Einfach mal die Fresse halten!

Was im Westin Hotel geschehen ist, wissen nur wenige. Und trotzdem haben viele dazu eine Meinung. Und da liegt ein Problem. Die Samstagskolumne von Heinrich Schmitz


Bild von Dierk Gut auf Pixabay

Ich habe keine Ahnung, was im Westin Hotel passiert ist. Woher auch? Ich war nicht dabei. Und ich habe bisher auch keine Lust gehabt, auch nur eine Zeile über diese offenen Verfahren zu schreiben, weil ich nichts darüber weiß. Was ich aber weiß, ist dass die öffentlichen Spekulationen darüber, die insbesondere in sozialen Netzwerken kursieren, für alle Beteiligten schädlich sind.

Nach dem hinlänglich bekannten Video des Musikers Gil Ofarim, in dem dieser einen antisemitischen Vorfall im Westin Hotel bekannt gab, kam es zunächst zu spontanen Solidaritätsäußerungen. Selbst das Hotel stellte sich mit einem reichlich missglückten Banner vor dem Hotel auf und versicherte seine Solidarität gegen jeden Antisemitismus. Warum man meint, sich gegen Antisemitismus mit einer Kombination aus israelischer Flagge und Halbmond stellen zu müssen, kann ich nicht nachvollziehen, sind doch Juden weder zwingend Israelis, wie man schon an Ofarim sieht, noch sind alles Israelis Juden.

Klar gab es auch gleich die üblichen Dreckskommentare von Antisemiten, aber es bestand zunächst in der Öffentlichkeit wenig Zweifel daran, dass der Musiker die Wahrheit über den Vorfall berichtet hatte.

Zweifel

Dies änderte sich erst, nachdem einige Medien, insbesondere die BILD Ausschnitte von Videos der Überwachungskameras zeigten, auf denen nicht erkennbar war, ob der Musiker an dem Abend seine Kette mit dem Davidstern getragen hatte. Damit wurden Zweifel geweckt. Daraufhin wurde Ofarim als Lügner, Betrüger und „Drecksjude“ bezeichnet, der sich „so oder so“ wie „ein Arschloch verhalten“ habe.

Beweise?

Dass ein Video auf dem die Kette nicht erkennbar ist, kein Beweis dafür ist, dass die Kette nicht getragen wurde, möchten wohl die wenigsten verstehen. Das ist aber so. Überwachungsvideos können nur das zeigen, was sie zeigen; sie zeigen aber immer nur eine bestimmte Perspektive und sind schon deshalb nicht geeignet, einen Vollbeweis zu erbringen. Ähnlich ist das mit Zeugen, die von allen im Strafverfahren verwendeten Beweismitteln die unsichersten sind. Die Tatsache, dass jemand etwas nicht gehört hat, besagt eben nicht, dass es nicht gesagt wurde. Und auch wenn 10 Leute etwas nicht gehört haben (wollen) beweist das eben nicht, dass es nicht trotzdem gesagt wurde.

Interessant sind hier einige Dinge: Zum einen wurden die Videos nämlich nicht etwa von der Polizei oder der Staatsanwaltschaft veröffentlicht, sondern von verschiedenen Medien. Es stellt sich schon mal die Frage, woher die die Aufzeichnungen wohl hatten. Von den Ermittlungsbehörden eher nicht, denn falls doch, wäre das ein schöner Skandal. Vom Westin? Weiß ich nicht, ist aber denkbar. Und da müsste dann noch geprüft werden, ob die vollständig und unbearbeitet sind.

Private Ermittlungen

Interessant ist auch, dass das Hotel eigens eine Anwaltskanzlei mit „Ermittlungen“ beauftragte. Da fragt man sich schon, warum man das nicht der Behörde überlässt, die üblicherweise Ermittlungsverfahren betreibt, nämlich der Staatsanwaltschaft. Okay, kann man machen, ist auch nicht illegal, jedenfalls nicht, wenn den vernommenen Zeugen klar gemacht wurde, dass sie gegenüber dieser Kanzlei überhaupt nichts aussagen müssen. Und dann wird ein Bericht dieser Kanzlei erwähnt, der zu dem Fazit kommt, dass nach deren Ermittlungen „unter Berücksichtigung aller verfügbaren Beweismittel“ für das Hotel keine Veranlassung bestünde, »strafrechtliche und / oder arbeitsrechtliche Maßnahmen gegen den beschuldigten Mitarbeiter zu ergreifen«. Nun können strafrechtliche Maßnahmen natürlich bis auf etwaige Strafanzeige ohnehin nicht von einem Hotel ergriffen werden, aber es soll halt so klingen, als habe es keine strafbare Handlungen eines Hotelmitarbeiters gegeben. Mag ja auch sein oder auch nicht sein, es ist letztlich egal, was das Hotel oder die von ihm beauftragte Kanzlei dazu meinen. Ob ein strafbares Verhalten vorliegt, beurteilen keine Anwaltskanzleien, keine Hotels, weder die BILD noch „das Volk“, sondern zunächst einmal die Staatsanwaltschaft und gegebenenfalls später ein Gericht.

Laufendes Verfahren

Tatsache ist, dass die Ermittlungen zu diesem Fall noch nicht abgeschlossen sind. Und solange das nicht der Fall ist und nicht einmal feststeht, ob gegen den einen oder anderen Beteiligten überhaupt Anklage erhoben wird, ist es ziemlicher Schwachsinn, bereits ein öffentliches Urteil zu fällen.

Diejenigen, die sich lautstark über Ofarim oder den Hotelmitarbeiter im Internet verbreiten, verraten damit mehr über sich selbst, als ihnen womöglich klar ist. Selbstverständlich dürfen sie im Rahmen ihrer garantierten Meinungsfreiheit ihre Meinung zu dem Fall sagen, es sollte ihnen aber bewusst sein, dass diese Meinung eben nicht mehr ist als ihre Meinung. Und da diese Meinung nicht das Ergebnis der Analyse irgendwelcher Fakten ist, wäre sie eigentlich völlig belanglos. Na klar darf man im Vorfeld seine eigenen Vermutungen haben, wer da nun lügt oder auch nicht. Daran hindert einen auch die Unschuldsvermutung nicht, die ja nur für das Verfahren selbst gilt. Aber mehr als Vermutungen sind es nun mal nicht. Und nur aufgrund von Vermutungen öffentlich auf Facebook, Twitter oder Instagramm rumzusabbeln und den Stab über einen Menschen zu brechen, ist leichtfertig und auch schäbig, Kann ja gut sein, dass sich die eigenen Vermutungen als purer Schwachsinn erweisen. Bin gespannt, ob da jemand dann Asche über sein Haupt streut. Vermutlich nicht, weil man dann schon eine neue Sau durchs Dorf treiben wird. Macht ja so viel Spaß.

Nun gab es bereits Forderungen, die vollständigen Überwachungsvideos zu veröffentlichen. Diese Forderung zeigt, dass die Fordernden offenbar meinen, die Frage, ob sich jemand strafbar gemacht habe, sei in Form einer öffentlichen Medienaktion mit anschließender Meinungsumfrage zu klären. Nein, ist sie nicht. Herr oder meinetwegen Herrin oder Frau des Ermittlungsverfahrens ist die Staatsanwaltschaft. Sie hat hier verschiedene angezeigte Delikte zu klären. Und das sollte sie in Ruhe und mit der nötigen Sorgfalt zu erledigen können, ohne dass ihr die Medien und die Öffentlichkeit mit einer bestimmten Erwartungshaltung dabei Druck machen sollten. Eine öffentliche Erwartungshaltung dient nicht der Qualität von Ermittlungen, im Gegenteil, sie erschwert diese, denn selbst Zeugen werden sich fragen, ob sie sich mit ihrer Aussage einem Shit-Tsunami aussetzen sollten.

Erste Ergebnisse

Ganz gleich, was bei diesem Verfahren letztlich herauskommen sollte, einiges hat es bereits jetzt bewiesen. Erstens, Antisemitismus scheint in der Bevölkerung weit verbreitet zu sein oder die Antisemiten sind verdammt gut organisiert in der Verbreitung ihres antisemitischen Giftes. Zweitens, wenn es darum geht, öffentlich über Menschen herzufallen, sind die Fakten belanglos – das gilt für die Beschimpfungen gegenüber Ofarim genauso wie gegenüber dem Hotelmitarbeiter. Drittens, der Drang sich zu jedem Scheiß äußern zu müssen, scheint für viele Menschen nicht beherrschbar zu sein.

Und nein, Menschen öffentlich zu vernichten, ist kein lustiges Gesellschaftsspiel, an dem jeder sich beteiligen sollte, weil es gerade in ist. Und ich wünsche keinem Menschen, dass er in diese Situation gerät. Was macht es eigentlich so schwer, einfach mal die Fresse zu halten?

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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