Was die Geister scheidet: Systemkritik und Selbstkritik

Unser Gast-Kolumnist Phillip Mauch wünscht sich, es möge in der deutschen Politik kontroverser zugehen. Die Fixierung auf die Organisation eines Konsenses in der so genannten Mitte sorge dabei für jene Zersplitterung des Parteienspektrums, die sich in Deutschland gerade dramatisch zuspitzt.


Das alte Links/Rechts-Schema ist eher ein Phänomen für die Nischen politisch bewusster Milieus? Die kleinen Facebook-Zirkel, in denen Fragen der ideologischen Polung ausdiskutiert werden, soll man anscheinend nicht mit der Wirklichkeit verwechseln, wie mir Familie und Freunde immer wieder wohlwollend nahelegen.

Das sehe ich naturgemäß völlig anders: Die Auflösungserscheinungen, wie sie seit langem schon die Sozialdemokratie heimsuchen und neuerlich auch die Christdemokraten zu verfolgen beginnen, sind ein Beleg dafür, dass es nicht kontrovers genug zugehen kann. Den ehemals großen Volksparteien fehlt in ihrem Streben nach Konsens und Stabilität ganz offensichtlich eine gewisse Frustrationstoleranz gegenüber polarisierenden Strömungen in den eigenen Reihen.

Die Leier vom ausgedienten Links/Rechts-Schema

Sicherlich bringen Spitzenkandidaten, die als Vorsitzende ihre Parteien geschlossen hinter sich versammeln, mehr Wählerstimmen ein, als ein öffentlich zankender Debattierclub. Aber die Fixierung auf die Organisation eines Konsenses in der so genannten Mitte sorgt eben für jene Zersplitterung des Parteienspektrums, die sich in Deutschland momentan dramatisch zuspitzt. Immerhin waren nach den jüngsten Landtagswahlen große Koalitionen in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt nicht mehrheitsfähig.

Die Leier von den veralteten politischen Kategorien mag mit Blick auf die nahezu unversöhnliche Lagerbildung im auf Hochtouren laufenden US-Wahlkampf seine Berechtigung haben. In Deutschland haben wir es allerdings mit einer umgekehrten Entwicklung zu tun: Der überparteiliche Zentrismus hat zu einer Institutionalisierung der radikalen Tendenzen an den Rändern des parteipolitischen Spektrums geführt. Und eben nicht zu einer Zuspitzung der Rivalität zwischen den beiden Großen beziehungsweise Alten. Hierzulande ist die Fliehkraft zwar kleiner – eine AfD kann die Union nicht in derselben Weise vor sich hertreiben wie eine Tea Party die GOP – aber die Re-Integration fällt umso schwerer, wie die verfahrene Situation möglicher Regierungskonstellationen in Bund und Ländern bezeugt.

Alles eine Frage der Ästhetik

Selbst in den Reihen der momentan im Sinkflug befindlichen SPD, den treusten Anhängern des „Erst die Inhalte, dann die Person“-Mantras, greift eine erstaunliche Ernüchterung in Bezug auf reine Sachpolitik um sich, beziehungsweise eine Sehnsucht nach mehr Charisma.

Die Identifikation mit Personen allein ist aber zu oberflächlich, der Verschleiß von SPD-Parteivorsitzenden seit Gerhard Schröder spricht da eine klare Sprache. Die Sehnsucht gilt eher einer intuitiven Sympathie, wie man sie sonst nur noch vom Fußball kennt. Im Marketing ist es eine Binsenweisheit, dass man sich nicht bloß Konsumenten, sondern Fans heranziehen soll. Was aber macht den Wechselwähler zum Fan parteipolitischer Couleur?

Wer hierauf eine einfache Antwort weiß, ist zu Höherem berufen. Ich kann nur der vagen Ahnung Ausdruck verleihen, dass politische Vereinsfarben, mit denen man sich identifiziert, etwas mit Ästhetik zu tun haben. Mich zum Beispiel hat in jungen Jahren die kritische Theorie und linke Kapitalismuskritik intellektuell durchaus angesprochen, aber ästhetisch abgestoßen. Zunächst erschien es mir zwar nicht moralisch verwerflich, aber eben auch nicht sehr anständig, dass man Kritik mehr an anderen als sich selbst übt. Die Allüre, so ohne weiteres seinen Protest auf die Straße zu tragen, kam mir immer schamlos vor. Nicht wirklich falsch, aber eben unschön. Das werden manche verklemmt finden, andere nennen das Contenance.

Dann aber war da noch die Attraktivität des Ideals der Selbstkritik, genauer der Redlichkeit und ja, sagen wir ruhig Grausamkeit gegen das eigene Selbst. Am Konservativismus hat mir immer das etwas Klischeehafte am besten gefallen, wonach man tapfer sein und sich erst mal beweisen musste, bevor man was forderte. Heute mutet das vielleicht wie eine etwas unausgegorene Mischung aus Thomas Mann und Jan Fleischhauer an. Aber, Hand aufs Herz, steht doch im Grunde genommen hinter jeder inhaltlich noch so gereiften Überzeugung solch ein unreflektierter, ursprünglicher ästhetischer Impuls.

Haltung bewahren und sich um den eigenen Stall kümmern

Das klingt nach weltfremder Esoterik? Mag sein. Die Abgrenzung allerdings zum rechten Rand bereitet mir auf dieser Grundlage nicht die geringsten Probleme. Dass die PEGIDA-Proteste und zumindest die offen sympathisierenden Teile in der AfD meinen konservativen Neigungen zu tiefst widersprechen ist und bleibt eine Haltungsfrage. Sich so gehen zu lassen, seine Langweile am System so ungehemmt öffentlich zur Schau zu stellen, überschreitet nicht mehr nur die Schamschwelle, sondern ist, denkt man an die Darbietungen der Herren Höcke, Poggenburg oder Bachmann, geradezu obszön. Sehe ich die linken Kulturkämpfer von ehedem und die rechten von heute, überkommt mich derselbe Widerwille, dass sich ein solches Theater einfach nicht gehört.

Bei aller Notwendigkeit substanzieller Inhalte sowie charismatischem Führungspersonal für die Vermittlung derselben – den malignen Versuchungen fundamentaler Systemgegnerschaft muss man etwas mehr entgegensetzen und es kann keine sauertöpfische Gardinenpredigt sein. Gerne würde ich viele Anhänger und Protestwähler, die wider jede Vernunft immer noch auf eine Mäßigung der AfD hoffen, für die Union zurückgewinnen. Vielleicht lassen sie sich überzeugen, dass sie mit einer tadellosen Haltung mehr konservative Politik durchsetzen können, als wenn sie hinter irgendwelchen irren Plakaten herlaufen. Und den Kollegen von der Sozialdemokratie wünsche ich ebenfalls, dass sie diejenigen wieder einfangen, die sie an umwelt- oder sozialpolitische Projekte verloren haben.

Wie wäre es also, statt sich solange gegenseitig asymmetrisch über den Jordan zu mobilisieren, bis Sahra Wangenknecht und Frauke Petry zusammenfinden, sein eigenes Ding durchzuziehen und den jeweils anderen mal Seins machen zu lassen? Mein Grundsatz für den immer näher rückenden Bundestagwahlkampf ist jedenfalls, mir das Konservative im Zuge einer selbstkritischen Übung zu erschließen, und mich weniger über linke Kapriolen zu echauffieren – selbst dann nicht, wenn sie von neurechten Schwärmern und Hasardeuren systemkritisch nachgetanzt werden sollten.

 

Philipp Mauch

Philipp Mauch ist von Berufs wegen Stratege für Regulierungsmanagement in der Konsumgüterindustrie. Als Stipendiat der Hanns-Seidel-Stiftung hat er über Nietzsche promoviert – eine Kombination, die er als Ausweis seines liberal-konservativen Nonkonformismus verstanden wissen möchte. In seinem Blog „Variationen der Alternativlosigkeit“ grübelt er über Deutschlands politische Kultur.

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