Parteiverbot jetzt?
Nach der Einstufung der AfD als gesichert rechtsetrem steht die Frage eines Parteiverbots erneut im Raum. Über die Voraussetzungen und Aussichten eine Kolumne von Heinrich Schmitz.

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Die Demokratie lebt von Vielfalt, Meinungsfreiheit und politischem Wettbewerb. Parteien spielen dabei eine zentrale Rolle: Sie bündeln Interessen, entwickeln politische Konzepte und wirken an der politischen Willensbildung des Volkes mit.
Doch was passiert, wenn eine Partei nicht dem Erhalt der freiheitlich demokratischen Grundordnung dient, sondern sich gegen sie richtet?
Für solche Fälle sieht das Grundgesetz die Möglichkeit eines Parteiverbots vor – eine besonders einschneidende Maßnahme in einer Demokratie. Doch ein solcher Schritt ist an strenge rechtliche Voraussetzungen gebunden. Diese Kolumne erklärt, was ein Parteiverbot bedeutet, welche verfassungsrechtlichen Hürden es gibt, wie das Verfahren abläuft und warum es so selten zur Anwendung kommt.
Was ist ein Parteiverbot?
Ein Parteiverbot bedeutet, dass eine politische Partei durch das Bundesverfassungsgericht verboten wird. Dies hat zur Folge, dass die Partei sich auflöst, ihr Vermögen eingezogen wird, und sie künftig nicht mehr an Wahlen teilnehmen darf. Das Verbot richtet sich nicht nur gegen die politische Tätigkeit der Partei, sondern auch gegen ihre organisatorische Existenz. Es ist damit eines der schärfsten Mittel des wehrhaften Rechtsstaats gegen verfassungsfeindliche Bestrebungen.
Verfassungsrechtliche Grundlage: Artikel 21 GG
Die verfassungsrechtliche Grundlage für ein Parteiverbot findet sich in Artikel 21 Absatz 2 des Grundgesetzes (GG). Dort heißt es:
Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig. Über die Frage der Verfassungswidrigkeit entscheidet das Bundesverfassungsgericht.“
Wesentliche Begriffe in diesem Artikel sind:
„nach ihren Zielen“: Es kommt darauf an, welche programmatischen und ideologischen Ziele die Partei verfolgt – schriftlich oder mündlich geäußert.
„nach dem Verhalten ihrer Anhänger“: Auch das Verhalten der Mitglieder und Funktionäre kann ein Hinweis auf die wahren Absichten einer Partei sein.
„darauf ausgehen“: Die Partei muss aktiv darauf hinarbeiten, die demokratische Ordnung zu beseitigen. Bloße Gesinnung oder radikale Rhetorik reichen nicht aus.
„freiheitliche demokratische Grundordnung“: Hierbei handelt es sich um die grundlegenden Prinzipien unserer Demokratie, wie etwa Volkssouveränität, Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit und das Mehrparteienprinzip.
Was ist die „freiheitlich demokratische Grundordnung“?
Dieser Begriff ist zentral, aber nicht abschließend im Grundgesetz definiert. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat jedoch über Jahrzehnte konkrete Bestandteile herausgearbeitet. Zur freiheitlich demokratischen Grundordnung gehören insbesondere:
- die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten,
- die Volkssouveränität,
- die Gewaltenteilung,
- die Verantwortlichkeit der Regierung,
- die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung,
- die Unabhängigkeit der Gerichte,
- das Mehrparteienprinzip,
- Chancengleichheit für alle politischen Parteien,
- und das Recht auf Opposition.
Eine Partei, die etwa das parlamentarische System abschaffen, einen Einparteienstaat errichten oder die Menschenrechte systematisch missachten will, greift diese Grundordnung an.
Wer darf ein Parteiverbot beantragen?
Ein Parteiverbot kann nur von bestimmten Verfassungsorganen beantragt werden. Nach § 43 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) sind das:
(1) der Bundestag
(2) der Bundesrat
(3) oder die Bundesregierung.
Ein Antrag einer Privatperson oder einer anderen politischen Partei ist nicht zulässig. Auch Gerichte oder Behörden können ein solches Verfahren nicht selbstständig einleiten.
Das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht
Das Parteiverbotsverfahren ist ein eigenständiges Verfahren mit hohen rechtlichen Anforderungen. Es verläuft grundsätzlich in mehreren Schritten:
Antragsstellung: Das berechtigte Organ reicht einen ausführlichen Antrag beim Bundesverfassungsgericht ein. Dieser muss belegen, dass die betreffende Partei verfassungswidrige Ziele verfolgt.
Prüfung durch das Gericht: Das Gericht prüft, ob der Antrag zulässig und begründet ist. Es findet eine intensive Beweisaufnahme statt, bei der unter anderem Äußerungen, Programme, Aktionen und das Verhalten von Funktionären und Anhängern ausgewertet werden.
Mündliche Verhandlung: Das Gericht hört die betroffene Partei an und führt eine öffentliche mündliche Verhandlung durch.
Urteilsverkündung: Nur wenn das Gericht mit einer qualifizierten Mehrheit (Zweidrittelmehrheit) zu dem Ergebnis kommt, dass die Voraussetzungen erfüllt sind, spricht es ein Verbot aus.
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
Auch wenn die Voraussetzungen aus Artikel 21 Abs. 2 GG vorliegen, darf ein Parteiverbot nur dann ausgesprochen werden, wenn es verhältnismäßig ist. Das heißt: Es muss ein ernsthafter, konkreter Angriff auf die Grundordnung bestehen. Ein bloßes „Gedankengut“ oder extreme Meinungen genügen nicht.
Zudem muss die Partei eine realistische Chance haben, ihre Ziele umzusetzen. Eine völlig unbedeutende Splitterpartei, die keinerlei gesellschaftliche oder politische Relevanz hat, kann nicht verboten werden – selbst wenn ihre Ziele gefährlich sind.
Dieser Aspekt wurde besonders im zweiten NPD-Verbotsverfahren 2017 betont. Zwar sah das Bundesverfassungsgericht die NPD als verfassungsfeindlich an, lehnte ein Verbot aber ab, weil die Partei „auf absehbare Zeit keine Aussicht“ habe, ihre Ziele tatsächlich durchzusetzen.
Dieser Aspekt dürfte bei der aktuellen Diskussion um ein Verbot der vom Bundesamt für Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuften AfD keine Rolle mehr spielen. Es ist aber gut möglich, dass es angesichts der schieren Größe der Partei kaum noch möglich ist, ein Verbot hinzubekommen. Die Partei gibt sich als politisches Opfer der wahlweise Alt-, Kartell- oder Wasauchimmer-Parteien. Ihre Klientel schreit Zeter und Mordio und prognostiziert den Bürgerkrieg, wenn man sie verbieten würde. Womöglich hat man das Feuerchen am Waldesrand nicht früh genug gelöscht. Wenn der Wald erst mal brennt, ist kaum noch was zu machen.