Der nicht endende Kreuzzug gegens Rauchen oder …

… warum wird bei Tabak und Alkohol beharrlich mit zweierlei Maß gemessen? Eine Lasst-die-Raucher-in-Frieden-rauchen-Kolumne vom Nichtraucher Henning Hirsch.

Bild von Madhana_gopal auf Pixabay

Als Boomer habe ich den Großteil meiner Kindheit und Jugend in rauchgeschwängerter Umgebung verbracht. Mutter und Tanten (Vater und Onkels komischerweise nicht) qualmten, die halbe Jahrgangsstufe griff ab Klasse 10 zu Marlboro & Camel, nach Kneipen-/Bar-/Diskothekenbesuchen stank ich am nächsten Morgen wie ein verpennter Aschenbecher auf 2 Beinen, geschätzt 90 Prozent meiner Freundinnen & Kurzzeitbekannten steckte sich nach getanem Sex eine Zigarette in den Mund. So viel zu den goldenen 80-ern, die nicht nur mit hervorragender Musik brillierten, sondern in denen auch ungehindert 24/7 auf Lunge gequarzt wurde. Mich hat es damals nicht gestört; vermutlich, weil ich seit Geburt so konditioniert worden war und es nicht anders kannte.

Die ersten Maßnahmen waren vernünftig

Als um die Jahrtausendwende herum der Kreuzzug gegen den Tabak begann, fand ich die daraus abgeleiteten Maßnahmen okay: Preise rauf, keine TV-Spots mehr mit einsamen Cowboys, Ekelbilder & Warnhinweise auf die Packungen. Eine durchaus segensreiche Bestimmung stellte das Rauchverbot in Gaststätten dar. Endlich Spaghetti carbonara, Chicken tikka masala und nen Pulled Pork Burger genießen, ohne dass das Paar am Nachbartisch einen volldampfte. Dass Büros und geschlossene öffentliche Räume ebenfalls zu rauchfreien Zonen erklärt wurden = vernünftig. Weshalb man das Verbot zusätzlich auf Kneipen & Clubs ausweitete, habe ich hingegen nicht verstanden. Muss ja niemand ne Disko besuchen, wenn es ihm dort wegen der rauchenden Gäste nicht gefällt. Er (m/w/d) kann ja stattdessen zum Tanztee der Anonymen Nikotinabhängigen gehen oder alternativ nen eigenen Club aufmachen. Aber hey – weshalb selbst aktiv werden, wenn man den anderen mittels Verbot die Freude am Feiern verderben kann? Mir war’s, auch wenn ich mich über die kneipenschädigende Aktion anfangs wunderte, aber egal, weil ich meine Diskothekenphase schon hinter mich gebracht hatte.

Weitere Einschränkungen, um (angeblich) unsere Kinder zu schützen

Nun wurde gestern, pünktlich zum Weltnichtrauchertag, publik, dass die französische Regierung weitere Verschärfungen auf den Weg bringt. So soll ab diesem Sommer das Rauchen im Freien weitgehend eingeschränkt werden. Vorbei ist es dann mit der Zigarette an Bushaltestellen, am Strand, in Parkanlagen und im xy-Meter-Umkreis von Schulen. Begründet wird dies mit dem Recht auf saubere Luft im Allgemeinen und dem Schutz von Kindern im Speziellen:

(Wir werden) dafür sorgen, dass die Kinder, die 2025 geboren werden, die erste rauchfreie Generation sind.
© Frankreichs Gesundheitsministerin Catherine Vautrin (Quelle: tagesschau.de)

Nun wäre das ja erst mal ein französisches Phänomen, das uns Deutsche nichts angeht. So wie niemand gezwungen wird, ein nikotingeschwängertes Lokal aufzusuchen, muss ja auch keiner Urlaub an der Côte d’Azur machen, wenn ihm die dort geltenden strikten Anti-Rauchgesetze missfallen. Wir könnten also schulterzuckend sagen, sollen sich die Franzosen selbst mit ihrer Tabakparanoia rumschlagen, wir hier in Deutschland haben aktuell ganz andere Sorgen; z.B. wer wird der nächste Trainer vom Effzeh? Jedoch wären wir Deutsche keine richtigen Deutschen, wenn wir 1 neues Verbot nicht zumindest für prüfenswert erachteten. Schon werden erste Stimmen laut, die nouvelle méthode française auch zwischen Garmisch-Partenkirchen und Flensburg zu erproben, evtl. vom Umfang her noch auszuweiten.

Wozu das Ganze?

Deshalb wollen wir die Trainersuche des Effzeh heute außen vorlassen (wenngleich ein superspannendes Thema) und stattdessen die Begründungen fürs verschärfte Rauchverbot unter die Lupe nehmen:

(A) Den Konsumenten vor sich selbst behüten
Grundsätzlich ein hehres Anliegen, aber: wo anfangen, wo aufhören? Heroin, Oxys, Meth & Koks gelten ohnehin als pfui. Alkohol, Cannabis und (noch) Nikotin sind hingegen okay. Besteht für Erwachsene nicht generell das Recht auf Selbstschädigung (inkl. harte Drogen)? Falls nein -> was ist mit hochkalorischen Gerichten à la Kingsize Whopper & KFC Family Box und überzuckerten Softdrinks? Wer schützt uns vor Haribo und Langnese? Welches Gesetz verhindert, dass sich die stark adipöse Nachbarin beim nächsten Straßenfest eine Überdosis Kartoffelsalat reinpfeift?

Der Schutz des Rauchers vor sich selbst überzeugt kaum, bzw. reicht nicht, um weitere Erschwernisse des Konsums zu rechtfertigen.

(B) Um Dritte zu schützen
Schon besser, denn das Recht auf Genuss endet dort, wo andere in Mitleidenschaft, iSv. Gesundheit wird gefährdet, gezogen werden. Das gilt besonders für Kinder & Jugendliche als stark vulnerable Gruppen.

Jedoch, Hand aufs Herz: kennt jemand irgendeinen, der an Passivrauchen verstorben ist? Also ICH kenne niemanden, und ich kenne mittlerweile echt ne Menge Personen, die an irgendwas gestorben sind (auch an Lungenkrebs; aber die waren halt alle STARKE Raucher gewesen). Gibt’s (verlässliche) Zahlen zu den Folgen des Passivkonsums? Wie viele Menschen segnen deshalb vorschnell das Zeitliche? Sind es mehr als bei alkoholbedingten Verkehrsunfällen?

Tabakqualm mag für manche Nichtraucher eklig sein – d’accord. Aber dann reicht es völlig, Zigaretten aus Restaurants, Büros & öffentlichen Verkehrsmitteln zu verbannen. Für alle anderen Orte gilt: niemand muss hingehen, wenn es ihm dort nicht gefällt. Ich bspw. besuche ungerne Rummelplätze & Freizeitparks, weil ich mich an diesen Orten eingeschlossen wie ne Sardine in der Dose fühle. Ich käme jedoch im Traum nicht auf die Idee, eine Besucherobergrenze zu fordern oder gar über mögliche negative Konsequenzen für meine seelische Verfassung zu lamentieren.

Gefahren, denen man sich nicht zwanghaft aussetzen muss, vermeidet man dadurch, indem man sich ihnen nicht aussetzt.
© Ratschlag meiner Großmutter väterlicherseits

Aber die KINDER!!!, werfen Sie ein? Was ist mit den KINDERN? Die müssen UNBEDINGT & ÜBERALL vor den Rauchern geschützt werden.

Gegenfrage: Welches Gesetz schützt unsere Kinder vor dem allergefährlichsten Ort, nämlich den eigenen 4 Wänden, wo Lucky-Strike-Papi und Marlboro-light-Mami täglich ungeniert dem eigenen Nachwuchs die Hucke vollqualmen? Was ist mit dem Partykeller, in dem die hübsche Nachbarstochter unseren Sohn erst in die Geheimnisse des Zungenkusses einweiht, bevor sie ihn mit Lambrusco und Tabak bekannt macht? Wer reguliert den Konsum auf Klassenfahrten und in Jugendherbergen?

Man kann natürlich versuchen, jede potenzielle Gefahr fürs eigene Kind zu minimieren oder qua Gesetz verbieten zu lassen, wird aber irgendwann resigniert feststellen, dass das dauerhaft nicht funktioniert, oder, wie eine Bekannte das mal ausdrückte: Willkommen in der Welt der Helikoptereltern!

Exkurs ‚Alkohol‘

Was den Kreuzzug gegen den Tabak jedoch in den Augen eines Abstinenzlers zusätzlich absurd macht, das ist die Ungleichbehandlung von Alkohol (Volkskiller Nummer 1) und Nikotin.

Alk gibt’s alle 50m zu kaufen, der Stoff ist superbillig, es darf dafür geworben werden, straffrei konsumieren kann man 24/7 nahezu überall. Und mir jetzt nicht mit dem Argument kommen, der Trinker schädigt „nur“ sich selbst. Nein, der Trinker riskiert ebenfalls grob fahrlässig die Gesundheit von Dritten. Z.B. durch alkoholbedingte Gewalt & Verkehrsunfälle. Von den Co-Abhängigen, die psychisch in Mitleidenschaft gezogen werden, ganz zu schweigen.

Das führt zur Frage: Warum geht der Gesetzgeber nicht mit derselben Konsequenz gegen Alkohol vor, wie er es seit Jahrzehnten mit harten Drogen und neuerdings Nikotin praktiziert?

(Meine) Antworten:
 Die Tabakindustrie ist mittlerweile als Feindbild sicher etabliert -> weitere Verschärfungen sind einfach durchzusetzen. Würde man dasselbe auch nur ansatzweise mit Alkohol versuchen (z.B. Ausdünnung der Verkaufsstellen) – der Aufschrei wäre riesig
 Wie bei jedem Kreuzzug kennt der Kreuzzügler keine Gnade. Der Kreuzzug ist erst dann beendet, sobald der Feind (in diesem Fall: die Tabakindustrie) tot am Boden liegt und die Konsumenten entweder auf andere Stoffe (bspw. Schokolade) umsteigen oder sich ihre tägliche Dosis Nikotin beim Vorort-Dealer um die Ecke besorgen müssen
 Die Lust der Politik an Verboten, v.a. wenn es um Genuss & Spaß geht.

Aber das Recht auf SAUBERE Luft – was ist damit, wollen Sie noch von mir wissen?
Sagen Sie das mal meinen Nachbarn links & rechts; die grillen seit Frühlingsbeginn 3x/Woche, und bei mir im Wohnzimmer sammeln sich dann Schwaden von Billigwurst- & Gammelfleischgeruch unter der Decke.

Was ich dagegen tue?
Ich schließe die Fenster (wenn’s ganz schlimm wird, schnüffele ich am Raumbefeuchter, Duftmarke: Orange-Eukalyptus).

PS. Ich bin seit Geburt Nichtraucher

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern ... Wer mehr von ihm lesen möchte: www.saufdruck.de

More Posts - Website

Follow Me:
Facebook

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert