Notwehr gegen Klimakleber – Sei kein Til

Nicht nur Til Schweiger kann sich vorstellen, Klimakleber einfach von der Straße zu reißen. In den (sozialen) Medien ist viel die Rede von einem Notwehrrecht gegen Klimakleber. Aber ist das so einfach? Eine Kolumne von Heinrich Schmitz.


Bild von Jürgen auf Pixabay

Til Schweiger sagte anlässlich der Premiere seines neuen MantaManta-Films gegenüber der BILD:

Ich weiß nicht, was ich mache, wenn ich mal im Stau stehe und wegen denen einen wichtigen Termin verpasse, weil die da kleben. Dann steige ich bestimmt auch aus. Ich habe das Video von einem gesehen, der einen Klimakleber weggezogen hat. Ich glaube, ich würde das genauso machen. Was ich von denen halte? Das sind Vollidioten.“

Falls er dieses Video gesehen hat, dann möchte ich dringend vor Nachahmung warnen:

Schweigers Kommentar  löste großen Jubel u.a. bei der CDU aus, die ihm gleich anbot, bei ihnen mitzumachen, wohl auch,  weil er gleichzeitig noch Robert Habeck empfahl, lieber Kinderbücher zu schreiben, als Minister zu sein. Da müsste das Herz jedes Boomers lachen, wobei ich bei unserem Jammerboomer hoffe, dass er nicht in Bleifußträumen schwebt und früher mit Vokuhila-Frise durch die City cruisete oder noch einen Fuchsschwanz sein eigen nennt.

Menschen, deren Meinung man nicht teilt, als Vollidioten zu bezeichnen, ist in und kommt offenbar immer gut an. Woke ist ja eh bäh und das Thema Klima kommt nicht gegen einen Mantafan und Machomann an. Der will Spaß, der will Gas. Aber egal. Es ist ja nicht nur der unwoke Til, der so denkt. Vermutlich sind das so um die 50% der Bevölkerung, während der andere Teil eher die MantaMantafans für Vollidioten hält und hofft, dass die irgendwann mal kapieren, dass es beim Klima ernsthaften Handlungsbedarf gibt. Jeder wie er mag. Beides ist legitim.

Da der letzte Manta 1988 vom Band lief und damals schon technisch veraltet war, und der erste Manta-Film von 1991 ist,  hatte ich die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass diese Mentalität schon ausgestorben ist. Aber Pustekuchen. Egal, ist ja nicht das eigentliche Thema der Kolumne.

Und immer wieder las man dann noch, die Klimakleber von der Straße zu zerren, sei vom Recht auf Notwehr gedeckt.

Rechtsmeinungen

In einem WELT-Interview sprach der Rechtsanwalt und Professor für Deutsches und internationales Marken- und Medienrecht an der privaten Cologne Business School, Dr. Ralf Höcker, ganz klar von einer „strafbaren Nötigung“ durch Klima-Kleber, gegen die „man sich wehren“ darf – per Notwehr als Autofahrer und als eigentlich gänzlich unbeteiligter Passant im Rahmen der „Nothilfe“ gegenüber Dritten. Hallali! Nun ja, er ist kein ausgemachter Strafverteidiger.

Der frühere BGH-Richter Thomas Fischer sieht das im Kern ganz genauso, wenn auch etwas differenzierter.

Nun kennen Sie ja alle den alten Grundsatz, dass wenn zwei Juristen etwas beurteilen, mindestens drei Meinungen geäußert werden und man vor Gericht und auf hoher See in Gottes Hand ist. Und so ist es auch hier.

Wenn Sie, gestärkt durch Höcker und Fischer, einen oder gleich mehrere Klimakleber gewaltsam von der Straße reißen und die dabei verletzen, können Sie sich eher nicht darauf verlassen, dass Sie tatsächlich freigesprochen werden. Es gibt nämlich hier wie immer, wenn man einen Juristen fragt, nur eine richtige Antwort: „Es kommt drauf an.“

Zunächst einmal gibt es bereits einige Urteile, wonach eine Blockade durch Klimakleber keine Straftat war, weil deren Demonstration nicht verwerflich war. Denn der § 240 StGB, also die Nötigung, besteht aus mehreren Tatbestandsmerkmalen. Und damit eine Nötigung auch eine strafbare Nötigung ist, müssen alle Tatbestandsmerkmale erfüllt sein.

§ 240 Nötigung
(1) Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist.
(3) Der Versuch ist strafbar.
(4) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
eine Schwangere zum Schwangerschaftsabbruch nötigt oder
2.
seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger mißbraucht.

Verwerflichkeit

Tja, an der Frage der Verwerflichkeit scheiden sich die Juristengeister. Während die einen kein Problem damit haben, die Verwerflichkeit der Blockade durch Klimakleber anzunehmen – und damit auch eine Notwehr im Kern für zulässig halten – sehen andere gerade keine Verwerflichkeit. Niemand wird aber wohl für gerechtfertigt halten , einem Klimakleber in den Bauch oder gegen den Kopf zu treten.

Ein Richter aus Berlin argumentierte in einem Beschluss, mit dem er den Erlass eines Strafbefehls gegen einen Klimakleber ablehnte (Az. 303 Cs 237 Js 2450/22 202/22) z.B. so, dass Klimawandel und ökologische Wende im politischen Handeln der Regierung „ein dringendes globales Thema ist, (das) wissenschaftlich nicht zu bestreiten (ist) … und regelmäßig in entsprechenden internationalen Klimakonferenzen betont und mit an Deutlichkeit kaum zu übertreffenden Worten vom UN-Generalsekretär bestätigt (wird).“

Dabei kann man sich auch ohne Weiteres auf daas Bundesverfassungsgericht berufen:

Die zum Teil noch sehr jungen Beschwerdeführenden sind durch die angegriffenen Bestimmungen aber in ihren Freiheitsrechten verletzt. Die Vorschriften verschieben hohe Emissionsminderungslasten unumkehrbar auf Zeiträume nach 2030. Dass Treibhausgasemissionen gemindert werden müssen, folgt auch aus dem Grundgesetz. Das verfassungsrechtliche Klimaschutzziel des Art. 20a GG ist dahingehend konkretisiert, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur dem sogenannten „Paris-Ziel“ entsprechend auf deutlich unter 2 °C und möglichst auf 1,5 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Um das zu erreichen, müssen die nach 2030 noch erforderlichen Minderungen dann immer dringender und kurzfristiger erbracht werden. Von diesen künftigen Emissionsminderungspflichten ist praktisch jegliche Freiheit potenziell betroffen, weil noch nahezu alle Bereiche menschlichen Lebens mit der Emission von Treibhausgasen verbunden und damit nach 2030 von drastischen Einschränkungen bedroht sind. Der Gesetzgeber hätte daher zur Wahrung grundrechtlich gesicherter Freiheit Vorkehrungen treffen müssen, um diese hohen Lasten abzumildern. Zu dem danach gebotenen rechtzeitigen Übergang zu Klimaneutralität reichen die gesetzlichen Maßgaben für die Fortschreibung des Reduktionspfads der Treibhausgasemissionen ab dem Jahr 2031 nicht aus. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, die Fortschreibung der Minderungsziele der Treibhausgasemissionen für Zeiträume nach 2030 bis zum 31. Dezember 2022 näher zu regeln.

Die legitime Ausübung des im Grundgesetz garantierten Demonstrationsrechtes überwiege, so meinte der Richter aus Berlin, gegenüber den „nur verhältnismäßig geringfügig eingeschränkten Grundrechtsbelangen der Fahrzeugführer.“

„Freie Fahrt für freie Bürger“ steht so jedenfalls nicht im Grundgesetz.

Versammlungsfreiheit

Nun, so sehen das nicht alle, aber die Argumentation mit der Versammlungsfreiheit ist nicht so ganz von der Hand zu weisen. Denn solange eine Demonstration nicht durch die Polizei aufgelöst wird, ist die zunächst einmal nicht rechtswidrig. Und wenn sie nicht rechtswidrig ist, bewegt man sich mit seiner „Notwehr“-handlung auf ganz dünnem Eis. Wenn die Polizei dann vor Ort ist, dürfte ein eventuelle Notwehrrecht schon deshalb nicht mehr greifen, weil dann ja die Polizei tätig wird.

Bei der zitierten Berliner Entscheidung wurde auch berücksichtigt, dass die Aktion vorher von den Medien angekündigt wurde und keine Rettungswagen behindert wurden. Dadurch hatten die Verkehrsteilnehmer die Möglichkeit, die Blockade zu umfahren. Google Maps oder ein anderes aktuelles Navigationssystem hilft auch da. Das Gericht meinte weiter, politische Demonstrationen seien zwar für andere überwiegend lästig, sie wären aber für einen demokratischen Rechtsstaat unerlässlich.

Und ja, wie ich schon in meiner Kolumne zum Streik schrieb, „ Was nicht wehtut, hilft auch nichts.“

Als Quintessenz bleibt übrig, dass die vollmundige Behauptung des Kollegen Höcker

mit gehöriger Vorsicht zu genießen ist. Es kommt halt immer auf den Einzelfall und die konkreten Umstände an.Nicht nur jeder Jeck, sondern auch jeder Sachverhalt sind anders und jeweils für sich zu bewerten.

Wer sich alleine auf diesen Höcker-Tweet verlässt und später meint, „aber der Höcker hat doch gesagt, ich dürfte den wegräumen“, könnte hinterher ganz schön blöd aus der Wäsche schauen, wenn ihm der Richter dann erklärt, dass in seinem Fall keine Notwehr vorlag. Dr. Ralf Höckers lustiger  Claim „Verlassen Sie sich auf uns, denn wir sind HÖCKER“ – zu finden auf der Homepage – sollten Sie in diesem Fall vielleicht nicht allzu wörtlich nehmen. Als Verteidiger könnte man allerdings noch versuchen, aus dem Tweet einen Verbotsirrtum bzw. einen Irrtum über Rechtsfertigungsgründe zu begründen. Aber ob das klappt, mag ich nicht versprechen. Sie dürfen dann auf gar keinen Fall zugeben, dass Sie meine Kolumne gelesen haben.

Mein Rat: wenn sie von Klimaklebern blockiert werden, atmen sie tief durch, informieren Sie die Polizei, machen Sie es sich gemütlich. Hören Sie Radio, bohren Sie in der Nase, lesen Sie DieKolumnisten oder vertreiben Sie sich anderweitig die Wartezeit. Stellen Sie den Motor ab und verpesten sie nicht die Umwelt.

Und wenn sie es nicht schaffen, Ihre Aggressionen in den Griff zu bekommen, dann beißen Sie besser in Ihr Lenkrad, als sich an einem anderen Menschen zu vergreifen. Falls auch das nicht reicht und Sie tatsächlich Gewalt anwenden, nehmen Sie sich sicherheitshalbe eine/n gute/n StrafverteidigerIn und wenn sie keine negative Presse möchten, vielleicht zusätzlich noch einen ausgefuchsten Medienrechtler. Da kann ich Ihnen problemlos den Kollegen Höcker empfehlen. Damit kennt er sich aus.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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