Herr Fischers Angst vorm Zahnarzt

Unser Gastkolumnist Uwe Fischer über sein Zahnarzttrauma und dessen Hintergründe.


Bild von JOSEPH SHOHMELIAN auf Pixabay

Ich muss es tun, es geht nicht anders und längst überfällig ist es auch – ich gehe zum Zahnarzt. Das ist keine Entscheidung aus Überzeugung, es ist ein Prozess, der sich über Monate und Jahre ziehen kann, bis mir irgendein vereiterter Zahn – gerne im Hochsommer bei Temperaturen, wo man auch im Kühlschrank sitzend ins Schwitzen kommt – diese Entscheidung abnimmt.

Harter Stoff

Es gibt viele Dinge, die ich prokrastinierend vorschieben würde. Mit Jens Spahn Monopoly spielen, mit Fritze Merz über soziale Gerechtigkeit diskutieren, einen Witzeabend mit Philipp Amthor gestalten, Julia Klöckner treffen oder Alexander Gaulands Dackelkrawatte bügeln. Aber zum Zahnarzt? Harter Stoff.

Manchmal aber muss ein Mann tun, was ein Mann tun muss, und dann gibt triftige Gründe dafür. Ein richtiger Mann geht ohnehin nicht gerne zum Arzt, welchen Anlass könnte es dafür geben? Einzig der gelbe Schein fällt mir ein:

Herr Doktor, mir tut alles immer ganz furchtbar weh, hier und da und dort – ganz schlimm“!

Der Arzt lächelt milde und wissend, der Mann lächelt etwas verschämt zurück, zwei Verschwörer, die nur wenige Worte brauchen, um gegen das System aufzubegehren.

Bleiben sie mal ein paar Tage zuhause, so können sie nicht arbeiten gehen. Wenn es nach einer Woche nicht besser ist, müssen wir mal sehen.“

Dem Tod ins Auge blicken

Wenn aber ein Mann zum Arzt geht, weil er Schmerzen hat, dann ist es wirklich ernst („Schatz, soll ich den Tisch für dich mit decken oder isst Du im Krankenhaus? Gibt es etwas bestimmtes, das ist auf Deiner Beerdigung anziehen soll?“).

Trümmerbrüche in beiden Beinen nach dem Sturz von der Leiter? Eine Hand ist in den Häcksler geraten? Beim Holzhacken das Bein gespalten und nicht den Buchenscheit?

Mach mir mal’n Bier auf und steck‘ mir ’ne Kippe an, ich kann gerade die eine Hand nicht bewegen (die steckt ja auch noch im Häcksler)!“

Als ich vor Jahren unsere Terrasse neu machte fehlte mir, auf der Leiter stehend, genau ein Strich mit Quast und Dachlack, und dieser Teil der Arbeit wäre fertig gewesen. Die Leiter dafür umzusetzen war unter meiner Würde und so passierte es. Ein leises Scharren, die Leiter rutschte und kippte und das nächste, was ich wahrnahm war, dass ich wieder stand – den Quast noch in der Hand, in der Leiter verkantet und mit Dachlack überall am Athletenkörper, den nur eine weiße Shorts bedeckte. Wer kann, der kann. Die Sekunden zwischen dem Scharren und dem aufrechten Stand waren weg, von dem Knall auf die Gehwegplatten habe ich nichts mitbekommen. Irgendwer muss wohl geschrien haben, denn plötzlich tauchte mein Sohn auf und fragte:

Warum schreist du denn, du stehst doch wieder?“

Dann ein schadenfrohes Grinsen:

„Schade, dass wir jetzt keine Federn haben.“

Ich liebe das Scheißerchen trotzdem, Blut ist dicker als Dachlack und sonst ist er eigentlich wohl geraten.

Blut und Stolz

Meine Freundin und ihre Tochter kamen angelaufen, deutlich empathischer als mein eigen Fleisch und Blut und meinten, ich solle einen Krankenwagen anrufen. Wenigstens ins Krankenhaus fahren, es könnte sein, dass ich mir etwas gebrochen habe, die Hand ist ja so geschwollen.

Mann – Krankenwagen – Krankenhaus? Lächerlich, da hält man die Hand vor die Sonne, sieht genau hin und stellt fest, dass nichts gebrochen ist. Röntgen kann ich wohl noch selbst, dafür braucht es keinen Arzt. Nur mit der Diagnose lag ich daneben, da war nämlich doch ein Knochen gebrochen. Das erfuhr ich gut 2 Jahre später auf den Hinweis an eine Ärztin, dass mir die Hand schon etwas länger weh tut.

Wir können den Knochen nochmal brechen und dann richten!.

Mit Humor sollte es eine Hausärztin nicht übertreiben.

Aber an der Terrasse habe ich an dem Tag weiter gearbeitet, hier und da lässt sich noch erkennen, dass ich nur die linke Hand zum Arbeiten hatte, doch der Stolz zählt mehr als das Ergebnis! Dass ich am nächsten Morgen fast drei Hände hatte lag nicht an einer Impfung, sondern an der leichten Schwellung der geröntgen Hand. Ein wenig Arnikasalbe, mehr musste da nicht sein.

Vertrauensbildung

Jetzt muss ich also zum Zahnarzt und schleppe ein paar unangenehme Erfahrungen mit mir herum. Es gab sehr gute Zahnärzte, die ich regelmäßig aufgesucht habe, keine Frage, aber während einiger Umzüge musste ich mir immer wieder neue suchen, und Zahnbehandlung ist nun mal Vertrauenssache. In so einem Stuhl, hilflos mit dem Kopf nach unten gekippt und Bohrern im Mund lässt man niemanden ran, dem man nicht blind durch jede Naturkatastrophe folgen oder sein neues Auto (vielleicht!) leihen würde.

Wenn die Betäubung nicht richtig wirkt, dann ist es ja nett, wenn die junge Ärztin kurz nach der Ausbildung den Arm tätschelt und

Ach, sie Ärmster!

haucht. Mehr von den Drogen wäre in jedem Fall die bessere Idee gewesen und eine traumatische Erfahrung weniger. Nun gut, sie war immerhin nett, aber das bin ich auch und dennoch kann ich keine kaputten Zähne behandeln. Obwohl – wenn Herr Kaschinski das kann, sollte es mir auch möglich sein:

Auch der kaputte Backenzahn im Hochsommer, der halbe Oberkiefer von der Vereiterung angeschwollen, machte ohne wirksame Betäubung keine Freude, als er gezogen wurde. Auch den Fleischereifachverkäuferinnen bei Rewe gleich unter der Praxis nicht (meine damalige Frau wollte mir in ihrer Weitsicht doppelte Wege ersparen und fand, dass ich Zahnarzt und Einkauf doch miteinander verbinden könne), die mich entgeistert anstarren. Nicht nur, dass ich kaum verständlich sprechen konnte, mir liefen auch Blut und Sabber über die gefühllose Lippe auf mein sommerlich helles T-Shirt. Das aber sah ich erst im Autospiegel, Hannibal Lecter hätte den Kollegen in mir gesehen.

Einhandbohrer

Doch alles nahm seinen Anfang in frühen Jahren, ich muss ungefähr 14 Jahre alt gewesen sein. Der Zahnarzt unserer Familie wusste, wie ängstliche Patienten vor der eigentlichen Behandlung beruhigt werden. Eine urgemütliche Couchgarnitur im Wartezimmer, das als wunderschönes Wohnzimmer hätte durchgehen können, ein großer Fernseher auf einem Sideboard, Blumen und freundliche Farben, sehr geschmackvoll eingerichtet. Da vergaß man leicht Zeit und Ort zwischen Sofa, TV, Zeitschriften und Büchern. Das hätte so ein guter Anfang sein können, um mein Vertrauen in diese Zunft zu festigen. Es kam anders.

Es wurde plötzlich davon gesprochen, dass der Herr Doktor Sch. „einen Schlag“ hatte, was ich damals nicht genau verstehen und mehr erahnen konnte. Etwas Schlimmes, aber der Herr Doktor Sch. hatte Glück und konnte weiter praktizieren. So weit die Theorie.

Als er dann vor mir stand, während ich in dem Folterstuhl hockte, wurde mir ganz anders. Eine Gesichtshälfe hing leicht durch, eine Körperhälfte wirkte seltsam unbeweglich, ein Arm hin schlaff an der Seite. Dass ich Jahrzehnte später mit nur einer Hand ähnlich beweglich mit Akkuschrauber und Bohrmaschine auf der Terrasse hantieren würde, war alleine mein Problem, hier aber ging es um meinen Mund, um meine Zähne, um mein Leben!

Es kam, wie es zu befürchten war, Herr Doktor Sch. begann sein Werk und es sollte nicht gelingen. Schmerzen, die Bitte, er möge doch aufhören, ein gezischtes „Das kann nicht weh tun!“, schließlich seine stets anwesende Frau und zwei Assistentinnen, die mir wechselnd mal das Köpfchen streichelten, mal es fest umklammert hielten, damit der einhändig arbeitende Zahnarzt sein Opfer bis zum Ende bearbeiten konnte.

Ne, das war nicht schön, vor jedem Zahnarztbesuch, sofern es der erste Kontakt ist, tauchen diese Szenen wieder auf und lassen mich schweißgebadet die Praxis betreten.

Jetzt ist es wieder an der Zeit, da ein Mann tun muss,

was ein Mann tun muss. Ich trete das Lagerfeuer mit meinen staubigen Stiefeln aus, spucken eine Ladung Kautabak in die noch schwelende Glut. Eine Hand schiebt den Stetson in die Stirn, die andere tastet nach dem Colt und steckt dann eine Marlboro zwischen die Lippen. Schnaubend wartet mein stolzes Pferd auf mich, ich sitze auf und reite singend der untergehenden Sonne entgegen, wo hinter dem Horizont das große Abenteuer auf mich wartet.

 

„I’m a poor scared cowboy

I’m a long way from the doc

And this poor scared cowboy

Has a long way of fear“

 

 

 

 

 

 

 

Uwe Fischer

Nach 18 Jahren als Kundenbetreuer im Außendienst, 15 Jahre davon bei einem mittelständischen Unternehmen aus der Lebensmittelbranche, hieß es „back to the roots“ mit einer späten Ausbildung zum Logopäden. Heute betreibt Fischer seit 2008 gemeinsam mit seiner Partnerin eine Praxis für Logopädie in der Eifel.

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