Böhmermann – Satire geht weiter

Am 17.5.2016 veröffentlichte die Pressestelle des Landgerichts Hamburg eine Grimme-Preis verdächtige Pressemitteilung über eine einstweilige Verfügung gegen Jan Böhmermann mit der die Satire über das Schmähgedicht neue Fahrt aufnimmt.


Grafik: Timo Rödiger

Die Frage sei erlaubt, ob die Pressestelle des OLG Hamburg auf ihrer Homepage eine eigene Satirerubrik unterhält. Sie macht in ihrer Mitteilung über die Entscheidung des Landgerichts Hamburg nämlich ziemlich genau dasselbe wie Jan Böhmermann. Sie erklärt – genau wie dieser – dass das in Rahmen der Böhmermann-Performance vorgetragene Schmähgedicht ein Schmähgedicht ist. Dazu hätte es nun keines Gerichtes bedurft. Das wussten wir schon. Nichts anderes war Gegenstand dieser wunderbaren Satire.

Einziger Unterschied ist der, dass Böhmermann das von ihm vorgetragene Schmähgedicht in Gänze für verboten, das Gericht jedoch folgende Passagen für zulässig hielt:

Sackdoof, feige und verklemmt,

ist Erdogan, der Präsident.-

Er ist der Mann, der Mädchen schlägt

und dabei Gummimasken trägt.-

und Minderheiten unterdrücken,-

Kurden treten, Christen hauen-

Okay, das reimt sich jetzt nicht mehr so richtig und ist als Gesamtkunstwerk auch eher etwas mikrig, um nicht zu sagen schrumpelklötig und kleinschwänzig.

Und weil das der Presseabteilung wohl auch zu wenig des Guten war, hat Sie sicherheitshalber noch einmal das ganze Gedicht – also einschließlich der aus Sicht des Gericht verbotenen Teile – als Anhang an die Pressemitteilung veröffentlicht.

Eine neue Ebene

Weltweit, im Internet. Ob man das auch in der Türkei abrufen kann oder ob die Justizseiten aus Hamburg dort als Türken gefährdende Medien eingeordnet werden, weiß ich nicht. Zum besseren Verständnis werden im Anhang der Pressemeldung die „verbotenen“ Passagen durch rote Schrift noch extra betont. Das riecht förmlich nach einer neuen Ebene der Satire. Ich hatte keck vermutet, dass das Team des Neo Magazin Royal schon vor Monaten einen Pressemitarbeiter bei der Justiz installiert hat, nachdem dieser bei „Schwiegertochter gesucht“ nicht mehr gebraucht wurde. Bei Böhmermann weiß man ja nie.

Wie dem auch sei – durch diese kongeniale Pressemitteilung, die ich gleich mal für den Grimme-Preis nominieren möchte, wird das Schmähgedicht noch einmal – und dieses Mal auf jeden Fall völlig legal – große globale Verbreitung finden. Vermutlich wird Erdogan das eher sackdoof finden.

Dass die einstweilige Verfügung nicht das letzte Wort in dieser Angelegenheit sein würde, war ohnehin vorher klar. Dass sie aber für so viel Spaß sorgen würde, konnte niemand ernsthaft erwarten. Ich sage ja schon immer, das Jura alles andere als trocken und langweilig ist.

Warum überhaupt des Landgericht Hamburg für diese Angelegenheit zuständig ist, wo doch der Verfügungsgegner Böhmermann in Köln wohnt, das ZDF in Mainz ansässig ist und der Kläger in einem gerichtlich als Schwarzbau erkannten Palast der 1000 Zimmer in Ankara lebt, ist schnell erklärt.

Fliegender Gerichtsstand

Das kommt daher, dass es zwar in Deutschland keine fliegenden Teppiche, allerdings in Presseangelegenheiten einen „fliegenden Gerichtsstand“ gibt.

Nach § 32 ZPO kann gegen unerlaubte Handlungen – und eine Persönlichkeitsrechtsverletzung ist eine unerlaubte Handlung nach § 823 BGB  – überall dort geklagt werden, wo die Handlung begangen wurde oder wo der aus ihr resultierende Schaden eingetreten ist. Bei Fernseh- und Radiosendungen also überall dort, wo ein Empfang möglich ist.

Der fliegende Gerichtsstand ist eine ziemlich bedenkliche Einrichtung der ZPO, weil der Kläger sich über dieses Konstrukt seinen „gesetzlichen“ Richter selbst aussuchen kann. Das ist schon irgendwie irre. Im Jahr 2014 machte der SPIEGEL einmal eine Umfrage, die zu dem Ergebnis führte, dass nur 3 von 24 Oberlandesgerichten, nämlich Hamburg, Berlin und Köln, im Zeitraum von 2010 bis 2012 zusammen 63 Prozent aller Presseurteile in zweiter Instanz entschieden. Die restlichen 21 Oberlandesgerichte teilten sich die verbliebenen 37%. Das OLG München kam beispielsweise gerade mal über 6%, das OLG Frankfurt am Main auf keine 2%.  Offenbar erwarten die jeweiligen Kläger sich von diesen drei Gerichten die größten Erfolgsaussichten.

Es ist kein Wunder, dass es Erdogan gegen Böhmermann zum LG Hamburg zog, hatte doch das in der Stadt des Geißbocks gelegene LG Köln in einem von ihm angestrengten Verfahren gegen Springer-Chef Mathias Döpfner eine einstweilige Verfügung abgelehnt.

Kein Bock auf Köln

Das Risiko auch gegen Böhmermann in Köln ein paar zwischen die Hörner zu bekommen, war dem türkischen Präsidenten wohl zu hoch. Verständlich, dass er da keinen Bock mehr drauf hatte. Es ist ja auch völlig legitim, eine bestehende günstige Rechtslage auszunutzen. Gleichwohl sollte sich vielleicht der Gesetzgeber dieses sogenannte Forum-Shopping noch einmal genauer ansehen und darüber nachdenken, auch in Presserechtssachen einen etwas eindeutigeren gesetzlichen Richter zu bestimmen. Was spräche denn dagegen,  wie auch sonst üblich, das Wohnortgericht des Antragsgegners für zuständig zu erklären?

Die allgemeinen Regeln über die Gerichtsstände sollen ja gerade eine willkürliche Wahl des Gerichts verhindern. Dass unterschiedlich Gerichte gerade in Fragen der Verletzung des Persönlichkeitsrechts zu unterschiedlichen Einschätzungen und unterschiedlichen Entscheidungen kommen, liegt in der Natur der reichlich wabbeligen Materie. Dass da manche Entscheidung gerade auf der erstinstanzlichen Ebene weniger nachvollziehbaren juristischen Kriterien als vielmehr dem persönlichen Geschmack der Entscheider folgt, ist kein großes Wunder. Durch die freie Auswahl des Gerichtsortes erhält der Kläger allerdings einen unvertretbaren Vorteil. Er guckt sich erst die bisherige Rechtsprechung der jeweiligen Gerichte an und wählt dann das für ihn angenehmste. Oder auch das, was am weitesten vom Gegner entfernt liegt – dann hat der fette Reisekosten. Wie wär’s, Herr Maas?

Ich hätte den Lesern der Kolumne ja gerne die genauen Beweggründe der Pressekammer des Landgerichts Hamburg erläutert und hatte zu diesem Zweck bei der Pressestelle den Volltext der Entscheidung in Hamburg angefordert. Aber den zu bekommen ist – wie der Pressesprecher, Dr. Kai Wantzen, per Mail mitteilte – zur Zeit noch nicht möglich, da die einstweilige Verfügung noch nicht vollzogen ist. Im einstweiligen Verfügungsverfahren muss der Antragsteller dem Antragsgegner den Beschluss förmlich zustellen. Das ist bisher offenbar noch nicht geschehen. Erst danach kann das Gericht den Volltext herausgeben bzw. veröffentlichen.

Der hamburger Kunstspaltungsreaktor

Eines fällt aber bereits jetzt auf; indem das Gericht Teile des Gedichtes für erlaubt und andere für verboten hält, macht es deutlich, dass es die Böhmermann-Performance nicht als Gesamtkunstwerk betrachtet und gewürdigt, sondern dieses für die Beurteilung in kleine Teilchen zerlegt hat. Das ist eine grundfalsche Herangehensweise, die das Bundesverfassungsgericht anlässlich seiner Entscheidung über den anachronistischen Zug bereits vor über 30 Jahren für unzulässig erklärt hat.

Künstlerische Äußerungen sind interpretationsfähig und interpretationsbedürftig; ein unverzichtbares Element dieser Interpretation ist die Gesamtschau des Werks. Es verbietet sich daher, einzelne Teile eines Kunstwerks aus dessen Zusammenhang zu lösen und gesondert darauf zu untersuchen, ob sie als Straftat zu würdigen sind.

Gut, hier ging es jetzt nicht um ein Strafverfahren, aber für die Methodik gilt auch bei einer Pressesache nichts anderes. Es geht danach nicht an, wenn das Landgericht die Gesamtaufführung bestehend aus Moderation, Zwiegespräch mit dem Sidekick, Ralf Kabelka, Vortrag des Gedichtes nebst Unterbrechungen und den zu dem Gedicht führenden Hintergründen, in einen gerichtsinternen Kunstspaltungsreaktor wirft und dann lediglich einzelne Schnipsel für sich genommen bewertet. Dass es bei der Spaltung von Material zu gefährlichen, nicht mehr beherrschbaren Einzelprodukten kommen kann, kennen wir ja aus Fukushima.

Man stelle sich vor, ein Gericht soll über ein antinazionalsozialistisches Gemälde urteilen. Das Gericht zerschneidet das Bild und verbietet dann die Teile des Bildes, die Hakenkreuze, SS-Runen und andere verbotene Symbole zeigen. Oder es extrahiert aus dem Wort Zackenbarsch die Zacken und ein b und verbietet dann den Arsch. Sackdoof, oder? Zur Gesamtschau der Causa Böhmermann gehört eben nicht nur das Schmähgedicht als solches, sondern neben den oben genannten Teilen auch noch die Mimik und der Ton in dem dieses verlesen wurde und die jeweiligen Unterbrechungen. Das Zerstückeln des immerhin vom Gericht als Kunst erkannten Werkes führt zu reichlich skurrilen Wertungen. Warum sollte das Persönlichkeitsrecht durch den vom Gericht untersagten Reim

Sein Gelöt stinkt schlimm nach Döner,

selbst ein Schweinefurz riecht schöner.

schlimmer beeinträchtigt sein, als durch das erlaubte

Er ist der Mann, der Mädchen schlägt

und dabei Gummimasken trägt ?

Muss ich nicht verstehen und verstehe ich auch nicht. Meint das Gericht vielleicht, es sei ehrenrühriger, wenn irgendetwas Erdogan gehörendes nach Döner stinkt, als wenn er mit Gummimaske verkleidet Mädchen schlägt? Wie definiert das Gericht das Wort „Gelöt“? Wittert es da vielleicht einen örtlichen und olfaktorischen Zusammenhang zu Schrumpelklöten oder einem brennenden Schwanz, obwohl der Begriff „Gelöt“ umgangssprachlich lediglich ein oft genutzter Ausdruck zum Benennen unbekannter Gegenstände oder ein Lückenfüller für entfallene Begriffe ist. Wenn sein Gelöt nach Döner stinkt, dann kann das z.B. sein Abfalleimer sein. Hat hier vielleicht die eigene – nun ja sagen wir mal erregte – Phantasie des Gerichts der Zeile eine womöglich sexuell geprägte Bedeutung beigemessen, die sie objektiv nicht hat? Ich weiß es nicht.

Show must go on

Was ich allerdings mit Sicherheit weiß, die großartige Satirenummer des Jan Böhmermann ist noch lange nicht zu Ende. Wenn jetzt schon Gerichtspressestellen den Spaß mitmachen, wird sich der große, erhabene und wunderbar lächerliche Möchtegern-Sultan noch lange Zeit der Aufmerksamkeit der Deutschen erfreuen. Vielleicht sollte Erdogan langsam schon einmal bei Google intervenieren, damit sein allseits gepriesener Name dort nicht immerzu in den Topergebnissen auftaucht, wenn jemand den Begriff „Ziegenficker“ eingibt. Spätestens wenn bei der Suche nach dem großen Brings-Hit „Superjeile Zick“ der Name Erdogan auftaucht, dürfte der hyperaktive Eindämmungsversuch endgültig gescheitert sein.

#quotenbremse

Während beim Neo Magazin Royal die Quoten – #quotenbremse – gewaltig steigen, sind es bei Erdogan lediglich die Zoten. Und obwohl Amateur-Rechtskundelehrer Böhmermann ja zutreffend deutlich darauf hingewiesen hat, dass Schmähgedichte verboten sind, werden jetzt schon im Mutterland der Meinungsfreiheit Solidariätsgedichtwettbewerbe gestartet und der ein oder andere Reim auf goat geschmiedet. Ich vermute, die Queen wird very amused sein.

Der wundersame Scheinriese aus Ankara hat da ganz kräftig in die Kacke gepackt und wird wohl als Anwärter auf die „Barbra-Streisand-Ehrenmedaille für die internationale Förderung des Streisand-Effektes“ auf lange Sicht nicht mehr zu toppen sein.

Selbstverständlich wird Jan Böhmermann diese unterhaltsame einstweilige Verfügung nicht akzeptieren und den kompletten Rechtsweg sowohl zivil- als auch strafrechtlich beschreiten. Da das ZDF ihm volle Kostendeckung zugesagt hat, ist sein persönliches Risiko recht gering, wenn man mal von durchgeknallten Erdoganfans absieht.

Es bleibt zu hoffen und ich erwarte das auch, dass letztlich – sei es auf Veranlassung Böhmermanns oder Erdogans – das Bundesverfassungsgericht Gelegenheit erhält, sich mit der Angelegenheit zu beschäftigen und seine aktuelle Sicht der Dinge im Hinblick auf das Spannungsfeld zwischen Kunstfreiheit und nötigem Schutz der Persönlichkeitsrechte erneut darzustellen. Die Entscheidung zum anachronistischen Zug – den ich am 5. Oktober 1980 in Bonn mit sehr viel Spaß erleben durfte – ist schließlich auch schon über 30 Jahre alt und es mag sein, dass das Bundesverfassungsgericht heute die ein oder andere zusätzliche Bemerkung machen möchte.

Satire geht weiter.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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