Linie das Individuum und weder die „Volksgesundheit“ noch das Gesundheitssystem. Ein Individuum aber vor sich selbst oder seiner Blödheit zu beschützen, ist nicht Aufgabe des Staates. Wer sich umbringen möchte, darf das tun und wer sich gerne einer potentiell tödlichen Krankheit aussetzen möchte, kann das ebenfalls machen. Vielleicht gibt es auf diese Weise ja auch eine biologische Lösung gegen das Schwurblertum. Wer weiß das schon.

Ich bin geimpft, geboostert, trage brav meine FFP2-Maske und meide größere Menschenansammlungen seit Monaten. Ich habe gerade eine 14 -tägige Quarantäne als Kontaktperson hinter mich gebracht, was so gar nicht lustig ist, wenn man einen großen Hund hat, dem man nicht erklären kann, warum nun der Spaziergang an der Grundstückgrenze endet. Aber ich fand das ganz okay, um andere nicht zu gefährden. Hätte ja sein können, dass ich mich trotz des Boosters symptomlos infiziert hätte, weil ich gezwungen wurde, zwei Wochen mit einem ebenfalls Geboosterten, aber infizierten und leicht Erkrankten unter einem Dach zu leben. Aber ich bin sicher, dass mein persönliches Ansteckungsrisiko deutlich niedriger gewesen wäre, wenn ich mich tagsüber alleine in meinem Büro aufgehalten hätte. Aber egal. So konnte ich wenigstens mal ohne Wecker ausschlafen und ein paar Netflix-Serien gucken.

Gehet hin und impft

Ich bin sehr dafür, die Impfkampagne noch mehr zu beschleunigen und zu impfen, was das Zeug hält. Ich bin dafür, neue Impfstoffe gegen neue Varianten zu entwickeln und würde mir auch die wieder spritzen lassen. Zu meinem Schutz und zum Wohlgefallen Lauterbachs und Drostens.

Die allegemeine Impfpflicht halte ich aber für verfassungsrechtlich problematisch. Eine Impfung ist, auch wenn es „nur ein Pieks“ ist,  unzweifelhaft ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit und kann deshalb nur verpflichtend sein, wenn sie auch erforderlich ist. Und da stellt sich schon die Frage, ob man die Ansteckungsgefahr für andere (und nur auf die kann es ankommen) einzig mittels Impfung reduzieren kann. Wenn hier schon Maskenauflagen, Kontaktbeschränkungen oder Testverpflichtungen ausreichen würden, wäre die Impfung eben nicht zwingend erforderlich und eine entsprechende Pflicht mehr als bedenklich.

Die Impfpflicht käme, wenn sie denn kommt, zu spät, zu spät , zu spät. Gestern betrug die Zahl der Neuinfektionen bereits über 92000 an einem Tag und das wird noch weiter explodieren. Sie lässt sich auch nicht wirklich durchsetzen, schon alleine, weil es kein nationales Impfregister gibt. Die Gesundheitsämter, die wohl für die Durchsetzung zuständig wären, sind ja schon damit überfordert, korrekte Zahlen an das RKI zu melden. Wie sollten die denn eine Impfpflicht überwachen können, wenn sie nicht einmal die Quarantäne überwachen?

Und die Impfpflicht würde den Diktaturlaberern und Spaziergängern weiteren Auftrieb geben und ihnen arglose Menschen in die weit geöffneten rechtsextremen Arme auf dem dritten Weg treiben. Das muss nicht sein. Jeder, der sich impfen lassen will, soll das tun dürfen und jeder, der es nicht will, soll die Konsequenzen am eigenen Leib erfahren und sei es nur, dass er nicht mehr in ein Restaurant reinkommt, bevor er irgendwann genesen ist. Wer sich in Gefahr begibt, kommt bekanntlich darin um. Und das ist dann auch okay. Es gibt ja auch Selbstmörder, die sich aus Angst vor dem Tod umbringen.

Ich beobachte mit Spannung, was der Bundestag nun zustande bringen wird. Dass es am Ende aber eine allgemeine Impfpflicht werden wird, glaube ich eher nicht.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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