Das Böse ist menschlich

Mit einem grausamen Massaker begann die Hamas am letzten Samstag einen Krieg gegen Israel. Die Taten der Terroristen sind unerträglich. Aber es sind Taten von Menschen, nicht von Monstern. Eine Kolumne von Heinrich Schmitz.


Bild von jorono auf Pixabay

Vor gut 11 Jahren nahm ich an einer SPIEGEL-TV-Dokumentation mit dem Titel „Das Böse im Menschen“ teil, die sich der Frage widmete: „Was macht scheinbar normale Menschen zu Mördern?“. Grund für die Einladung des SPIEGEL-TV war eine bei Facebook veröffentlichte Notiz mit dem Titel „Mensch Massenmörder“.

Immer wieder gibt es Taten von Einzelnen oder Gruppen, die uns das Blut gefrieren lassen. Ob Breivik, die Charlie-Hebdo-Massaker, 9/11 und aktuell das grauenhafte Schlachten von Israelis jeden Alters, vom Säugling bis zum Greis, man mag es nicht glauben, dass Menschen anderen Menschen so etwa antun können. Und doch tun sie es wieder und wieder.

Schweine, Monster, Abschaum

Ein ebenso verständlicher Reflex ist es, solche Täter wie nun die feigen Mörder von der Hamas, die von manchen Medien auch noch respektvoll als „Kämpfer“ bezeichnet werden, als Schweine, Monster oder Abschaum zu bezeichnen. Wie gesagt, es ist nachvollziehbar, das zu tun. Kann man auch mal machen, um seine momentane Trauer und Hilflosigkeit zum Ausdruck zu bringen. Bei näherem Nachdenken wird dann aber klar, dass solche Zuschreibungen nur zwei Effekte haben.

Zum einen schieben wir damit die Tatsache, dass es Menschen sind, die solche Gräueltaten begehen, von uns selbst weg. Wir sind ja  auch Menschen und möchten nicht akzeptieren, dass ein solches Verhalten seit ewigen Zeiten eben von Menschen an den Tag gelegt wird. Das Böse ist – und bleibt vermutlich – immer Bestandteil des Menschlichen. Kein anderes Wesen käme wohl auf die Idee, ganze Gruppen derselben Art komplett auszurotten. Das bleibt dem Menschen vorbehalten. Zum anderen erlaubt uns die Entmenschlichung der Täter, diese nicht mehr als Menschen zu behandeln und damit nach Belieben selbst zu töten. Damit stünden wir allerdings dann letztlich auf derselben Stufe.

Hitler und Beckenbauer

Vor ein paar Jahren war ich in Ägypten. Bei einem kurzen Trip durch ein Stückchen Wüste bei Kairo, fragte mich der Kamelführer, ob ich aus Deutschland käme, was ich bejahte. Daraufhin fing er an, von den großen Deutschen zu schwärmen, wohl in der Hoffnung, mir damit zu schmeicheln. Als Ersten nannte er Adolf Hitler, der seiner Meinung nach mit dem Versuch, alle Juden zu vernichten, der Menschheit einen großen Dienst erwiesen hätte. Der Zweite war Franz Beckenbauer. Mit Zweiterem konnte ich leben. Es gibt also auch heute noch Menschen, für die die Nazis echte Vorbilder sind, und denen die Art und Weise, wie man möglichst viele Juden auf möglichst grausame Tour ermordet, innerliche Befriedigung verschafft. Ich hatte im Urlaub weder Lust, noch vermutlich den ausreichenden Mut dafür, mich mit diesem Kamelführer anzulegen.

Unerträglich

Heute gibt es in Deutschland wieder massive Angriffe auf Juden und jüdische Gemeinden, getrieben alleine vom Hass auf alles Jüdische. Der Hass kommt sowohl von Rechtsextremisten wie von Islamisten und beiden ist eigen, dass sie die Juden wegen derer vermeintlichen Schuld an was auch immer – vermutlich auch an der Blödheit der Antisemiten – für Untermenschen halten, also für etwas dem das Recht auf Erden zu wandeln ebenso abgesprochen wird wie das Recht, einen eigenen Staat zu haben. Diese menschlichen Kotzbrocken waren immer unter uns, aber seit dem Erstarken des Rechtsextremismus auch auf Parlamentsebene werden sie immer lauter. Unerträglich laut hier in Deutschland. Unerträglich aktiv nun als Terroristen in Israel.

Die Erde möge euch leicht sein

Wer die auf der Facebookseite von Avitall Gerstetter, der liberal-jüdischen Berliner  Kantorin, seit ein paar Tagen mehrfach täglich geteilten Fotos von Opfern der Hamasmörder ansieht, die – was ich richtig finde – nicht als Leichen gezeigt werden, sondern meist lächelnd an glücklichen Tagen abgelichtet und angesichts der Fülle des Lebens, das hier vollkommen sinnlos vernichtet wurde, nicht emotional reagiert, der tut mir leid. Die Erde möge dir leicht sein, schreibt Avitall und diesem Wunsch kann ich mich bei jedem dieser Mordopfer nur anschließen.

Billigung von Straftaten

Wer öffentlich dazu aufruft, Menschen, hier Juden, zu vernichten, wer Süßigkeiten verteilt, um das Ergebnis des Terrors und die Terroristen zu feiern, der macht nicht etwa von seiner Meinungsfreiheit Gebrauch, nein, der ist nicht nur widerlich, er begeht auch eine Straftat:

§ 140 Belohnung und Billigung von Straftaten

Wer eine der in § 138 Absatz 1 Nummer 2 bis 4 und 5 letzte Alternative oder in § 126 Absatz 1 genannten rechtswidrigen Taten oder eine rechtswidrige Tat nach § 176 Absatz 1 oder nach den §§ 176c und 176d

1.
belohnt, nachdem sie begangen oder in strafbarer Weise versucht worden ist, oder
2.
in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) billigt,

wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

§ 138 Abs. 1 Nr. 5 StGB benennt folgende Straftaten:

5.
eines Mordes (§ 211) oder Totschlags (§ 212) oder eines Völkermordes (§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches) oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völkerstrafgesetzbuches) oder eines Kriegsverbrechens (§§ 8, 9, 10, 11 oder 12 des Völkerstrafgesetzbuches) oder eines Verbrechens der Aggression (§ 13 des Völkerstrafgesetzbuches),

Diese Straftäter müssen angeklagt und bestraft werden. Da darf, aus welchen Gründen immer, kein Auge zugedrückt werden. Der Hass, der in solchen Äußerungen zum Ausdruck kommt, ist derselbe, der auch zu solchen Taten führt. Und den darf der Rechtsstaat nicht stillschweigend dulden. Auch nicht, wenn er in Moscheen beim Freitagsgebet zum Besten gegeben wird.

Wer nun glaubt, mit einem Aber einwenden zu müssen, dass doch ebenfalls die Bevölkerung in Palästina leide, dem sei gesagt, dass auch dieses Leid in erster Linie durch die Hamas selbst verursacht ist, denn dass Israel aus heiterem Himmel palästinensische Zivilisten gemeuchelt hätte, ist mir nicht bekannt. Und wenn es jetzt im Rahmen völkerrechtlich legitimer Verteidigungsmaßnahmen, zu denen angesichts der andauernden Bedrohung durch die Hamas auch die Besetzung der Palästinensergebiete gehört, zu Toten in der Zivilbevölkerung kommt, so sind diese auch zu bedauern, allerdings sind diese gerade nicht Opfer von Terroranschlägen, sondern von legitimem Verteidigungshandeln geworden.

War damals bei SPIEGEL-TV noch vom Bösen im Menschen die Rede, mag das so klingen, als sei das Böse irgendetwas Fremdes, das vom Täter Besitz ergriffen hat, irgendwie in ihn hineingekommen ist. Tatsächlich ist das Böse dem Menschen aber inhärent. Das Böse ist menschlich – und das sollten wir nie vergessen.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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