“Du magst es dunkler?” Vom Hängen an Leonard Cohens Plattennadel
In seiner “Hörmal”-Kolumne erörtert und feiert unser Musikexperte Ulf Kubanke Leonard Cohens neues Meisterwerk “You Want It Darker”.
Ein Pessimist ist jemand, der auf Regen wartet. Aber ich bin schon nass bis auf die Haut. Die Zukunft ist düster. Doch gibt es auch eine wilde Hoffnung, wie Unkraut, das durch den Asphalt wächst. (Leonard Cohen)aaaaaaaa
Dies ist zwar in der für Cohen typisch kompromisslosen Art Teil eines jeden seiner in 50 Jahren entstandenen Alben. Hier jedoch umhüllt sich der innewohnende Geist endlich durchgehend mit einem musikalisch angemessenen Mantel. Denn seit „Various Positions“ (1984) wünscht man Cohen stets jenen Produzenten, den ein Mann seiner Größe verdient. Dieser findet sich 2016 in seinem Sohn Adam Cohen, der die Songs ebenso sensibel wie warm arrangiert und produziert. Das Ergebnis zeugt von einem tiefen, inneren Verständnis. Cohen jr. begreift die Lieder seines Vaters nicht nur. Er durchdringt sie bis auf die bloßen Knochen. Dabei gelingt ihm das Kunststück, die Stücke gleichzeitig zu verpacken wie auch deren Essenz frei zu legen.
Gigant unter Riesen
1. Der Titelsong als Schlüsselmoment: Schon der Opener und Titeltrack „You Want It Darker“ ist ein Gigant unter Riesen. Es wird nicht viel Zeit in die verheerten Lande gehen, bis man ihn flächendeckend als wichtigen Kernsong zwischen Schlüsselmomenten wie „Hallelujah“ oder „The Future“ platziert. Verdient hat er es musikalisch wie textlich allemal. Ein weiteres Mal stürzt Cohen sich in das Hadern und Ringen mit (s)einem Gott, der ihm noch immer zu viele Fragezeichen abverlangt.
Das Besondere bei Cohen: Er geht im Gegensatz zu den meisten Künstlern weder den Weg plumper Blasphemie oder schnappatmenden Atheismus. Noch kündigt er Gott die Freundschaft. Wohl aber gönnt er sich erdige, trotzende Herausforderung, indem er die Religion(en) an ihrer Schwachstelle kratzt. LC zeigt somit jenen Widerspruch auf, vor dem sich Theologen und Eiferer scheuen wie der Teufel vor Weihwasser.
Dieser Widerspruch, der Cohens Zorn erregt, ist der Umstand, dass Religionen zwar Liebe predigen, um schlussendlich meist in Streit, Zerstörung, Gewalt und Leid zu münden. Bereits vor Jahrzehnten tat er seinen Unmut ob dieses Paradoxons mehrfach kund; wenn auch eher in Interviews als im künstlerischen Vortrag. So deutlich wie hier wurde er er bislang nicht. Während große Teile der medialen Resonanz das Lied voreilig als ein “Loslassen und Abschied nehmen” missverstehen, packt Cohen hier so schmerzhaft fest zu wie selten zuvor. Sogar toughe Nihilisten müssen bei folgenden Zeilen (und dem gesamten Songtext) mehr als einmal schlucken.
There’s a lover in the story
But the story’s still the same.
There’s a lullaby for suffering
And a paradox to blame.
A million candles burning
for the love that never came.
You want it darker!
We kill the flame!
…Hineni, Hineni! I’m ready my Lord!
Der absolute Clou: Er degradiert seinen Gott nicht zur Mimose, er macht ihn nicht klein, in dem er sich devot oder hörig gäbe. Stattdesse redet er Tacheless über den irdischen Scherbenhaufen, das ganze Schlamassel. Simultan webt er – nicht doppel- sonder dreifachbödig – das Konzept des freien Willens einer weitgehend selbst gewählt unmündigen wie verrohten Menschheit ein. Die singemäße These/Frage an Gott: “Willst du es dunkler? Kein Problem. Sei einfach abwesend und warte, bis der “human circus” ganz selbstständig alles abfuckt und jede Flamme erstickt.” Gut gebrüllt, Löwe! Denn die Hölle sind nicht immer nur “die Anderen”. Wir alle stricken diese schwarze Naht gemeinsam. Trotz allem liebt er beide noch immer, die alte Hure Menschheit und den der Affäre entschwundenen Gott.
Weiser Mann? Eulenspiegel? Frechdachs?
Oh ja! Und alles in Weltklasseform!
Vor diesem Hintergrund ist das “Hineni!” Cohens ein ebenso zweischneidig Schwert wie der Glaube selbst. Es geht auf Abrahams “Herr, hier stehe ich und bin bereit!” zurück, als er scheinbar zur Opferung des eigenen Sohnes aufgefordert ward. Cohens Bereitschaft rangiert jenseits von Eden, jenseits von des Stammvaters blinden Gehorsams. Eine Hand bleibt ausgestreckt, die Zweite zur Faust geballt. Nicht umsonst nennt man Cohen nicht den “Schönredner” sondern den “Partisanen der Liebe”. Seine synkretistische Freigeistigkeit, die er als Zen-Mönch mit buddhistischer Philosophie (dort ohne Gottesfigur) schliff, erstrahlt in poliertem Glanz eines für uns alle möglichen, streitbaren Erkenntnisgewinns.
Kann Kunst mithin noch besser werden als gleichzeitig zu fragen, zu konfrontieren und zu umarmen? Nein, Cohen ist und bleibt der Father of Song. Denn wie kein anderer verknüpft er die Weisheit vieler Jahrhunderte mit dem frischen Blick eines hinterfragenden Kindes.
2. Zwei Versionen für die Ewigkeit: Und Ihr, liebe Leser? Ihr wollt es auch dunkler? Gern! Mit dem größten Vergnügen verlinke ich beide existenten Versionen des herausragenden Liedes. Zunachst die Albumversion:
Daneben gibt es noch den kongenialen Remix Paul Kalkbrenners (leider bislang nicht als Bonustrack auf der CD). Freimütig gebe ich zu: Es hat etwas gebraucht, bis Kalkis Remix bei mir so richtig ankam. Mittlerweile denke ich: Hat der Paul extrem gut gemacht! PK schlüpft in die Rolle des Yin zum Yang. Damit dient er dem Original optimal. Auf den ersten Blick mag die Hülle wie Zicken-Elektro wirken. Im zweiten Durchgang begreift man: Er bricht Cohen rhythmisch gekonnt aus dem Kontext des andächtigen Lauschens für Eingeweihte und führt den großen Kanadier auf den modernen Dancefloor, ohne ihn zu degradieren. Egal ob mit Bleifuß auf der Autobahn, beim Joggen, Workout oder Sex: Gönnt Euch diese Dynamik.
Gott sei Dank! Kein Prediger
3. Die Musik verführt auch ohne Text! So marianengrabentief seine Texte auch geraten. Cohen neigt sympathischerweise nicht zum Predigertum. All jene, denen der Sinn lediglich nach reinem Hörgenuss und erfühlbarer Musik steht, finden hier ebenso ihr ästhetisches Erlebnis. Deshalb spare ich mir nachfolgend ein weiteres Eingehen auf die restlichen Lyrics. Hier mag jeder nach eigenem Gusto erforschen, wie der Mann aus Montreal mit seiner Gegenwart und der schillernden Vergangenheit umgeht. Die Klänge jedoch führen ein vollkommen unabhängiges Eigenleben.
Immer wieder diese sanft glühende Sandpapierstimme. So vertraut und lieb gewonnen wie ein alter Baum. Doch Obacht! Mancher Ast birgt frische Triebe. „Traveling Light“ etwa glänzt mit weinselig flirrender Saitenhexerei in südosteuropäischer Manier. Edelgäste wie Kantor Gideon Zelemeyer (Titelsong) oder das elegische Cameo eines wohltuend dezent agierenden Männerchores in „It Seemed The Better Way“ sind nur zwei der neuen, maßgeschneiderten Ideen. Spätestens wenn der Hörer zum Ausklang im hypnotisch angerichteten Streicherensemble badet, wird er sich gewiss: 35 Minuten Cohen bieten zwar mehr als ganze Diskografie-Heerscharen vieler Songwriter. Aber sie sind verdammt noch mal viel zu kurz! Längst hängt man an der Plattennadel.
4. Fazit und Einordnung: Jedes neue Cohen-Abum erzeugt augenblicklich eine fast unheimliche Nähe, eine unwiderstehliche Intensität. Zwingt man sich jedoch – so schwer es fällt – ein paar Schritte zurück zu treten, weitet sich die Perspektive. Sie offenbart dem Auge unverkennbar: „You Want It Darker“ ist nicht etwa das letzte Kapitel in Cohens Schaffen (Er plant zwei weitere Scheiben.). Sehr wohl ist es jedoch der konsequente Abschluss jener Trilogie, die mit „Old Ideas“ (2012) und „Popular Problems“ (2014) begann. Teil eins bietet viel Geduld, Freundlichkeit und Zuneigung für einen mehr denn je aus den Fugen geratenen Planeten. Mit Teil zwei finden auszehrende Kriege, sowie der entweder rachsüchtige oder absente Gott ihre Analogie in den Schlachten zwischen Weib und Mann. Und auf dieser Platte geht es mit Götter- wie Menscheitsdämmerung erst so richtig ans Eingemachte. Alles was hoffentlich noch folgen mag, wird jenseits dieses losen Zusammenhangs stehen.
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