„Zu deutsch?“ Formfragen in der Debatte
Gerade heraus dafür oder dagegen. So debattiere man auf Englisch, lehrte man uns an der Uni. Gibt es deutsche und englische Debatten? Oder übersieht diese Klassifikation vielleicht ein paar wichtige Details?
Too german – zu deutsch. Das schrieb mir ein deutscher Dozent für englische Linguistik gerne mehrfach an den Rand meiner Hausarbeiten. Nicht etwa für Sätze, die im strengen Sinne grammatikalisch falsches Englisch wären, sondern für Satzkonstruktionen, die ein Phänomen in mehreren Facetten beleuchtend, abwägend, einen Gedanken genau nachvollziehen wollend sich hierhin und dorthin wenden, ohne am Ende in einer prägnanten Pointe zu gipfeln. Sätze wie der vorangehende etwa.
Landesspezifische Debattenstile?
Natürlich wirkt eine Unterteilung von Argumentationsstilen nach Landesgrenzen relativ borniert, und es ist zumindest fraglich ob Punktabzug für nicht falsches aber unidiomatisches Englisch in einer Hausarbeit nicht zumindest anzufechten gewesen wäre. Recht hatte der betreffende Dozent aber wenigstens so weit: An meinem Schreibstil, wenn ich ihn nicht zwanghaft in bestimmte Bahnen lenke, erkennt man auch im Englischen den Nicht-, wahrscheinlich aber sogar den Deutsch-Muttersprachler.
Denn tatsächlich hat sich im Englischen ausgehend unter anderem von Bacon eine ganz andere Essaystradition entwickelt als etwa im Deutschen, wo sich auch bei seinen größten Gegnern noch Überbleibsel des kreisenden, einkreisenden Denkens des deutschen Idealismus wiederfinden (allerdings wäre ein Schreiben im Stile Bacons heute meinem damaligen Dozenten längst „much too german“).
In der Anglistik wurde dann das essayistische Schreiben auch tatsächlich entsprechend gelehrt: „Choose a side, and stick to it“. Wähle eine Seite und halte daran fest. Mögliche Einwände sollten am besten nicht einmal zwecks vorausschauender Widerlegung angeführt werden, um die eigene Position nicht zu schwächen. Debattierclubs, in denen die unsinnigsten Positionen vor allem stringent verteidigt werden müssen, sind der spaßigste Auswuchs dieses Verfahrens – das amerikanische Rechtssystem, in dem man anders als im deutschen gar nicht erst versucht die Fiktion aufrecht zu erhalten ein Staatsanwalt könne unparteiisch in alle Richtungen ermitteln, womöglich dessen Verstaatlichung.
Sir Francis Bacon überall?
Und es handelt sich, sollte man meinen, letztlich um eine durchweg siegreiche Haltung. Denn längst wird auch der deutschsprachige Schreiberling von seinen Kritikern regelmäßig angepöbelt, er solle doch gefälligst seine Kritik deutlicher machen, er stehe ja wohl, wenn er sich nicht klar für oder gegen einen Standpunkt bekennen könne, auf der jeweils anderen Seite.
So wird ein Liberaler, der sich für staatliche Bildung zwecks Chancengleichheit ausspricht, direkt mal als Sozialist gebrandmarkt, ein Akif Pirincci erfährt Lob dafür, dass er „völlig undifferenziert einfach darauf los [poltert]“. Es scheint als seien es derzeit gerade die besonders stolzen Deutschen, die dem englischen Stil a la Bacon zu seinem letzten Sieg im Mutterland des Idealismus verhelfen. Das klingt nach einer guten Pointe. Doch kann das sein?
Eine überraschende Wendung!
I wo. Die dialektische Volte kommt ja noch. Denn der kämpferische „britische“ Stil ist ein spielerischer, der in den Debattierclubs ebenso wie im antagonistisch aufgebauten britischen Unterhaus darauf vertraut, dass nicht in einem einzelnen Geist, sondern im tatsächlichen Ringen der Kräfte sich am Ende Positionen ergeben, die im Streit über das reine Widerstreiten hinausweisen. Das ist eine Debattenkultur, wie sie nur im Vertrauen auf ein stabiles gesellschaftliches Gefüge erwachsen kann, in dem der Gegner bei Tage abends durchaus der gute Kumpel sein kann, in dem der Sieg über den anderen nicht auf dessen Unterwerfung zielt. „Too german – zu deutsch.“ – Das würde mein alter Dozent wohl auch den Parteigängern Pirinccis und den zahlreichen Kommentarspalten-Pegidisten ins Stammbuch schreiben. Und selten träfe er den Nagel so auf den Kopf wie in diesem Fall.
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