Nachts ist es leise in Teheran
Shida Bazyar hat mit ihrem Debüt einen starken Roman vorgelegt, dem man nur vorwerfen kann, dass er Lesern, die das Menschsein noch nicht verlernt haben, weh tut.
In einer der letzten Szenen von Nachts ist es leise in Teheran schaut sich Mo, der einerseits weiß, dass ihm die Niederschlagung der Demonstrationen in Iran 2009 nahe gehen sollten – und manchmal gehen sie ihm dann auch sehr nahe – der andererseits vom politisierenden Geschwätz seiner Bauch- bis diskurslinken Komilitonen eher angenervt ist, und überhaupt schwer damit zurecht kommt, dass man immer zu allem eine Meinung haben müsse und er als Kind iranischer Eltern ganz besonders zu diesem Thema, sich einmal wieder nachts Youtube-Videos von den Demonstrationen an.
Hafis, Brecht, Michael Jackson
Da entdeckt er eines, in dem die Konterfeis iranischer Politiker zu Michael Jacksons Beat it montiert sind – eine Kombination, der Mo augenscheinlich mehr abgewinnen kann als etwa der Sakralisierung der getöteten Neda als blutüberströmte Ikone im Internet und auf Plakaten. Der Bezug zu Michael Jackson, der im vierten Monolog von Nachts ist es leise in Teheran mehrfach hergestellt wird, ist die vorerst letzte Variation des den Roman durchziehenden Themas einer Verflechtung von Lyrik im weitesten Sinne mit dem Streben nach persönlicher und gesellschaftlicher Freiheit. Was den Eltern Behsad und Nahid noch Hafis und Shamlou waren, sind späteren Generationen (auch) Jackson und Ricky Martin – auf Tochter Lalehs Reise nach Teheran im dritten Monolog in einer faszinierenden Doppelfunktion: Als lächerliches Bravo Hits-Gequäke auf drögen deutschen Kinderpartys einerseits, als Projektionsfläche von Sehnsüchten der Teheraner Jugend andererseits, zu Recht belächelt, zurecht verehrt. Auch in Mos Freude an der spöttischen Beat-It-Montage platzt dann bald wieder politisierend Freundin Maryam herein: „Das sind nur die verdammten Medien, die so tun, als würde auf dieser Welt gerade nichts von Bedeutung passieren, nur weil ein pädophiler Popstar gestorben ist.“
Und so ist das komplette Debüt von Shida Bazyar geraten. Ein Buch, das wie es von Behsad gesagt wird, immer so viele Perspektiven aufzeigen muss bis man gar nichts mehr entscheiden kann. Allerdings: Nicht im Sinne engagierter oder didaktischer Literatur. Ein Buch vielmehr, das nachdenklichen, oft verzweifelten Protagonisten folgt, die immer wieder die gleichen hoffnungsvoll-hoffnungslosen Kämpfe zu kämpfen scheinen, die von der verlorenen Heimat nicht lassen wollen und von Träumen einer mal demokratisch, mal sozialistisch gedachten Zukunft, die aber auch einfach leben wollen und sich nicht in einfaches Freund-Feind-Denken fügen lassen.
Ein trauriger Roman
Nachts ist es leise in Teheran ist ein trauriges Buch. Es ist ein Buch, das wenn es noch so etwas wie ein emphatisches Verständnis von Menschheit und Menschlichkeit geben kann, traurig machen muss. Da mag auch Stefan Hochgesand für die TAZ noch so sehr den optimistischen Schlussmonolog Taras in den Mittelpunkt seiner Rezension stellen, der bleibt ja doch vorerst ganz irreal, ist doch als einziger weder konkret in räumliche noch in gesellschaftliche Gegebenheiten eingebettet, findet statt irgendwann in irgendeiner Zukunft, an zehn Tagen ohne Fernsehen und Internet, als Tara zufällig an einer Tankstelle in der norwegischen Wildnis vom Sturz der Mullahs erfährt. Er ist ein Kontrapunkt, die grundlegende Stimmung von Nachts ist es leise in Teheran weniger konterkarierend als noch verstärkend.
Und wer sich nur ein wenig mit persischer Geschichte seit der islamischen Revolution beschäftigt hat, wer vielleicht noch die ein oder andere persönliche Verbindung dazu hat, oder überhaupt, wer sich nicht ganz eingeschlossen hat in der kalten Ideologie, dass sich jeder selbst der Nächste sei und damit doch allen geholfen, der kann sich dieser grundlegenden Stimmung voll Schwermut kaum entziehen. Schwermut, aus der doch von Zeit zu Zeit ein, aber niemals befreiendes, Lachen hervorgluckert . . .
. . . Etwa wenn Laleh, in der Schule beim UN-Model-Unterricht natürlich die iranische Vertreterin geben muss, angeleitet von „Redekarten“ Israel das Existenzrecht abspricht, im nächsten Atemzug betont, wie „reformorientiert“ die derzeitige iranische Regierung sei, und die Debatte, von der Lehrerin wohlwollend begleitet, bald in einen allgemeinen Sermon darüber abgleitet, dass doch irgendwie alle Menschen unterdrückt seien und natürlich auch die USA immer ihre Hände im Spiel haben. „Geschichte wiederholt sich nicht“ wird politisch pessimistischen Menschen gerne entgegengehalten. Doch die Model-UN Episode spielt 1999, und hätte 2009 noch ebenso gut spielen können wie sie 2016 weiterhin aktuell wäre.
Denn das Versagen jener Kräfte, die so gerne die Freiheit, den Humanismus, das ganze vielbeschworene Bündel der im Zweifel so rasch zur Disposition stehenden westlichen Werte beschwören, im Umgang mit den persischen politischen Verhältnissen ist spätestens seit 1979, eigentlich schon seit Mossadeghs Sturz 1956 ein erbärmliches um sich selbst kreisendes Trauerspiel, indem zwar auch, wie rückblickend gern betont wird, die politische Linke mit ihrem jämmerlichen Antiimperialismus ein ekelhaftes Bild abgegeben hat, wirklich relevant ist das aber nicht. Von der Software fürs Atomprogramm bis zum Baukran sind es andere, die das Regime ganz praktisch stärken, und nicht die marginalisierte Linke hat den Atomdeal unterzeichnet, der die islamische Republik nach innen weiter stabilisiert, sondern die Machthaber fast aller westlichen Staaten. Das gesamte westliche Establishment lügt sich einen um den anderen iranischen Präsidenten zum jetzt-aber-wirklichen „Reformer“ um, ignoriert die auch seit 2009 andauernden Proteste längst wieder und steht einem Graffiti wie „Mr. Bush, vergiss nicht, uns gibt es auch noch!“ (nach dem Afghanistankrieg) dann genauso fassungslos gegenüber wie Mo in Nachts ist es leise in Teheran.
Doch Bazyar schreibt keinen Thesenroman, und auch wenn gesellschaftspolitische Fragen auf vielschichtige Weise diskutiert und durchleuchtet werden ist Politik nur ein (notwendiger) Inhalt eines berührenden Buches, dessen politische Sprengkraft sich auch und vor allem aus dem Primat des Ästhetischen ergibt, das die Gedanken unterschiedlicher, und sich doch ähnelnder Protagonisten aus zwei (einhalb) Generationen in produktive Spannungsverhältnisse setzt.
Ein schöner Roman
Denn Nachts ist es leise in Teheran ist auch ein schöner, fast ein elegant zu nennender Roman. In vier Gedankenströmen folgt die Erzählung erst dem links-revolutionären Behsad während der Aufstände gegen Mohammad Reza Pahlavi, deutet eine zarte Liebe zur Genossin Nahid an, und zwingt, dabei zuzusehen wie die Revolution immer mehr von islamistischen Kräften an sich gerissen wird. Erinnerungen an Gedichte von Hafis und Shamlou begleiten diesen Teil. Der nächste Charakter im Fokus ist dann Nahdi selbst, 1989 nach geglückter Flucht Richtung Deutschland, ambivalente Gefühle zwischen Neuorientierung und der Hoffnung auf baldige Rückkehr sind ein zentrales Thema, subtil unterlegt von Reflexionen auf Brechts Gedanken über die Dauer des Exils. Im dritten Teil reist Tochter Laleh mit der Mutter zurück nach Teheran, lernt Jugendliche kennen, die sich an Studentenprotesten beteiligt haben und zeigt sich oft überwältigt von einem Land, das ihr bisher mehr idyllische Kindheitserinnerung als real war. Ab jetzt bestimmt Popmusik stärker das Lebensgefühl der Protagonisten als klassische oder moderne Lyrik. Mo’s Studentenexistenz, bissige Kritik an, bei gleichzeitiger Verbundenheit mit der universitären Linken, der Blick auf die Proteste 2009, schließen Nachts ist es leise in Teheran im Hauptteil ab, ehe der kontrapunktische Monolog den Text endgültig ausklingen lässt. Sprachlich gelingt es dabei Bazyar, eine glaubwürdig-innerliche Erzählrhythmik und Melodie zu finden, die gerade genug variiert wird um die einzelnen Perspektiven voneinander abzugrenzen, ohne allzu bemüht zu wirken. Die Erfahrung von Gerüchen und die Übersetzung von Wahrnehmungen in am Fernsehen geschulten Bildern spielen eine starke Rolle darin, den Leser Sinneseindrücke sehr unmittelbar erfahren zu lassen. Distanz wird stark reduziert, was die melancholischen Momente noch eindringlicher macht. Allein Mo’s vierter Monolog kann leider oft nicht leisten, was den anderen spielerisch gelingt, ausgerechnet die wahrscheinlich heutigen Lesern wie auch der Autorin am nächsten stehende Momente wirken zeitweise eher hölzern, statisch, wie aus Nachrichten zusammengeklaubt. Da mag durchaus Absicht dahinter stehen, der Versuch jenes distanzierte Verhältnis zum Allerpersönlichsten, dass die Allgegenwart emotionalisierter Bilder in sozialen Medien dem Empfinden mit der Zeit aufprägt, in Worten auferstehen zu lassen. Wenn ja, ist das teilweise gelungen. Aber das ansonsten deutlich werdende Bestreben, auch Mo’s Erleben in sehr persönlicher Weise zu schildern, lässt eher vermuten, dass es sich um ein generelles Vermittlungsproblem handelt – über Zeitgenössisches schreibt es sich schwer, und eine dem Gegenstand gemäße Form über das Agieren in sozialen Netzwerken zu schreiben (oder über das Leben mit dem Internet allgemein) hat nach meinem Dafürhalten bis heute noch kein Autor wirklich gefunden. So sollte man Bazyar die Schwächen von Mos Monolog denn auch nicht all zu akribisch vorrechnen, selbst hier blitzen immer mal wieder geniale Momente auf, die zeigen, dass das Internet zumindest keine Technologie ist, die sich der Literatur zwingend sperren muss:
Maryam hat kein Foto von sich auf ihrem Profil, aber das Bild von einer Faust, die aus der Erde kommt. Ohne Freunde ist es ein stiller Raum, dieses Facebook, ein kühler, stiller Raum, und ich halte mich nur kurz zurück, dann tippe ich auch schon all ihre Namen ein. Die Namen meiner Cousins und Cousinen, der Onkel und Tanten, und ich erschrecke mich, ihre lachenden Profilgesichter auf meinem Bildschirm zu sehen.
Kein „polyphoner“ Roman
Den generell sehr positiven Eindrücken zum Trotz, die Nachts ist es leise in Teheran hinterlässt, hat Bazyar mit diesem Buch noch (?) nicht jenen großen polyphonen Roman geschrieben, den sie sich der Taz zu Folge gegen ihre Hildesheimer Dozenten zu erkämpfen suchte. Denn Teheran simuliert Mehrstimmigkeit zwar mehr oder weniger geschickt, es handelt sich dennoch um vier hintereinander montierte Ich-Erzählungen, einzelne Stimmen, die nur sehr bedingt miteinander interagieren. Zu Llosas Gespräch in der „Kathedrale“ oder auch Rushdies Satanischen Versen fehlt da noch ein ganzes Stück. Das wäre nichts, was man dem Roman vorhalten müsste, korrespondierte damit nicht ein eher eingeengter Blick auf größtenteils sekuläre Mittelschichtcharaktere, deren forcierte Innenperspektive es beispielsweise thematisch nicht vorgebildeten Lesern kaum möglich macht nachzuvollziehen, wie überhaupt je der Islamismus in all diesen hoffnungsvollen Revolutionssituationen sich derart im Volk festsetzen und Mal um Mal siegreich bleiben konnte. Alltägliches Leben abseits studentischer Perspektiven kommt höchstens am Rande vor. Nachts ist es leise in Teheran ist das einfühlsame Buch einer progressiv gesinnten Familie, weniger das Buch einer Gesellschaft in all ihrer Widersprüchlichkeit. Als Familienroman aber ist es eine der besseren Neuerscheinungen der letzten Jahre, auch wenn es mir persönlich schwer fällt mir einen Leser vorzustellen, der Bazyars Werk tatsächlich mit ungetrübtem Genuss lesen kann.
Zumindest nicht, solange Taras hoffnungsvoller Epilog nicht auch abseits der Fiktion ganz real zu seinem Recht kommt.
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