Die Wiedergeburt der 80er

Was kommt heraus, wenn sich ein paar knallharte Jungs aus der Death Metal-Ecke treffen? Ulf Kubkanke hat sich für uns die neue Scheibe des Night Flight Orchestra angehört


Skurrilität, Massentauglichkeit und glaubwürdige Credibility? Alles zusammen klappt in der Kunst nicht oft. Die Sparte Musik bietet solchen Dreiklang besonders selten. Das sympathische Night Flight Orchestra verbindet alle genannten Eigenschaften lässig und schießt mit „Sometimes The World Ain’t Enough“ große Unterhaltung aus der Hüfte.

Was kommt dabei heraus, wenn sich ein paar knallharte Jungs aus der Death Metal-Ecke treffen? Na klar: Classic Rock, Melodic Rock, AOR und Hardrock reinsten Wassers. Sie stammen u.A. aus erfolgreichen Acts wie Arch Enemy oder Soilwork. Gleichzeitig verehren sie die großen Helden typischen 80er Rocks von Survivor über Journey bis Whitesnake. Für das NFO bleiben somit alle Growls, alles Knurren und Grunzen vor der Haustür. An deren Stelle treten Keyboards, breitbeinige Gitarren, dick aufgetragene Soli, hymnische Refrains und gesangliches Pathos, als ob es kein heute gäbe. Die Rockwelt des NFO rangiert zuverlässig zwischen 1982 und 1988. Es ist wie in Mary Shelleys „Frankenstein“. Aus den Einzelteilen der Ahnen montieren sie eine völlig neue, höchst lebendige Kreatur.

Gleichwohl sind diese energetischen Schweden dreierlei nicht: Nostalgietruppe, Schnappsidee oder Comedy-Kapelle. Im Gegenteil: Das Projekt um Sänger Björn Strid mauserte sich binnen zehn Jahren zur eigenständigen Band. Gemeinsam nehmen sie sich des Genres voller Inbrunst und Herzblut an. Spätestens seit dem internationalen Durchbruch der letztjährigem Platte „Amber Galactic“ bewegt sich dieser schillernde Nachtfug vollends auf Augenhöhe mit seinen Mutterbands. Es scheint nur eine Frage der Zeit, bis das Oktett zum Überholen ansetzt.

Letzteres kann freilich nur gelingen, sofern ihr Songwriting auch jenseits der perfekt inszenierten Pose funktioniert. Nichts wäre schlimmer als kalter Kaffee im Hairmetal-Gewand. Zum Glück muss man sich weder um ihre kompositorischen Fähigkeiten noch um die Arrangements sorgen. Alle acht Mitglieder bringen Vielseitigkeit, Versiertheit und Virtuosität auf höchstem Level ein. Bereits das Debüt „Internal Affairs“ begeisterte als bunter Strauß charismatischer Nummern, die mit einem Bein im Siebziger-Rock wurzeln. Besonders das funky Titelstück bedient sich ähnlich gekonnt bei Blackmusic-Elementen wie seinerzeit David Coverdale für Deep Purple.

Die neue vierte Scheibe geht noch offensiver zur Sache. Schon ihre selbst gestemmte, klangfarbenfrohe Produktion setzt in Klarheit und Druck manches Ausrufezeichen, das gerade im Hardrockgenre jenseits von Speed. Thrash usw. exorbitant wichtig ist. Schließlich soll die Musik nicht nach angezogener Handbremse klingen. Alten Hasen wird das Herz vor lauter angenehmen Assoziationen überlaufen. Denn NFO verstehen es, ihre Vorgänger voller Respekt zu zitieren ohne dabei die eigene Individualität zu verhökern. Es ist ein bisschen wie in Mary Shelleys „Frankenstein“. Aus den Einzelteilen der Ahnen montieren sie eine völlig neue, höchst lebendige Kreatur.

So tauchen im Verlauf neben den genannten auch Schemen von Triumph, Giuffria, House Of Lords, Bad English oder Phenomena auf. Sogar der Geist des großen Russ Ballard schwebt durch manches Lied. Wer von all diesen Namen qua später Geburt nie hörte, sollte dennoch ein Ohr riskieren. Die bärenstarken Melodien sprengen jede Zeitschleife. Als Anspieltipp empfehle ich das sprudelnde „This Time“. Die Rhythmen schwirren umher als kreuzten sich Judas Priest mit den Pretty Maids. Solch teuflisch gelungener Eingängigkeit entkommt man nicht. Entsprechendes gilt für jeden einzelnen Killer dieses herausagenden, sehr sonnigen Rocktheaters.

Ulf Kubanke

Ehemaliger Anwalt; nun Publizist, Gesprächspartner und Biograph; u.a. für Deutschlands größtes Online-Musikmagazin laut.de.

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