Warum der Siedlungsbau im Westjordanland (k)ein Problem sein sollte
Das Thema „illegale jüdische Siedlungen im Westjordanland“ wird viel zu einseitig negativ gesehen und es gibt gute Gründe, es differenzierter zu betrachten. Eine kleine Analyse von Cynthia Tschoek.

Während andere ihre Flitterwochen in Thailand oder auf den Malediven verbringen, verbrachten mein Mann und ich sie vor über zehn Jahren in einer sogenannten illegalen Siedlung namens Kfar Adumim im Westjordanland.
Der Vorschlag kam von unserem auf Israelreisen spezialisierten Reisebüro und wir waren trotz unserer Liebe zu diesem Land, inklusive vorheriger Reiseerfahrungen, erst skeptisch, dann siegte aber doch die Neugier.
Wie bei vielen anderen ging unsere Vorstellung einer illegalen, jüdischen Siedlung bis dahin in die Richtung eines wehrhaften Asterix-Dorfes, in dem die Leute hinter hohen Zäunen leben und mit einer Waffe unterm Kissen schlafen, immer bereit für ein spontanes Gefecht gegen die sie umzingelnden Araber.
Doch nichts war der Wahrheit ferner: Kfar Adumim war ein verschlafenes Örtchen, in dem Fahrräder ohne Schlösser an den Zäunen lehnten, weil niemand mit Dieben rechnete; in dem Hunde frei und leinenlos durch die Gegend stromerten wie hierzulande nur Katzen, in dem Jugendliche in plappernden Grüppchen umherspazierten, und wo es leckere vegetarische Pizza gab. Jemand wusch im Vorgarten sein Auto und hörte dazu israelische Musik.
Ringsherum? Das große Nichts. Biblische Landschaften, ein Wadi, und ganz in der Ferne und nur bei Nacht zu erkennen, die Lichter von Ma’ale Adumim, einer Stadt, die es offiziell eigentlich auch nicht geben dürfte. Unser Gastgeber sagte uns, und das mit Recht: „Das hier ist das eigentliche Kernland der jüdischen Historie. Nicht Haifa oder Tel Aviv, sondern hier. Hier begann alles.“
Unser allgemeiner Eindruck des Ortes: Ruhe und Frieden.
Und wir fragten uns: Wo liegt denn jetzt das Problem? Warum wird uns so eine falsche Vorstellung von Siedlungen vermittelt? Wurde wirklich jemandem etwas weggenommen?
Eine notwendige Pufferzone
Judäa und Samaria – das Westjordanland – , sowie der Golan und Ostjerusalem, stehen seit dem Sechstagekrieg 1967 unter israelischer Besatzung. Dem Völkerrecht nach sollte eine Besatzung stets nur zeitlich begrenzt sein, und eine Besiedlung durch den Besatzer scheint dieser zeitlichen Begrenzung entgegenzustehen und ihr einen permanenten Charakter zu verleihen.
Die anhaltende Besatzung stößt international auf viel Kritik, jedoch möchte ich an dieser Stelle eine andere Perspektive veranschaulichen:
Israel braucht diese Pufferzone, die das Westjordanland darstellt, zu seiner eigenen Sicherheit. Denn was passiert, sobald sich Israel aus einem besetzten Gebiet zurückzieht und alle Siedlungen abbricht, gar seine eigenen Toten ausgräbt und dort entfernt, haben wir sehr deutlich am Beispiel Gaza gesehen. Vor zwanzig Jahren zog sich Israel vollständig von dort zurück, mit der Folge, dass sich in Gaza ein dichtes Terrornetzwerk unter Hamas und Palästinensischem Islamischem Jihad (PIJ) etablierte, das nahezu täglich israelische Grenzorte bombardierte und letztlich im Massaker des 7. Oktober gipfelte.
Und nun stelle man sich diese Entwicklung im Westjordanland vor, das mehr als zehnmal so groß ist wie Gaza und mehr als doppelt so viele Einwohner hat. Manch einer mag einwenden, dass dieses Gebiet aber doch von der gemäßigteren Fatah regiert wird, doch „gemäßigt“ ist auch für diese ein sehr irreführender Begriff. Der de-facto-Autokrat Mahmud Abbas ist nicht nur ein dezidierter Holocaustleugner, sondern macht ebenfalls kein Geheimnis daraus, dass er den Staat Israel ganz gern vernichtet sähe. Würde er Wahlen zulassen, wäre er längst gnadenlos abgesägt und auch dort durch die Hamas ersetzt worden. Ein Rückzug Israels aus diesen Gebieten käme einem Suizid gleich.
Ein judenreines Palästina?
Doch unterstellen wir einem zukünftigen palästinensischen Staat einfach mal gute und friedliche Absichten. Da stellt sich die Frage: Weshalb würden jüdische Siedlungen dann eine Staatsgründung verhindern?
Als Israel noch in der Nacht seiner Gründung von den umliegenden, arabischen Staaten angegriffen wurde, rieten diese den arabischen Bewohnern, für ein paar Tage ihr Zuhause zu verlassen, um dann zurückzukehren, wenn dieser Judenstaat im Keim erstickt sei. Dass das nicht funktioniert hat, ist bekannt – die Angreifer verloren den Krieg und hunderttausende Araber, die die Vernichtung Israels durch ihren vermeintlich temporären Fortgang unterstützen wollten, waren plötzlich heimatlos. Dieser Vorgang wird heute als „Nakba“ bezeichnet und fälschlicherweise als „Vertreibung der Palästinenser durch Israel“ dargestellt.
Aber es gab auch die, die diesem fatalen Rat nicht folgten und in Israel blieben. Haben diese arabischen Siedlungen die Gründung Israels verhindert? Natürlich nicht. Sie wurden vollständige Staatsbürger mit allen Rechten und Pflichten und einer Zukunft. Sie und ihre Nachfahren sind heute Politiker, Richter, Universitätsprofessoren, Chefärzte, Offiziere und vieles mehr. Sogar mit eigenen Parteien sind sie im Parlament vertreten.
Warum also sind jüdische Siedlungen ein Problem für die Gründung eines palästinensischen Staates? Wenn man den Gedanken zu Ende führt, kommt man nur zu einem Schluss: Die Palästinenser möchten einen judenreinen Staat. Wenn man sie danach fragt, bestätigen sie das auch ohne Umschweife.
Ob das so unterstützenswert ist, möge sich jeder selbst fragen. Ich habe dazu eine klare Meinung: Ein solcher Staat sollte und darf nicht existieren. Es wäre nichts anderes als ein weiterer Terrorstaat auf der Basis des arabischen Nationalismus, der ganz gewiss nicht friedlich neben seinem Nachbarn Israel existieren, sondern die kriegerischen Auseinandersetzungen auf ein neues Level heben würde.
Illegale Siedlungen – ein jüdisches Problem?
Im Rahmen des Oslo-II-Abkommens wurde das Westjordanland in drei Zonen unterteilt:
Zone A – vollständige palästinensische Autonomie, vorwiegend große Städte wie Nablus
Zone B – gemeinsame Kontrolle durch Israel und die Palästinensische Autonomiebehörde
Zone C – vollständige Kontrolle durch Israel, vorwiegend sehr dünn besiedelte Gebiete
Siedlungen in der Zone C zu errichten, egal, ob durch Israelis oder Palästinenser, ist nach diesem Abkommen illegal. Trotzdem existieren mittlerweile mehr als 80.000 arabische Bauten, die dort nicht stehen dürften (im Vergleich zu 400 illegalen jüdischen Gebäuden übrigens). Tendenz steigend. Internationale Kritik, Sanktionen? Fehlanzeige. Ist Landraub nur dann Landraub, wenn Juden ihn begehen?
Apropos Bauten: Das Bild, das die meisten bei den jüdischen Siedlern im Kopf haben, ist das, dass sie Palästinenser aus ihren Häusern vertreiben und dann einfach selbst dort einziehen.
Die Wahrheit ist im überwältigenden Anteil jedoch eine andere. Jeder baut seine eigenen Häuser, und oft überschneiden sich diese Gebiete nicht einmal.
Siedlergewalt existiert und ist ein Problem
Wenn man mir jetzt vorwerfen möchte, dass ich Siedlergewalt negiere, dann ist das falsch. Sie existiert und sie ist hochproblematisch, da sie der Siedlerbewegung im Allgemeinen einen Bärendienst erweist. Nur ein geringer Teil der Siedler ergeht sich in Gewalt, diese schadet jedoch allen.
Aber wer sind diese gewalttätigen Siedler?
Hier möchte ich einmal die sogenannte Hügeljugend erwähnen. Ich will sie fast mit der Dorfjugend in dem erzgebirgischen Kaff vergleichen, in dem ich aufgewachsen bin: perspektivlos, wütend auf alles und jeden, rebellisch und auf eine ungesunde Art und Weise lokalpatriotisch. Diese Jugendlichen fühlen sich missverstanden und von keinem so recht angenommen. Von den arabischen Nachbarn sowieso nicht, aber auch die israelische Regierung (denn sie sind nun einmal Staatsbürger Israels) gängelt sie aus ihrer Sicht entgegen anderslautender Gerüchte immer wieder.
Die Jugend neigt dazu, ihren Zorn in Extremen auszuleben; das ist überall auf der Welt so. Und das ist ein Problem, das angegangen und angesprochen werden muss. Doch auch hier ist alles nicht nur einseitig, denn die palästinensischen Siedler haben ebenfalls ihre „Hügeljugend“, die vor allem dadurch von sich reden macht, Steine auf Autos mit israelischen Kennzeichen, jüdische Siedler und IDF-Soldaten zu werfen oder wahlweise Messerattacken auszuführen.
Am Ende ist das größte Problem des Westjordanlands mit einem altbekannten Spruch Friedrich Schillers zusammenzufassen: „Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.“
Vielleicht gibt es für dieses Problem keine Lösung
Mir fällt jedenfalls keine Lösung ein, die gerecht für alle Seiten wäre. Eine Aufgabe sämtlicher jüdischer Siedlungen kann es jedenfalls nicht sein, denn was dann passiert, haben wir in Gaza gesehen. Eine Zweistaatenlösung? Das Gleiche, nur in größerer und damit gefährlicherer Dimension.
Wünschenswert wären eine friedliche Annäherung beider Parteien und ein Abbau von Vorurteilen und Ressentiments.
Ich befürchte allerdings, das wird ein Wunschtraum bleiben. Die Fronten verhärten sich weiter, der 7. Oktober hat wesentlich dazu beigetragen. Und am Ende „gewinnt“ wohl der mit dem längeren Atem.
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