Zur Abwechslung mal Liebesgedichte

Schreiben Sie für Ihren Partner mal ein Gedicht, anstatt ständig neue Küchengeräte nach Hause zu schleppen, sagt Kolumnist Henning Hirsch


Nachdem ich mich seit Wochen über Hartz 4, Flüchtlinge, No-Go-Areas und den Islam auslasse, werde ich heute zur Abwechslung mal eine Kolumne über Liebesgedichte zu Papier bringen. Schont die Nerven der Kommentatoren. Und natürlich auch meine eigenen. Obwohl ich mich an Kommis wie diesen:

Meine Güte, hätte der Hirsch wenigstens einen blassen Schimmer von dem, über das er schreibt

schnell gewöhnt habe, weil ich solche und artverwandte Sätze früher oft aus dem Mund meiner Deutschlehrer zu hören bekam.

Heute geht’s um Poesie. Und zwar um die Spezialgattung: Liebeslyrik. Ich lese die abends nach dem Job gerne zur Entspannung, lege mich danach mit einem wohligen Gefühl ins Bett und träume angenehm. Andere tun das mit Rotwein oder einem Joint, aber meine Drogenphase habe ich vor vielen Jahren hinter mich gebracht. Ich probier’s seitdem mit Rilke, Williams (nicht die Birne, sondern der Autor) und Bukowski. Lassen Sie uns die Illias, Ovid und Walther von der Vogelweide als zu weit zurückliegend überspringen, den Barock- und Rokoko-Kitsch meiden, uns ebenfalls an Goethe, Schiller und Lessing – denn von diesen drei gab’s ja in der Schule schon eine Überdosis – vorbeilavieren und auch die, mir persönlich zu schwärmerische und mit teils komischen Worten operierende, Romantik links liegen. Dann landen wir ziemlich genau an der vorletzten Jahrhundertwende und damit bei Rilke. Für mich DER Großmeister der deutschsprachigen Lyrik.

Rilke: filigranes Versmaß

Geboren 1875 in Prag, Böhmen. Damals noch Bestandteil des Gebiets der KuK-Monarchie. Gestorben 1926 in einem Sanatorium in der Nähe von Montreux.

Hier meine zwei Lieblingsgedichte aus seiner Feder:

Das ist die Sehnsucht: wohnen im Gewoge
und keine Heimat haben in der Zeit.
Und das sind Wünsche: leise Dialoge
täglicher Stunden mit der Ewigkeit.

Und das ist Leben. Bis aus einem Gestern
die einsamste von allen Stunden steigt,
die, anders lächelnd als die andern Schwestern,
dem Ewigen entgegenschweigt

Bei mir bringt vor allem die Zeile „und keine Heimat haben in der Zeit“ irgendwas, was ich aber nicht konkret in Worte fassen kann, zum Schwingen: Einsamer Wanderer, nirgendwo zu Hause, Sonderling, beschäftigt sich lieber mit seiner Kunst als mit anderen Menschen. So in diese Richtung; aber vielleicht auch komplett anders.

| Die Kurtisane
Venedigs Sonne wird in meinem Haar
ein Gold bereiten: aller Alchemie
erlauchten Ausgang. Meine Brauen, die
den Brücken gleichen, siehst du sie

hinführen ob der lautlosen Gefahr
der Augen, die ein heimlicher Verkehr
an die Kanäle schließt, so daß das Meer
in ihnen steigt und fällt und wechselt. Wer

mich einmal sah, beneidet meinen Hund,
weil sich auf ihm oft in zerstreuter Pause
die Hand, die nie an keiner Glut verkohlt,

die unverwundbare, geschmückt, erholt -.
Und Knaben, Hoffnungen aus altem Hause,
gehen wie an Gift an meinem Mund zugrund

Was für ein Finale furioso: Gehen wie Gift an meinem Mund zugrund. Wow!

Interessantes Versmaß: a-b-b-b/ a-c-c-c-/ d-e-f-/ f-e-d.
Rhythmus nicht ohne: überwiegend 10-Silber, ein eingestreuter 8er und am Schluss zwei 11er. Das ist – wenn es sich reimen soll – echt schwierig, hier durchgängig den Takt zu halten und nicht zwischendurch die Balance zu verlieren. Rilke, der natürlich über jahrzehntelange Übung in der Disziplin Liebeslyrik verfügte, gelingt dieses Kunststück schlafwandlerisch.

Die schwermütige Russin

Wir bewegen uns auf dem Zeitstrahl ein paar Jahre nach vorne und räumlich 1500 Kilometer Richtung Osten: Anna (Andrejewna) Achmatowa. Geboren 1889 in der Nähe von Odessa. Gestorben 1966 in Domodedowo bei Moskau. Wurde in der langen stalinschen Schreckensperiode zeitweise mit Schreibverbot belegt und dichtete in diesen Jahren privat für sich selbst:

Als alle Welt mir ihn verhieß
der Horizont, der trüb umsäumte
die Brise, die zu Ostern blies
der Traum, den ich zur Christnacht träumte

die Rebenzweige rötlich braun
der Park mit seinen Wasserfällen
und auf dem rostgen Gartenzaun
die beiden riesigen Libellen

wie könnte ich zu jener Zeit
an seiner Freundschaft Zweifel hegen?
da schritt ich mit Gelassenheit
auf brennendheißen Felsenwegen

Ich kann mir die alleine in einer winzigen Wohnung in einer Moskauer Vorort-Mietskaserne bei flackerndem Glühbirnenlicht einen fiktiven Geliebten herbeisehnende Dichterin (bzw. ihr Lyrisches ich) lebhaft vorstellen. „Auf brennendheißen Felsenwegen“ umschreibt entweder die sie verzehrende Glut der Liebe oder verheißt ein ungutes Ende derselbigen.

Gedicht, das auch ein Porno sein könnte

Weiter geht es zu William Carlos Williams. In etwa zeitgleich mit der unglücklich schmachtenden Anna Achmatowa lebend. Allerdings am entgegengesetzten Ende der nördlichen Halbkugel: Rutherford, New Jersey. Jim Jarmusch hat ihm mit dem Film Paterson ein kleines Denkmal gesetzt.

Nackte Leiber wie geschälte Stämme
geben mitunter süßesten
Geruch von sich. Mann und Frau

unter den Bäumen in voller Extase
im Einklang mit dem Kissen aus
duftenden Kiefernadeln
mit Fäden aus Geißblatt durchwachsen
der Stoff für ein Sonett

ja, Stoff für ein Sonett! Geruch von Extase
Geruch von Kiefernadeln, Geruch
geschälter Stämme, Geruch von keinem Geruch
als dem des Geißblatts, das

ohne Geruch ist, Geruch einer nackten Frau
mitunter Geruch eines Mannes

„Das ist als Lyrik verkleidete Pornografie, die sich nicht reimt“, sagen Sie? Stimmt. Porno ist es, und reimen tut es sich ebenfalls nicht. Und trotzdem ist es Poesie. „Geruch von Extase“ (warum auch immer in der deutschen Übersetzung mit X geschrieben) gefällt mir beinahe genauso gut wie „Geruch von keinem Geruch“. Apropos: reimen. In den Autorenforen tobt seit vielen Jahren die Diskussion, ob sich „richtige“ Poesie reimen muss. Die einen sagen apodiktisch ja, die anderen nicht weniger dogmatisch: nein. Ich oszilliere diesbezüglich in der Mitte. Soll heißen: mir ist es egal, ob sich die Zeilen eines Gedichts reimen oder nicht. Die Worte müssen was in mir zum Klingen bringen. Und das passiert mit mir sowohl beim reimenden Rilke als auch beim nicht-reimenden Williams. Ich bevorzuge allerdings klar guten Nicht-Reim vor trivialen Reim-Viersilbern, wie man sie gerne auf Hochzeiten und runden Geburtstagen serviert bekommt. Sobald ich mir einen dümmlichen Vers im Wilhelm-Busch-Gedächtnis-Rhythmus anhören muss, lasse ich den Rest des Essens stehen, weil mir der Appetit sofort vergeht.

Und nun noch Enzensberger, Brett und Buk

Zum Schluss der Kolumne noch Kostproben dreier (halbwegs) zeitgenössischer Lyriker:

Später, als sich das unabsehbare Zimmer
vollkommen verdunkelt hatte
war niemand mehr da
außer dem toten Mann
und einer Unbekannten

Freundin und Feindin
waren zusammengeschmolzen
zu einer Anderen

die Unbekannte vernahm seine ruhigen Atemzüge
beugte sich über ihn in der Dunkelheit
verschloss ihm den Mund, küsste ihn
und nahm ihn mit, mit ihrem einzigen Mund
© H.M. Enzensberger

Was da gerade los war in dem „unabsehbaren Zimmer“? Flotter Dreier, Orgasmus mit Todesfolge, geschah ein Mord aus Eifersucht? Keine Ahnung. Ist mir auch wurscht. Ich find’s ohnehin mühsam, Gedichte tot zu analysieren. Sowas tun die Oberstudienräte im Fach Deutsch und verderben mit dieser Vorgehensweise Generationen von Schülern den spielerischen Umgang mit Poesie. „Und nahm ihn mit, mit ihrem einzigen Mund“ ist super. Das reicht mir schon, um dieses kleine Meisterwerk zu mögen.

Manchmal lässt sich
eine schreckliche Traurigkeit
auf mir nieder

sie ist gewichtig
diese Traurigkeit
und bedeckt Gräber
und Friedhöfe

sie ist so schwer
wie Quecksilber
und flink

sie klebt
an meiner Haut
und füllt
meine Eingeweide

sie ist dicht
diese Traurigkeit
als ob sich

all die
trostlosen Splitter

und die entmutigten Partikel
in
der Luft
verbunden hätten

ich sitze inmitten
dieser Traurigkeit
und vermisse dich
© Lily Brett

Sie kennen das Gefühl der Traurigkeit, die ihre Eingeweide füllt, gar nicht? Sie Glücklicher. Allerdings vermute ich, dass Sie bisher noch nie richtig geliebt haben.

Sie hat schon 200 Männer
gehabt, in zehn Bundesstaaten
fünf haben sich umgebracht
drei sind durch und durch
wahnsinnig geworden. Jedesmal
wenn sie in eine neue Stadt zieht
folgen ihr zehn Männer
jetzt sitzt sie auf meiner Couch
in einem blauen Minikleid
sie wirkt ganz gesund und
kregel: sogar unschuldig
„ich verliere das Interesse an
einem Mann“, sagt sie, „sobald
er anfängt, was für mich zu
empfinden“
ich gieße ihr nach
sie zieht das Kleid hoch und
zeigt mir ihren schwarzen Slip
„sexy, nicht?“, sagt sie
„ja“, sage ich, „sexy“
Sie steht auf, geht durchs
Zimmer, in mein Schlafzimmer
und von dort ins Bad
nach einer Weile höre ich
die Klosettspülung
ihr Name ist Nana, und sie
bewohnt die Erde schon seit
5000 Jahren
© Charles Bukowski

„Das ist überhaupt kein Gedicht!“, sagen Sie? „Allenfalls eine Ultra-Kurzgeschichte mit komischen Zeilenumbrüchen“. DOCH, es ist ein typisches (Bukowski-) Gedicht!! Das war die Art, wie der große Alte aus East-Hollywood Lyrik interpretierte. Wem’s nicht gefällt, der lese halt Max und Moritz. Zumal Hank – so lautet sein Alter-Ego-Pseudonym – mit der 5000jährigen Nana voll ins Schwarze trifft. Wie oft bin ich solchen Frauen schon begegnet? Die Finger beider Hände reichen nicht aus, um sie zu zählen.

Tun Sie es selbst. Also Gedichte schreiben

Nachdem ich Ihnen in dieser Kolumne über ein halbes Dutzend teils gereimter, teil ungereimter Gedichte vorgestellt habe, sollten sie Geschmack an der Sache finden, sich heute Abend hinsetzen und selbst ein paar Strophen zu Papier bringen. Ist keine Hexerei. Ihr Partner wird sich freuen, wenn sie ihn demnächst mit selbst produzierten Versen überraschen, anstatt ständig langweilige Blumen oder noch langweiligere Küchengeräte anzuschleppen.

Fürs Finale habe ich noch eins meiner kleinen Amateurwerke vorgesehen. Mit dem ich vor einigen Jahren bei der Adressatin allerdings keinen Erfolg erzielte.

| Halbes Kilo Hackfleisch
Verlieb dich nicht in hundertzehn Pfund blonde Frau
verlieb dich nicht in weiche Kissen, Satinlaken, pinke Dildos
die sie mit zarten Fingern berührt hat triefend von teurer Maniküre gefrorene Maracujasorbet-Lippen gebleichte Traumstrandzähne Instant-Gefühle
verlieb dich nicht in ihre Sätze
die sie wie Textbausteine sprudeln lässt jeder Discountfuselrausch schmeckt besser als dieses fade Blond
verlieb dich nicht in den Gesang einer Schwänin verlieb dich nicht in durchsichtige Nylons
unter denen blaue Adern schimmern in das Fleisch der Schenkel
dieses stets verlockende Fleisch verlieb dich nicht in die Taxifahrerin die dich nachts nach Hause bringt aber verlieb dich auch nicht
in Zölibat, Onanie, abstruse Fetische
die Einsamkeit schmeichelt deiner Eitelkeit
dabei würde jede kleine Umarmung gesünder sein als die Tonnen Pornografie, die du täglich durchblätterst
bloß, um heuchlerisch zu sagen: „brauche ich nicht“ verlieb dich nicht in Stundenhotels, grüne Perücken Push-BHs und schwarzglänzende Nuttenstiefel verlieb dich nie in die Vergangenheit, denn sie ist unwiderruflich Geschichte
deine Gegenwart so öde wie die graugesichtige Sekretärin
die du jeden Morgen gedankenlos grüßt fürchte die Zukunft, die den Tod bringt panische Angst vor braunen Augen Erschrecken bei einem zarten Lächeln du hast zu lange auf der Straße gelebt
als dass du noch Vertrauen fassen könntest verlieb dich nie in einen anderen
es wird dein Verderben sein
ein halbes Kilo Hackfleisch bei McDonalds stillt den Appetit für ein paar Stunden bevor der unersättliche Hunger nach Liebe von neuem in dir wütet
hundertzehn Pfund balancierend auf High Heels können dein Ende bedeuten
also: Mann mit der verdorrten Seele verliebe dich nie mehr
wenn du an deinem billigen Frieden hängst wie ein Morphinist an der Nadel.

Unmittelbar nach Erhalt dieser Zeilen brach der Kontakt mit der damals Angebeteten sang- und klanglos ab. Die Dame stand vermutlich eher auf Küchengeräte, bzw ich hatte im voreiligen Verliebtheitswahn die Situation falsch eingeschätzt.

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern ... Wer mehr von ihm lesen möchte: www.saufdruck.de

More Posts - Website

Follow Me:
Facebook

Schreibe einen Kommentar zu Rainer Seifert Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert