Teurer Rasen

Der Bundesrat hat gestern den neuen Bußgeldkatalog durchgewunken. Jetzt muss nur noch der Verkehrsminister unterschreiben und 3 Wochen später gelten dann die neuen Regeln. Eine Kolumne von Heinrich Schmitz


Bild von Doris Metternich auf Pixabay

Bereits im letzten Jahr hatte sich der Bundesverkehrsminister schon mal an einem neuen Bußgeldkatalog versucht. Da wären Raser viel schneller zu Fuß gegangen, weil es bereits ab 21 km/h zu schnell einen Monat Fahrverbot gegeben hätte. Aber wie so manches aus dem Hause Scheuer war das Gesetz aus formaljuristischen Gründen nicht rechtmäßig und musste erst mal wieder eingestampft werden. Nachdem es jede Menge Proteste gab, sehen die Sanktionen in der Neufassung leider wieder viel Raser-freundlicher aus.

Okay. Knollen werden etwas teurer. Die bisher geltenden Verwarngelder für Geschwindigkeits-überschreitungen (da gibt’s bei Scrabbel mehr Punkte für) bis 20 Kilometer pro Stunde werden verdoppelt. So werden bei einer Tempoüberschreitung innerorts von bis zu 10 km/h 30 Euro statt 15 fällig, bei einer Tempoüberschreitung von 11–15 km/h 50 Euro statt 25 Euro und von 16–20 km/h 70 Euro statt 35 Euro. Im schlimmsten Fall also so eben mal der Gegenwert einer Tankfüllung.

Zu wenig

Aus meiner Sicht viel zu wenig. So etwas muss weh tun. Und nichts tut dem Raser mehr weh als ein Fahrverbot. Nach dem alten Entwurf wäre man ab 21 km/h zu viel mit einem Monat Fahrverbot belegt worden; das gibt es jetzt erst wieder ab 41 km/h oder aber auch ab 26 km/h, wenn man in den letzten 12 Monaten schon mal soviel oder noch schneller unterwegs war.

Für normale Pkw bis 3,5 t gelten bei Geschwindigkeitsüberschreitungen künftig folgende Geldbußen in Euro:

innerorts außerorts
Überschreitung in km/h BKat neu BKat neu
bis 10 30 20
11 – 15 50 40
16 – 20 70 60
21 – 25 115 100
26 – 30 180 150
31 – 40 260 200
41 – 50 400 320
51 – 60 560 480
61 – 70 700 600
über 70 800 700

Quelle: Bundesverkehrsministerium

Diese im internationalen Vergleich immer noch viel zu niedrigen Bußgelder werden wohl kaum einen Raser wirklich schrecken. Insbesondere auch, weil das Risiko beim zu schnell Fahren überhaupt erwischt zu werden, immer noch viel zu gering ist.

Kurve bekommen

Ein kleines Beispiel. Meine Kanzlei liegt an einem Schulweg hinter einer Kurve in einer 30er-Zone. Das scheint die motorisierten Verkehrsteilnehmer aber nicht wirklich zu interessieren. Wenn ich insbesondere in den Abendstunden die Straße überqueren möchte, ist das mitunter ein lebensgefährliches Unterfangen. Die Autos kommen um die Kurve geschossen, d.h. sie fahren mehr oder weniger blind in den Bereich hinter der Kurve ein. Ja, ab und an, so ca. einmal im Quartal wird auf der gegenüberliegenden Straßenseite „geblitzt“. Aber leider bisher nur tagsüber, wenn eine gewisse Verkehrsdichte den Verkehr durchaus etwas bremst. Meine Frage, warum denn hier nicht häufiger Geschwindigkeitskontrollen durchgeführt würden, wenn sie doch gefühlt jeden 2. Autofahrer rauswinken, wurde mit Personalmangel beantwortet. Und warum sie denn nicht mal in den frühen Abendstunden messen würden mit noch mehr Personalmangel. Das bedeutet ganz konkret, dass das Risiko erwischt zu werden, das sogenannte Entdeckungsrisiko, nur sehr gering ist.

Das führt dann dazu, dass mancher Autofahrer geradezu um die Kurve schleudert und der ein oder andere dann auch mal hinter der Kurve über den Bürgersteig in eine Hauswand rast. Da kann man sich das Schild auch gleich schenken. Warum an solchen Stellen keine stationäre Messstation aufgestellt wird, weiß der Geier. Das Teil hätte sich schnell amortisiert.

Gefahr

Gerade in diesem nur „etwas schneller als erlaubt“ liegt ein ernsthaftes Problem. So machen sich die Schnellfahrer, die empört von sich weisen, Raser zu sein, vermutlich gar keine Gedanken über die physikalischen Auswirkungen von etwas mehr Geschwindigkeit.

Nimmt man nur einmal die Gefährdung von Fußgängern, so liegt die Wahrscheinlichkeit, tödlich verletzt zu werden, bei 30 km/h Anprallgeschwindigkeit um die 5 Prozent, bei 50 km/h um die 40 Prozent und bei 70 km/h um die 90 Prozent. Das bedeutet, dass jemand der „nur“ 20 Stundenkilometer in einer 30er-Zone zu schnell fährt, ein 8 Mal höheres Risiko eines tödlichen Zusammenstoßes erzeugt als der brave, belächelte und womöglich noch überholte Schleicher, der tatsächlich mit den erlaubten 30 km/h fährt.

Aber was ebenfalls nicht zur Kenntnis genommen wird, ist die Tatsache, dass sich durch eine überhöhte Geschwindigkeit nicht nur die Aufprallgeschwindigkeit vervielfacht, sondern es womöglich überhaupt erst zu der Kollision kommt, weil man nicht rechtzeitig vor dem Hindernis zum Stehen kommt.

Physik

Das hängt mit einem einfachen physikalischen Prinzip zusammen, das man am besten bei einem Fahrsicherheitstraining selbst „erfährt“:

Bei Verdoppelung der Geschwindigkeit vervierfacht sich der Bremsweg. Und das führt zu einer ganz massiven Verlängerung des Anhalteweges, der Summe aus Reaktions- und Bremsweg. Diese Gesetzmäßigkeit lässt sich durch nichts austricksen. Die Jungs – und es sind tatsächlich meistens Männer, die diesem Wahn unterliegen –, die von sich behaupten, sie hätten ihr Fahrzeug jederzeit im Griff, weil sie so geniale Autofahrer sind, sind im besten Fall Dummköpfe, im schlechtesten Fall einfach rücksichtslos. Die Physik ist unbestechlich.

Während man bei einer Geschwindigkeit von 30 km/h schon nach immerhin 18 Metern steht (9+9 Meter), sind es bei 50 km/h schon satte 40 Meter (15+25 Meter), also ganze 22 Meter mehr. Sie hätten also zwischen sich und dem Kind, das sie mal eben umgenietet haben, noch 22 Meter Luft gehabt. Das ist ganz schön viel. Das Gejammer „Ich bin doch nur 20 zu schnell gefahren“ kann ich nicht mehr hören. Wie viel zu schnell ist scheißegal, wenn da ein Toter oder Schwerverletzer liegt. Zu schnell ist zu schnell. Punkt. Es ist die Entscheidung zwischen Leben und Tod.

Bei 70 km/h sind es schon 70 Meter (21+49 Meter), also 30 Meter mehr als bei 50 km/h und 52 Meter mehr als bei 30 km/h. Wer in einem 70er-Bereich meint, er könne stattdessen 90 km/h fahren, wundert sich vielleicht dann doch, wenn er statt nach 70 erst nach 108 Meter zum Stehen kommt. Bei 100 km/h sind es schon 130 Meter. Wer auf der Landstraße statt der erlaubten 100 km/h „nur“ 30 Kilometer pro Stunde schneller, also mit 130 km/h unterwegs ist, hat einen um 78 Meter längeren Anhalteweg von insgesamt sage und schreibe 208 Metern. Bei 200 km/h ist der Anhalteweg länger als eine ganze Stadionrunde, nämlich 460 Meter. Glaubt natürlich keiner der Thekenhelden, die in der Kneipe stolz erzählen, dass sie 100 Kilometer in 65 Minuten geschafft haben. Mal ganz davon abgesehen, dass nicht sie das geschafft haben, sondern eine Maschine. Natürlich verkürzt dieser Bremsweg sich, wenn man bei 80 Metern auf einen Hirschen oder auf eine andere Wildsau trifft. Die bremsen das Fahrzeug beim Aufprall ordentlich ab. Es könnte aber eben auch ein Radfahrer, ein Traktor oder ein Kind mit einem Roller sein.

Lappen weg

Natürlich merkt man in modernen Fahrzeugen keinen Unterschied mehr zwischen 70 und 90 km/h und auch keinen zwischen 130 und 160. Aber dafür gibt es ja das Tachometer. Das ist nicht nur dazu da, sich ob der angezeigten Maximalgeschwindigkeit – die manchmal sogar noch während der Fahrt mit dem Handy gefilmt wird – gepflegt einen runterzuholen, sondern um seine Geschwindigkeit zu kontrollieren und sich dann hinterher einen runter zu holen. Wer sich und seine Geschwindigkeit nicht kontrollieren kann oder will, der hat in einem Kraftfahrzeug auf der Straße nichts verloren. Dem gehört der Lappen entzogen.

Ich hätte es also prima gefunden, wenn innerorts ab einer um 21 km/h und außerorts um 26 km/h zu schnellen Geschwindigkeit ein Monat Regelfahrverbot gedroht hätte. Nun kann man in der 30er-Zone locker 70 fahren und muss nur blechen. Lächerlich. Regelfahrverbot bedeutet, dass das Fahrverbot die Regel ist. Und da es keine Regel ohne Ausnahme gibt, hätte man ja auch trotz des erreichten Tatbestandes um das Fahrverbot herumkommen können, wenn der Verstoß von seiner Schwere her unter dem Regelfall einzuordnen wäre. Das könnte z.B. sein, wenn man in einer 30er-Zone vor einem Kindergarten nachts um 2 Uhr seine 21 km/h zu schnell war, weil zu dieser Zeit in der Regel nicht zu erwarten ist, dass noch Kinder auf der Straße sind.

Vision Zero

Nun wollen ja zur Zeit viele Menschen angesichts der Coronapandemie von Schweden lernen. Im Bereich des Verkehrsrechts wäre ich dabei.

Denn das beste Konzept und die wenigsten Verkehrstoten gibt es aus meiner Sicht zur Zeit in Schweden. Dort wurde die „Vision Zero“ eingeführt. Bis 2050 soll dort kein Mensch mehr im Straßenverkehr sterben – ob die stattdessen an Corona sterben, steht auf einem anderen Blatt. Und so wie die Schweden das anpacken, kann es sogar klappen. Dazu bedient sich der schwedische Staat einer Fülle von Mitteln. Neben sehr vielen Geschwindigkeitsüberwachungen durch stationäre und mobile Blitzer sind die geltenden Bußgelder richtig schmerzhaft: 15 km/h zu schnell kosten schon 300€ und bei 30 km/h zu schnell nimmt die Polizei gleich vor Ort den Lappen in Beschlag. Ich finde das richtig. Während in Deutschland noch eine Quote von über 4 Toten pro 100.000 Einwohner und Jahr vorliegt, sind die Schweden bei 2,8. Da haben wir also noch reichlich Luft nach oben, zum Beispiel durch ein Tempolimit von 30 in den Städten, 80 auf Landstraßen und 130 oder auch niedriger auf den Autobahnen. Mag sein dass die Ampel das schafft; angesichts des Porschefahrers Lindner, der ja auch seine Klientel bedienen muss, glaube ich aber nicht mehr daran.

Da man wohl nicht bei allen Autofahrern alleine auf Vernunft und Verantwortung setzen kann, ist das schwedische Konzept – das in anderen skandinavischen Länder bereits übernommen wurde – das richtige. Flächendeckende Kontrolle und harte Sanktionen. Das wünschen sich Sicherheitspolitiker doch sonst auch. Warum ausgerechnet nicht im Straßenverkehr? Da würde es unmittelbar was bringen. Warum erzählt der Bundesverkehrsminister ein generelles Tempolimit sei „gegen jeden Menschenverstand“, wenn sogar der ADAC seine diesbezüglichen Einwände längst aufgegeben hat? Nicht mal Wähler hat es seiner Partei gebracht. Immerhin 42 Prozent der Befragten waren der Meinung, dass ein Tempolimit von 130 km/h auf deutschen Autobahnen auf jeden Fall eingeführt werden sollte, 22 Prozent waren eher dafür und nur etwa 36 Prozent der Befragten lehnten ein Tempolimit ab.

Neben den mäßigen Erhöhungen der Bußgelder für Geschwindigkeitsverstöße gibt es noch ein paar Neuerung im Bereich Rettungsgasse und Parken. Immerhin ein Anfang, aber sicher ausbaufähig.

Die unerlaubte Nutzung einer Rettungsgasse wird jetzt genauso verfolgt und geahndet wie das Nichtbilden einer Rettungsgasse. Es drohen Bußgelder zwischen 200 und 320 Euro sowie ein Monat Fahrverbot, immerhin. Außerdem gibt es  zwei Punkten im Fahreignungsregister.

Warum sich Menschen über höhere Bußgelder im Straßenverkehr aufregen, obwohl sie doch damit gar nichts zu tun haben werden, wenn sie sich einfach an die Straßenverkehrsordnung halten, wundert mich immer wieder. Dabei sind das häufig dieselben Menschen, die sich an der Theke lauthals über die Kuscheljustiz und die viel zu niedrigen Strafen für was auch immer erregen, um dann wohl gelaunt mit 10 Kölsch im Kopp in ihr Auto zu steigen. Motto, Kölsch ist doch kein Alkohol. Wenn die dann zwei Wochen später bei mir in der Kanzlei sitzen und das heulende Elend haben, weil sie im besoffenen Kopp einen Unfall gebaut haben, dann hält sich mein Mitleid in Grenzen. Und ja, die werden genauso gut und mit Herzblut verteidigt, wie der Dieb, der Schläger, der Dealer oder der Vergewaltiger, auch wenn sie selbst sich irgendwie für etwas Besseres und keineswegs kriminell halten. Und vielleicht, ganz vielleicht nur, lernen sie ja was daraus. Allein, mir fehlt der Glaube.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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