Afghanistan und kein Ende

Nach dem Siegeszug der Taliban steht „der Westen“ vor einem humanitären Scherbenhaufen und sieht sich mit einer neuen Terrorgefahr konfrontiert. Eine Kolumne von Heinrich Schmitz


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Es ist ein paar Monate her. In einem Asylverfahren konnte ich mir die Verhandlung vor meinem eigenen Termin anhören. Ein afghanischer Dolmetscher, der für die deutschen Truppen in Kabul gearbeitet hatte, sollte abgeschoben werden. Kein Asylgrund, meinte das BAMF. Nun ja. Der Partner des Klägers war bereits von den Taliban ermordet worden und dieser hatte es mit Hilfe seiner Familie auf den letzten Drücker geschafft, außer Landes zu kommen. Eine politische Verfolgung sah das BAMF nicht. Und dass es für den Mann lebensgefährlich wäre, zurück nach Afghanistan zu müssen, wurde mit der Begründung abgetan, es gäbe auch dort Regionen, in denen man sicher leben könnte. Vermutlich leben da jede Menge BAMF-Mitarbeiter. Schließlich sorgten ja die internationalen Truppen für Sicherheit. Der Mann konnte das ebenso wenig glauben wie ich im Zuschauerbereich. Ja, sie habe ja Verständnis für die Argumente des Mannes und seines Anwalts, aber, schade, schade, der Anwalt kenne ja die Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts und der wolle sie sich da nicht widersetzen, sagte die Richterin. Welcher Richter, der noch was werden will, widersetzt sich schon dem, was von oben kommt? Es gibt zwar gelegentlich solche Helden, aber Helden auf der Richterbank sind dann doch eher selten.

Abschiebestopp

Ich hoffe, dass der Mann es noch irgendwie geschafft hat, hier in Deutschland zu bleiben, denn nun wird er erst mal nicht mehr abgeschoben. Das hat sogar der Seehofer angeordnet. Vorübergehend. Als ob das in absehbarer Zeit mal vorüberging, dass für die Leute dort Lebensgefahr besteht.

Zwanzig Jahre haben sich die internationalen Truppen in Afghanistan bemüht, das Land zu stabilisieren und die Taliban zurückzudrängen. Aber kaum sind die Truppen weg, haben die Taliban das Land in Windeseile überrannt. Wenn ich mir die Berichte ansehe, dann frage ich mich, woher diese Vögel eigentlich noch so eine große Menge an Material zur Verfügung haben. Konnte man die nicht wenigstens halbwegs entwaffnen? Nun ja, ich bin weder Militärstratege noch Außenpolitiker. Es gab den berühmten Ausspruch des damaligen Verteidigungsministers Struck der am 4.12.2002 sagte:

Die Sicherheit der Bundesrepublik wird auch am Hindukusch verteidigt.

Inwieweit das irgendwann einmal richtig gewesen sein mag, weiß ich nicht. Aktuell wird die Sicherheit der ganzen Welt jedenfalls am Hindukusch gefährdet.

Rubbedidupp

Wenn man schon meint, man könne die Probleme anderer Länder mit militärischen Mitteln lösen, dann sollte man das so machen, dass es nach dem Abzug des Militärs nicht schlimmer wird, als es vorher war. Und genau das ist nun zu befürchten. Gegen die Bedenken der NATO-Partner hatte der amerikanische Präsident Trump sein Wahlversprechen noch vor Amtsantritt seines Nachfolgers Biden eingelöst und den Abzug der amerikanischen Truppen befohlen. Und ohne die Amerikaner blieb dem Rest auch nur noch der Rückzug. Und im Rubbedidupp krochen die Taliban aus den Löchern und holten sich eine Provinz nach der anderen zurück. Wer nun vor Ort für die fremden Militärs gearbeitet hat, wird das bitter bereuen. Und jeder andere, der mit den Taliban nichts am Hut hat, genauso. Dass Mädchen weiter eine Schulbildung erhalten werden, können wir knicken.

Menschen retten

Folge wird also sein, dass sich neue Flüchtlingsströme auf den Weg in die Nachbarländer und von da aus in die ganze Welt aufmachen werden. Und da wird uns wohl kaum etwas anderes übrig bleiben, als diese Menschen aufzunehmen. Was die Ortskräfte angeht, die für uns gearbeitet haben, haben wir zumindest die moralische Verpflichtung, diese ganz aktiv aus dem Land herauszuholen. Es wäre an Zynismus kaum zu überbieten, wenn wir diese Leute, ohne die der Einsatz gar nicht möglich gewesen wäre, einfach ihrem Schicksal überlassen würden.

Dass es nahezu unmöglich ist, in Afghanistan für halbwegs geordnete Verhältnisse zu sorgen, hatten ja bereits die Russen erfahren, die sich von 1979 bis 1989 die Zähne ausgebissen haben. Danach gab es erst mal eine Runde Bürgerkrieg. Das wird jetzt nicht anders sein.

Während ich diese Kolumne schreibe, stehen die Taliban bereits 50 Kilometer vor Kabul. Wenn Sie jetzt diese Kolumne lesen, kann es sein, dass die auch Kabul schon eingenommen haben. Eine gewaltige humanitäre Katastrophe steht bevor, und selbst wenn es Frauen und Mädchen gelingen mag, vor diese Religioten zu fliehen, werden Not, Gewalt und Hunger die nähere Zukunft Afghanistans bestimmen.

Mit Hochachtung höre ich, dass verschiedene westliche Hilfsorganisationen das Land nicht verlassen wollen, um die Menschen nicht im Stich zu lassen. Ich fürchte aber, dass dieses ehrenhafte Engagement damit enden wird, dass diese Helden nicht überleben werden. Ein Massaker wird kaum zu verhindern sein.

Kommando zurück?

Und nun? Großbritannien überlegt bereits wieder Truppen zurückzuschicken und auch die USA wollen zumindest 3000 Soldaten zum Schutz des Flughafens von Kabul entsenden. Vermutlich werden die aber alle entweder zu spät kommen oder aber nichts ausrichten können. Und selbst wenn man nur, Kommando zurück, da massiv wieder reingehen sollte, was sollte das ändern?

So wie es im Moment aussieht, haben die Taliban keinen Grund, ihren Siegeszug nicht vollends auszukosten. Dass man sie bittet, die Botschaften nicht anzugreifen, wird denen herzlich egal sein. Sie werden es im Gegenteil als Aufforderung betrachten, da mal richtig loszuschlachten. Erinnerungen an Saigon 1975 tauchen auf. Da war ich 17.

Die Taliban haben der ganze Welt gezeigt, dass man sie nicht besiegen kann, jedenfalls nicht mit militärischen Mitteln. Weder die Russen noch die Amerikaner haben das geschafft. Und dass das nun mit diplomatischen Mitteln noch gelingen könnte, wage ich zu bezweifeln. Der Drops ist gelutscht.

Dass mit diesem ganzen Militärprojekt die Sicherheit Deutschlands geschützt worden wäre, mag temporär gelungen sein. Nun dürfen wir aber eher damit rechnen, dass der internationale Terrorismus neben dem Iran einen weiteren kaum zu packenden Unterstützerstaat bekommen hat und sich nicht nur in Afghanistan für den Militäreinsatz rächen wird. Und der Drogenhandel wird wieder anziehen. Gegen diese Seuche gibt es keine Impfung.

Der Westen ist ein weiteres Mal krachend mit einer Militärintervention gescheitert und sollte es sich in Zukunft gründlich überlegen, bevor er erneut in ein Land einmarschiert.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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