Jede Menge blauer Dunst
Anhänger der blauen Partei feiern, dass das Verwaltungsgericht Köln das Bundesamt für Verfassungsschutz zurückgepfifen hat. Aber ist das tatsächlich so? Eine Kolumne von Heinrich Schmitz.

Die AfD hat vor dem VG Köln gegen die Einstufung des Verfassungsschutzes geklagt und einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Das ist aber auch schon alles, was an den Meldungen der Propagandafront zutreffend ist.
Aber schauen wir uns mal an, was einstweiliger Rechtsschutz eigentlich ist und ob der hier tatsächlich gewährt wurde:
Einstweiliger Rechtsschutz gegen Verfassungsschutzmaßnahmen – Zwischen Gefahrenabwehr und Grundrechtsschutz
1. Rechtsgrundlagen des einstweiligen Rechtsschutzes
Rechtsgrundlage für den einstweiligen Rechtsschutz gegen Äußerungen oder Maßnahmen des Bundesamts für Verfassungsschutz ist in der Regel § 123 Abs. 1 VwGO. Dieser kommt zur Anwendung, wenn kein Fall des § 80 oder § 80a VwGO (Anfechtungsrechtsschutz) vorliegt – was bei Realakten oder schlicht-hoheitlichen Handlungen – wie öffentliche Bewertungen – typischerweise der Fall ist.
Ein Anspruch auf einstweiligen Rechtsschutz setzt zwei Dinge voraus:
- Anordnungsanspruch: Das materielle Recht, dessen Sicherung begehrt wird, muss bei summarischer Prüfung bestehen.
- Anordnungsgrund: Es muss ein besonderer Eilbedarf bestehen, der eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht abwarten lässt (z. B. drohender irreparabler Reputationsschaden).
2. Einstufungen als „Verdachtsfall“ oder „gesichert extremistisch“ – rechtliche Einordnung
Die öffentliche Benennung einer Organisation oder Partei durch das BfV als „Verdachtsfall“ oder gar als „gesichert extremistische Bestrebung“ stellt einen Realakt dar – sie ist also keine Verwaltungsmaßnahme im formellen Sinn, entfaltet jedoch gravierende faktische Grundrechtswirkungen, insbesondere im Hinblick auf:
- Art. 21 GG (für Parteien),
- Art. 9 GG (für Vereine),
- Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG (allgemeines Persönlichkeitsrecht),
- sowie Art. 12 GG, wenn berufliche Existenzen betroffen sind.
Solche Maßnahmen bedürfen deshalb verfassungsrechtlicher Rechtfertigung und unterliegen – trotz ihrer faktischen Form – der gerichtlichen Kontrolle.
3. Anforderungen an die Glaubhaftmachung
Ein wesentlicher Streitpunkt im Eilverfahren ist die Tiefe der gerichtlichen Prüfung.
Standard: summarische Prüfung – Das Gericht prüft lediglich, ob der Anordnungsanspruch „überwiegend wahrscheinlich“ ist.
Aber: faktische Vorwirkung – bei besonders schweren Eingriffen (z. B. bei Parteien gem. Art. 21 GG) wird teilweise eine intensivere summarische Prüfung verlangt (BVerfG, Beschl. v. 26.2.2020 – 1 BvR 2433/17 – „NPD-Klage gegen BfV“). Das kann also dauern.
Hinzu kommt die Forderung nach einer hinreichend fundierten Tatsachengrundlage des BfV. Der bloße Verweis auf „Erkenntnisse aus nachrichtendienstlicher Tätigkeit“ reicht nicht – jedenfalls nicht im öffentlichen Verfahren, ohne weitere Substantiierung. Da muss dann Butter bei die Fische kommen.
4. Rechtsprechung im Überblick
Einige zentrale Entscheidungen:
VG Köln, Beschl. v. 8.3.2022 – 13 L 105/22: Das Gericht untersagte dem BfV einstweilen, die AfD als Verdachtsfall zu bezeichnen, da bereits vor der offiziellen Einstufung Hinweise durchgestochen worden waren, die das Verfahren faktisch vorweggenommen hatten. Der Grundsatz der „Waffengleichheit“ wurde verletzt.
OVG Münster, Beschl. v. 13.6.2023 – 5 B 355/23: Die „Letzte Generation“ konnte mit ihrem Antrag auf einstweilige Untersagung ihrer Beobachtung als extremistische Gruppierung keinen Erfolg erzielen – das Gericht sah die Einschätzung des BfV als ausreichend substantiiert an.
BVerfG, Beschl. v. 27.2.2018 – 1 BvR 2465/13 (Hassprediger-Fall): Auch wenn das BfV keine Verwaltungsakte erlässt, müssen die Tatsachengrundlagen der Beobachtung im Streitfall überprüfbar und plausibel dargelegt werden.
5. Verhältnismäßigkeit und Transparenz
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, dass:
- Die Beobachtung auf nachvollziehbaren Anhaltspunkten beruht,
- die Maßnahme geeignet, erforderlich und angemessen ist,
- insbesondere im politischen Raum eine besondere Zurückhaltung gilt (Stichwort: Chancengleichheit der Parteien, Art. 21 GG).
Zudem wird zunehmend die Forderung nach Transparenz der Bewertungsmaßstäbe laut – sowohl für die Öffentlichkeit als auch zur effektiven gerichtlichen Kontrolle.
Einstweiliger Rechtsschutz gegen Maßnahmen des Verfassungsschutzes ist ein hochsensibles Instrument zur Wahrung rechtsstaatlicher Balance. Er schützt nicht Extremisten, sondern verhindert eine Vorverlagerung von „Strafen“ in den Bereich bloßer Verdächtigungen. Die Gerichte müssen dabei auf einem schmalen Grat balancieren: zwischen effektiver Gefahrenabwehr und dem Schutz politischer Vielfalt, Meinungsfreiheit und fairer demokratischer Teilhabe.
Nun hat das VG Köln im konkreten Fall aber eben gar keinen einstweiligen Rechtsschutz gewährt, weil dies gar nicht erforderlich war. Das beklagte BfV hat nämlich eine Stillhalteerklärung abgegeben und damit erklärt, dass man die Einstufung bis zur Entscheidung des Gerichts in der Hauptsache nicht wiederholen wird. Damit entfällt der Grund für einstweiligen Rechtsschutz, und das Gericht hat daher auch nichts entschieden.
Dass das trotzdem propagandistisch ausgeschlachtet wird, verwundert nicht, denn Otto Normalverbraucher hat ja keinen Schimmer davon, wie solche Verfahren tatsächlich ablaufen. Da kann ich mir die Finger wundtippen. Diejenigen, die den Scheiß glauben wollen, lassen sich von Fakten nicht aus der Ruhe bringen. Denen reichen heiße Luft und blauer Dunst. Und mal ganz ehrlich: mancher Wähler wäre doch sehr enttäuscht, wenn das VG am Ende sagt, dass die blaue Partei gar nicht rechtsextrem ist. Dazu wird es aber wohl nicht kommen. Bisher hat die Partei alle Verfahren wegen der Einstufung der Verfassungsschutzämter verloren.