Kein „eigener Weg zum Sozialismus“ – Anmerkungen zur Sowjetisierung der „Volksdemokratien“

In der Zwischenkriegszeit war die Sowjetunion durch den sogenannten „Cordon sanitaire“ von der Außenwelt abgeriegelt. In den osteuropäischen Staaten, die sich in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft befanden, herrschten in der Regel antisowjetische Regime. Sie wurden von Moskau als Vorposten des „kapitalistischen Klassengegners“ angesehen. Vor etwa 80 Jahren gerieten aber beinahe alle diese Länder unter sowjetische Hegemonie. Historische Kolumne von Leonid Luks.


Die Entstehung des „äußeren“ Sowjetimperiums

Die Ausdehnung der sowjetischen Einflusssphäre bis zur Elbe war bekanntlich damit verbunden, dass die Bezwingung Hitlers ohne Stalin nicht möglich gewesen war. Das Bündnis mit Stalin erforderte aber einen Preis, den vor allem die Völker der östlichen Hälfte Europas bezahlen mussten. Sie hatten also nicht nur für den Krieg, sondern auch für den Frieden einen viel höheren Preis zu bezahlen als die Völker des Westens.

Auf der Jalta-Konferenz der Alliierten im Februar 1945 wurde eine Erklärung über das befreite Europa proklamiert. Jedem Land, das von der NS-Herrschaft befreit worden war, wurden freie und demokratisch gewählte Regierungen versprochen. Dennoch war es nur ein Lippenbekenntnis der Großen Drei. Westliche Staatsmänner waren sich wohl darüber im Klaren, dass eine Beachtung der demokratischen Spielregeln für den sowjetischen Diktator in dem von ihm kontrollierten Teil Europas nicht in Frage kam. Der damalige sowjetische Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten, Wjatscheslaw Molotow, erinnert sich, dass er seine Zweifel gehabt hätte, ob die Sowjetunion eine solche Erklärung unterschreiben solle. Stalin habe indes keine Bedenken gehabt. Er sagte:

Wir werden (diese Erklärung) auf unsere Art in die Wirklichkeit umsetzen. Alles hängt vom Kräfteverhältnis ab.

Und die sowjetische Lesart dieser Erklärung bestand darin, dass die UdSSR nur denjenigen politischen Kräften Osteuropas die Teilnahme an politischen Entscheidungsprozessen gestattete, die aus ihrer Sicht „demokratisch“ und nicht „volksfeindlich“ waren. Und in die Kategorie der „volksfeindlichen Kräfte“ sollte im Laufe der Zeit eine immer größere Zahl der politischen Gruppierungen geraten, bis schließlich nur die Kommunisten und ihre Marionetten auf der politischen Bühne übrigblieben.

Nun möchte ich auf diesen Prozess der Sowjetisierung der Staaten im sogenannten „äußeren Sowjetimperium“ etwas genauer eingehen.

Die Widersprüchlichkeit der Stalinschen Osteuropa-Politik

Der amerikanische Diplomat und Historiker George F. Kennan hatte 1945 die Ansicht vertreten, die UdSSR werde die Ausdehnung ihres Machtbereiches bis zur Elbe kaum verkraften, er sagte auch den baldigen Zusammenbruch ihrer Hegemonie voraus. In Wirklichkeit bereitete es aber der Sowjetunion keine allzu großen Schwierigkeiten, Ostmitteleuropa zu kontrollieren.

Die relativ problemlose Kontrolle Ostmitteleuropas verwundert, wenn man bedenkt, dass die kommunistischen Parteien der Region – das wichtigste Instrument der Moskauer Hegemonialpolitik – vor 1945, sieht man von der Tschechoslowakei und Jugoslawien ab, im politischen Spektrum der jeweiligen Länder nur Randerscheinungen darstellten. So zählte die rumänische KP im August 1944 etwa 1.000 Mitglieder, die bulgarische im September 1944 25.000, die polnische und die ungarische im Januar 1945 jeweils etwa 30 000. Trotz ihrer zahlenmäßigen Schwäche kontrollierten allerdings die kommunistischen Parteien in den damals entstandenen Koalitionsregierungen mit den anderen „antifaschistischen Kräften“ alle Schlüsselpositionen und entschieden, natürlich gemeinsam mit Moskau, über das Schicksal der Region. Um die Unterstützung breiterer Bevölkerungsschichten zu gewinnen, begannen sie einen brutalen Feldzug gegen die alten, halbfeudalen Machteliten, die seit Jahrhunderten die meisten Länder der Region beherrschten. Von Moskau wurden sie zu einem noch radikaleren Vorgehen angespornt. Ende September 1944 belehrte Stalin einige Führer der Polnischen Arbeiterpartei (PPR), die sich in Moskau aufhielten:

Es geht um die Beseitigung einer ganzen Klasse … Solche Revolutionen werden nicht unter Beachtung bestehender Rechtsnormen vollbracht, … (sondern) sie werden mit revolutionären Methoden durchgeführt

.Aber die Kreml-Führung verlangte von ihren osteuropäischen Satrapen nicht nur revolutionäre Härte und Unduldsamkeit. Aus Rücksicht auf die westlichen Verbündeten der UdSSR mussten sie auch in einem demokratischen Gewand auftreten. Sie hatten zu betonen, dass sie keine Übernahme des sowjetischen Modells anstrebten, dass in ihrem jeweiligen Staat alle „demokratischen“ und „antifaschistischen“ Kräfte Platz hätten.

Um das „demokratische Gesicht“ zu wahren, musste der Vorsitzende des von den Kommunisten dominierten Polnischen Nationalrates, Bolesław Bierut, sogar vorübergehend aus der PPR austreten, was er nur sehr unwillig tat. Er versuchte sich diesem Befehl Stalins zu widersetzen – vergeblich. Stalin bestand darauf. Dieses Opfer sei notwendig, denn sonst würden die Westmächte Bierut als Vorsitzenden des Nationalrates nicht akzeptieren.

Der „deutsche Weg zum Sozialismus“?

Auch die Deutschlandpolitik Moskaus gestaltete sich zunächst relativ flexibel. Die SBZ war die erste Besatzungszone, in der die Bildung von politischen Parteien erlaubt wurde – dies geschah bereits am 10.6.1945. Diese Entwicklung beunruhigte die Westmächte. Im britischen Außenministerium wurde dazu Mitte Juli 1945 vermerkt: „Die bloße Tatsache, dass es auf östlicher Seite deutsche Parteien gebe, während es in den westlichen Landesteilen noch an solchen fehle, stärke die Position Moskaus“.

Die KPD, die sich am 11. Juni 1945 in der SBZ neu gründete, betonte, dass ihr Ziel keineswegs die „Diktatur des Proletariats“, sondern die Vollendung der „bürgerlich-demokratischen Revolution“ sei.  In ihrem Aufruf vom gleichen Tag hob sie hervor,

dass der Weg, Deutschland das Sowjetsystem aufzuzwingen, falsch wäre“. Dieser Weg entspreche nicht „den gegenwärtigen Entwicklungsbedingungen in Deutschland.

Anfang 1946 wurde auch die These vom „besonderen deutschen Weg zum Sozialismus“ formuliert. Sie sollte den Sozialdemokraten der SBZ den Zusammenschluss mit der KPD erleichtern. Die sowjetischen Behörden forcierten diesen Einigungsprozess, um die KPD, die zur Zeit ihrer Neugründung nur eine Randerscheinung im damaligen Deutschland darstellte, aus ihrer Isolation zu befreien. Die neugegründete KPD litt von Anfang an am Mangel an erfahrenen Führungskadern. Stalin misstraute denjenigen Kommunisten, die sich während der nationalsozialistischen Herrschaftsperiode im westlichen Exil oder in Deutschland befunden hatten. Als völlig zuverlässig galten nur die „Moskauer Kader“ – also die deutschen Kommunisten, die seit Jahren im sowjetischen Exil gelebt hatten. Diese Kommunisten waren wiederum zur Zeit der Säuberungen der Jahre 1936-38 außerordentlich stark dezimiert worden. So lebten in der Sowjetunion 1945 nach Berechnungen einiger Autoren nur etwa 600 KPD-Mitglieder, ungefähr 200 von ihnen kehrten nach Deutschland zurück und wurden zum Führungskern der neugegründeten KPD, dann der im April 1946 gegründeten SED und schließlich der im Oktober 1949 errichteten DDR.

Die Politik, die die UdSSR in der SBZ verfolgte, war derjenigen in den von Moskau abhängigen Staaten Osteuropas zum Verwechseln ähnlich.

„Jeder führt sein eigenes System ein“

Stalin verfolgte zunächst in Osteuropa eine zweigleisige Politik, die den Historikern bis heute Kopfzerbrechen bereitet. So wird in diesem Zusammenhang häufig die Aussage Stalins vom Frühjahr 1945 angeführt, die im Gespräch mit der jugoslawischen Führung fiel, und die Milovan Djilas folgendermaßen zitiert:

Dieser Krieg ist nicht wie in der Vergangenheit; wer immer ein Gebiet besetzt, erlegt ihm auch sein eigenes System auf. Jeder führt sein eigenes System ein, so weit seine Armee vordringen kann. Es kann gar nicht anders sein.

Die osteuropäischen Kommunisten, die seit 1944/45 alle Machthebel in ihren jeweiligen Ländern kontrollierten, wären durchaus im Stande gewesen, dieses von Stalin formulierte Programm sofort zu verwirklichen. Die sowjetischen Truppen stellten damals den bei Weitem wichtigsten Machtfaktor in der gesamten Region dar. Und sie wären ohne Weiteres in der Lage gewesen, jeden Widerstand gegen die kommunistische Revolution von oben im Keime zu ersticken. Trotzdem entschied sich Stalin zunächst für die Fortsetzung der im Kriege entstandenen Koalitionspolitik mit den sog. „antifaschistischen“ Kräften. Warum? Nur aus Rücksicht auf die Westmächte? Diese Frage lässt sich nicht eindeutig beantworten. Eines steht aber fest. Die damalige Politik Moskaus in Osteuropa war höchst ambivalent, sie löste bei den Kommunisten der Region nicht selten Verwirrung aus. Einige nahmen die Aufforderung Moskaus zu einer Fortsetzung der „antifaschistischen“ Allianz ernst. Zu ihnen gehörte auch der Generalsekretär des ZK der PPR, Władysław Gomułka: „Wir errichten keine Sowjetmacht“, verkündete Gomulka auf dem ZK-Plenum der PPR im Mai 1945. Der neue polnische Staat solle einen demokratischen und pluralistischen Charakter haben.

Diese entschiedene Ablehnung des sowjetischen Modells durch Gomułka irritierte die Moskauer Führung. Da ihre Politik gegenüber den osteuropäischen Staaten zunächst noch zweideutig und widersprüchlich war, stellte sie all diejenigen osteuropäischen Kommunisten an den Pranger, die sich eindeutig gegen oder für die Sowjetisierung ihrer jeweiligen Länder aussprachen. So wurden die jugoslawischen Kommunisten für ihr allzu radikales Vorgehen, für die Missachtung der pseudodemokratischen Formen kritisiert, die polnischen hingegen für einen allzu behutsamen Kurs. Die sowjetische Führung hatte im Grunde große Schwierigkeiten mit der theoretischen Einordnung der Regime, die 1944/45 an ihrer westlichen Peripherie entstanden.

Der Führer der bulgarischen KP, Georgi Dimitroff, hob z.B. Mitte 1946 hervor:

Unsere derzeitige Aufgabe ist weder die Verwirklichung des Sozialismus noch die Einführung eines sowjetischen Systems, sondern die Konsolidierung des demokratischen und parlamentarischen Regimes.

Wie ließ sich aber das demokratische und parlamentarische Regime mit der Konzentration aller Machthebel im Staate in den Händen einer politischen Kraft vereinbaren, die, wenn man von der Tschechoslowakei oder von Jugoslawien absieht, nur ein kleines Segment der jeweiligen Gesellschaft repräsentierte? Die verheerende Niederlage der ungarischen Kommunisten bei den Parlamentswahlen vom November 1945, bei denen die de facto herrschende Partei nur 17% der Stimmen erhielt, veranschaulichte deutlich diesen Sachverhalt. Nur eine gänzliche Ausschaltung der demokratischen Mechanismen konnte die Hegemonie der Kommunisten in der Region auf Dauer sichern. Die osteuropäischen Kommunisten hatten bereits von den Bolschewiki gelernt, dass der Wille der Bevölkerungsmehrheit keinen Respekt verdiene, wenn er die Macht der „Werktätigen“ und ihrer „Avantgarde“ gefährdete. Im Januar 1918 hatte Lenin die Verfassunggebende Versammlung in Russland mit ihrer nichtbolschewistischen Mehrheit sprengen lassen, und zwar mit Hilfe dieser Argumentation. Sollten die polnischen, ungarischen, rumänischen oder die deutschen Kommunisten in dieser Beziehung mehr Skrupel haben als seinerzeit das von ihnen so bewunderte Vorbild? So begannen die neuen Machthaber in ganz Osteuropa mit Hilfe der berühmt gewordenen „Salami“-Taktik (der Begriff wurde vom Führer der ungarischen Kommunisten, Mátyás Rákosi, geprägt), die Oppositionsgruppierungen Stück für Stück ihrer Eigenständigkeit zu berauben und in Marionetten des Regimes zu verwandeln.

Die letzten Verbindungen zwischen den beiden Blöcken wurden im Laufe des Jahres 1947 abgebrochen. Koalitionsregierungen in den „Volksdemokratien“ wurden immer stärker zur Farce. Nur diejenigen Parteien wurden geduldet, die sich den Kommunisten gänzlich unterwarfen. Die Infrastruktur der oppositionellen Parteien wurde zerschlagen, ihre Führer verhaftet oder zur Flucht aus dem Lande gezwungen.

Die Tatsache, dass die Westmächte auf die „Salami“-Taktik der osteuropäischen Kommunisten, auf die Verletzung der elementarsten demokratischen Spielregeln, nur mit verbalen Protesten reagierten, steigerte die Aggressivität Moskaus. Pseudodemokratische Täuschungs- und Tarnmanöver wurden allmählich als überflüssig empfunden. Dies vor allem seit der Gründung des Kommunistischen Informationsbüros (Kominform) im September 1947, das der verstärkten Disziplinierung der kommunistischen Parteien und der beschleunigten Sowjetisierung der osteuropäischen Vasallen Moskaus dienen sollte. Um ihre Forderungen gegenüber den anderen kommunistischen Parteien besser durchsetzen zu können, wollte die sowjetische Führung nun nicht nur in ihrem eigenen Namen, sondern quasi im Namen einer anerkannten internationalen Organisation sprechen.

Die erste Etappe der Gleichschaltung der „Volksdemokratien“ wurde durch ein spektakuläres und dramatisches Ereignis besiegelt, nämlich durch den kommunistischen Staatsstreich in Prag vom Februar 1948, der zur endgültigen Ausschaltung der bürgerlichen Koalitionspartner der Kommunisten aus der Regierung führte.

Der sowjetisch-jugoslawische Konflikt und seine Folgen

Unmittelbar nach diesem Ereignis begann das zweite Stadium der Disziplinierung des Ostblocks. Eingeleitet wurde es durch den sowjetisch-jugoslawischen Konflikt. Der ungarisch-französische Historiker François Fejtö sagt, der Staatsstreich in Prag sei zwar eine Überraschung, aber keine Sensation gewesen, denn die ganze Entwicklung der letzten Jahre in der Tschechoslowakei habe sich praktisch in diese Richtung bewegt. Sensationell für die Außenstehenden hingegen sei der Bruch Jugoslawiens mit der Sowjetunion gewesen. Die jugoslawischen Kommunisten gehörten zu den radikalsten im ganzen Ostblock. Die von Stalin in den Jahren 1945/46 geforderten Kompromisse mit den bürgerlich-liberalen Kräften wurden von Tito systematisch sabotiert. Bereits Ende 1945 unterdrückte die jugoslawische KP alle oppositionellen Parteien und führte radikale wirtschaftliche und soziale Reformen durch. Die jugoslawischen Kommunisten waren also auf diesem Gebiet allen anderen Ostblockstaaten um etwa zwei Jahre voraus. Da sie aber aus eigener Initiative handelten und die sowjetische Einmischung in die innerjugoslawischen Angelegenheiten nur ungern duldeten, wurden sie von Stalin von Anfang an mit großem Misstrauen betrachtet. Stalin schätzte bei den Kommunisten weniger den ideologischen Eifer als vielmehr deren Bereitschaft, bedingungslos zu gehorchen. Immer häufiger warfen sowjetische Politiker, Diplomaten und Militärs der jugoslawischen Führung vor, sie unterschätze den Beitrag, den die Rote Armee bei der Befreiung Jugoslawiens geleistet habe, verkläre die von Tito entwickelte Militärstrategie und unterschätze das militärische „Genie“ Stalins.

Um auf Tito Druck auszuüben, unterstützte Moskau immer stärker die prosowjetische Fraktion innerhalb der jugoslawischen KP. Diese Fraktion wurde praktisch aufgefordert, Tito zu stürzen. Tito kam allerdings Stalin zuvor und ließ die potenziellen Verschwörer verhaften.

Als Stalin der jugoslawischen Führung Eitelkeit vorwarf und die verhafteten Funktionäre in Schutz nahm, antwortete Tito: Er habe aus dem „Kurzen Lehrgang der Geschichte der WKP(b)“ gelernt, man müsse, um den Sieg des Proletariats zu sichern, vor allem die Führung der Partei von Kapitulanten, Deserteuren und Verrätern säubern.

Der sowjetisch-jugoslawische Konflikt hatte eine Art Signalcharakter für den gesamten Ostblock. Der Terror, der vorher praktisch nur gegen Nicht-Kommunisten gerichtet worden war, sprang nun auf die kommunistischen Parteien über. In allen kommunistischen Parteien des Ostblocks gab es Kräfte, die von einem mehr oder weniger nationalen Weg zum Sozialismus träumten. Allerdings war die Ausgangsposition dieser „nationalen“ Kommunisten, wenn man sie mit derjenigen der jugoslawischen KP vergleicht, äußerst ungünstig. Jugoslawien war das einzige Land Osteuropas, das sich von der nationalsozialistischen Okkupation weitgehend selbst hatte befreien können. Die sowjetische Militärverwaltung hatte in Jugoslawien nicht allzu viel zu sagen. Alle anderen Länder Osteuropas standen demgegenüber unter dem gewaltigen militärischen und politischen Druck Moskaus. Daher hatten die „nationalen“ Kommunisten dort wenig Spielraum. Gegen diese Kräfte begann Ende 1948 ein vernichtender Feldzug. Man bezichtigte sie der titoistischen Abweichung, sie wurden in Schauprozessen zu Renegaten und Agenten des Imperialismus abgestempelt. Viele von ihnen wurden zum Tode verurteilt und hingerichtet, so der ehemalige ungarische Innenminister László Rajk oder der führende bulgarische Kommunist Trajtscho Kostow. Alle diese Prozesse waren in gewisser Hinsicht stellvertretend für einen Prozess gegen Tito konzipiert, der zum großen Bedauern Stalins nicht stattfinden konnte.

Parallelen zu den Schauprozessen in den 1930er Jahren in der Sowjetunion selbst sind augenfällig. Auch die damaligen Prozesse waren nicht zuletzt gegen einen großen Abwesenden – gegen Lew Trotzki – gerichtet. Der Kampf gegen den sog. Trotzkismus, der für Tausende von Kommunisten in den 1930er Jahren tödlich enden sollte, hatte zur Gleichschaltung der bolschewistischen Partei und der Kommunistischen Internationale wesentlich beigetragen. Zehn Jahre später spielte der Kampf gegen den sog. „Titoismus“ eine ähnliche Rolle im Bezug auf die „Volksdemokratien“.

Innerhalb von wenigen Jahren sollten nun die „Volksdemokratien“ Entwicklungen nachholen, die in der Sowjetunion seinerzeit einige Jahrzehnte in Anspruch genommen hatten. Die herrschenden Parteien verwandelten sich dort, ähnlich wie seinerzeit in der Sowjetunion, in Vehikel einer bürokratisch durchgeführten politischen, wirtschaftlich-sozialen und kulturellen Revolution von oben.  Erst ab 1948/49 wurde jeder dieser Staaten zu einer Sowjetunion en miniature mit einem „Mini-Stalin“ und Terrororganen an der Spitze, die beinahe alle Lebensbereiche der Gesellschaft lückenlos kontrollierten. Die Periode, in der die „Volksdemokratien“ als ein neuer Typ der Demokratie definiert wurden, der sich qualitativ vom sowjetischen Regime unterschied, war nun vorbei. Dimitroff, der noch 1946 erklärt hatte, das Ziel der Volksdemokratien sei „weder die Verwirklichung des Sozialismus noch die Einführung eines sowjetischen Systems“, argumentierte zwei Jahre später ganz anders: Nach der marxistisch-leninistischen Lehre seien das sowjetische System und das volksdemokratische System nur zwei Formen ein und derselben Macht, der Macht der Arbeiterklasse. Dies seien zwei Formen der proletarischen Diktatur.

Kehrt die „Jalta-Ordnung“ zurück?

Bei seinen öffentlichen Auftritten bezieht sich Wladimir Putin wiederholt auf die Geschichtsperioden, in denen Russland zu den wichtigsten Stützen der bestehenden internationalen Ordnung zählte. In seiner Rede vom September 2013 lobte er z.B. die vom Wiener Kongress von 1815 und von der Jalta-Konferenz vom Februar 1945 geprägten Systeme, die Europa jeweils eine lange Friedensperiode gesichert hätten. Dabei lässt Putin den entscheidenden Unterschied zwischen der damaligen Rolle Russlands bzw. der UdSSR im europäischen Konzert der Mächte und seiner eigenen Außenpolitik außer Acht. Denn anders als nach dem Wiener Kongress und nach Jalta handelt es sich bei Russland unter der Präsidentschaft Putins nicht um einen Bewahrer des Status-quo-Prinzips, sondern um eine ausgesprochen revisionistische Macht, die nach einer Wiederherstellung ihrer früheren Einflusssphäre strebt, die ihr infolge der friedlichen Revolutionen in Osteuropa (1989–1991) verloren ging: „Russland wird sich in alle Richtungen ausdehnen“, verkündete vor Kurzem der ehemalige enge Mitarbeiter Putins, Wladislaw Surkow: „Die Russische Welt kennt keine Grenzen“, so Surkow. Die Tatsache, dass im Weißen Haus jetzt ein Präsident sitzt, der manche völkerrechtlich anerkannte Staatsgrenzen ebenfalls in Frage stellt, könnte dem Putinschen Revisionismus einen neuen Auftrieb verleihen. Kleinere Staaten könnten sich nun erneut, ähnlich wie dies in den früheren Epochen oft der Fall war, in eine Manövriermasse in den Händen der Großmächte verwandeln. Wird es aber Putin gelingen, die von ihm verklärte „Jalta-Ordnung“, wenn auch in einem neuen Gewand, wiederherzustellen?  Dies, ungeachtet der Tatsache, dass das Machtpotenzial des heutigen Russland sich mit demjenigen der untergegangenen UdSSR überhaupt nicht messen lassen kann? Die Zukunft wird es zeigen.

Leonid Luks

Der Prof. em. für Mittel- und Osteuropäische Zeitgeschichte an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt wurde 1947 in Sverdlovsk (heute Ekaterinburg) geboren. Er studierte in Jerusalem und München. Von 1989 bis 1995 war er stellvertretender Leiter der Osteuropa-Redaktion der Deutschen Welle und zugleich Privatdozent und apl. Professor an der Universität Köln. Bis 2012 war er Inhaber des Lehrstuhls für Mittel- und Osteuropäische Zeitgeschichte an der KU Eichstätt-Ingolstadt. Er ist Geschäftsführender Herausgeber der Zeitschrift Forum für osteuropäische Ideen- und Zeitgeschichte.

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