Danke Merkel!

Unser Kolumnist Heinrich Schmitz verabschiedet sich von einer Kanzlerin, die er nie gewählt hat – und doch vermissen wird.


Foto: pixabay

„Danke Merkel!“ – Sie kennen das. Dieses hämische „Danke“ von Menschen, die irrig glauben in einer Diktatur zu leben. In einer Merkel-Diktatur. Die alltäglich ihren Hass über diese Frau ausgekübelt haben, der es tatsächlich gelungen ist, als erste Frau in der Geschichte der Bundesrepublik gleich 16 Jahre im Amt der Bundeskanzlerin zu überleben. Das „Danke Merkel!“ kam stets gepaart mit einem „Merkel muss weg“ und nun ist sie bald weg. Ihr Nachfolger darf sich schon einmal darauf einstellen, dass es demnächst „Danke Scholz!“ ,“Scholz-Diktatur“ und „Scholz muss weg!“-Rufe und Plakate auf Querdenker-, Neonazi- und Schwurbeldemos geben wird. Wer weiß, ob er das ebenso souverän wegstecken wird, wie diese Kanzlerin.

Souveränität

Denn das ist die hervorstechendste Eigenschaft der scheidenden Kanzlerin, ihre Souveränität. Neben einem feinen Humor und einem wunderbaren kleinen Lächeln, das ab und an durchschimmerte. Ja, es gibt viele Gründe ganz ernsthaft Danke Merkel zu sagen.

Ich habe Frau Merkel nie gewählt, was allerdings mehr daran lag, dass man als Wähler keinen Kanzler und keine Kanzlerin wählen kann, sondern nur Parteien. Und in den Parteien, für die Frau Merkel als Kanzlerkandidatin antrat, also der CDU und der CSU waren halt jede Menge Figuren, die ich beim besten Willen nicht so gerne in Ministerämtern gesehen hätte. Egal ob ein Dobrindt, ein Seehofer, ein Scheuer oder ähnliche Kandidaten – die wollte ich nicht. Und mit denen hätte ich es keinen Tag im Kabinett ausgehalten ohne Schreikrämpfe zu bekommen. Aber wer es mit solchen Figuren aushällt, den kann auch Putins Hund nicht schrecken oder Putin, Trump oder Erdogan. Diese Gelassenheit ist unglaublich, aber wahr. Davon hätte ich auch gerne ein paar Tüten.

Ruhige Hand

Und trotzdem bin ich im Nachhinein froh darüber, dass es Frau Merkel war, die in den letzten 16 Jahren die Regierung führte. Es waren turbulente Jahre und die Krisen, die unser Land und die Welt in dieser Zeit durchmachen musste, waren nicht ohne. Da brauchte es eine Kanzlerin, die im schlimmsten Tohuwabohu gelassen blieb, die die Sachen auch eine Weile laufen lassen konnte und die nach Abwägung des Für und Wider mit ruhiger Hand Entscheidungen traf. Die mögen nicht immer nach dem persönlichen Gusto, auch nicht nach meinem, gewesen sein, aber unterm Strich hat sie sehr vieles richtig gesehen und entschieden. Das hat wohl auch die Mehrheit der Bevölkerung so gesehen. Und selbst jetzt, wo die Politik wegen erheblicher Versäumnisse in der Coronakrise unter heftiger Kritik steht, hält Frau Merkel immer noch mit Abstand den ersten Platz in der Beliebtheitsskala.

Lächeln

Ich bin kein Freund von militärischem Brimmborium und schon gar nicht von Dickebackenmusik und Dschingderassabumm. Männer mit Stahlhelmen auf dem Kopf und Pechfackelaufmärsche muss ich auch nicht haben. Und ein „Helm ab zum Gebet“ schon gar nicht. Dass eine optische Täuschung während der Zeremonie den Soldaten Smileys auf die Helme zauberte, passte dann wieder wunderbar. Denn trotz aller Aversion gegen solchen Zirkus, habe ich mir den Großen Zapfenstreich am Donnerstagabend angesehen. Und ich glaube, ich war nicht der Einzige, der diese Veranstaltung mit einer gehörigen Portion Wehmut, aber auch einem Lächeln erlebt hat. Ja, ich gestehe, ich werde diese Frau und ihre Art vermissen.

Serenade

Merkels Musikauswahl bei der Serenade war typisch Merkel. Das ist der feine, leise Humor, aber auch die Ansage, die ich an ihr schätze. Dass Nina Hagens alter Schlager „Du hast den Farbfilm vergessen“ mal von einem Musikkorps der Bundeswehr gespielt würde, hätte das Korps wohl selbst nicht gedacht und Nina Hagen garantiert auch nicht. Ob die Kanzlerin bei der Wahl des Liedes wusste, dass der Text von Kurt Demmler, einem früheren DDR-“Staatsdichter“ ist, der später wegen Kindesmissbrauchs verurteilt wurde und im Gefängnis Suizid beging, schwer zu sagen. Vermutlich erinnerte der Song sie sich eher an ihre Jugendzeit und die wunderbare schräge Künstlerin Nina Hagen.

 

Am ehesten noch Zapfenstreich kompatibel war der ökumenische Kirchenmusikhit „Großer Gott wir loben Dich“, den Frau Merkel als evangelische Pfarrerstochter vermutlich mindestens so oft hören durfte, wie ich als altgedienter katholischer Messdiener. Ist ja auch ein großes Stück Musik.

Mein Favorit an diesem Abend war aber Hildegard Knefs „Für mich soll’s rote Rosen regnen“.

 

Da geht’s eben nicht darum, dass jemand sich wünscht, unverdient mit Lorbeeren  überschüttet zu werden, sondern das jemand etwas will und dafür auch etwas tut, sich nicht fügt und nicht begnügt, sondern macht. Und mit ein bisschen Phantasie ist das auch eine Ansage, nach der Kanzlerschaft eben nicht nur in den verdienten Ruhestand zu gehen, sondern auch da noch Ziele zu verfolgen und am Ball zu bleiben. In welcher Funktion auch immer.

Und heute, sage ich still

Ich sollt mich fügen, begnügen

Ich kann mich nicht fügen

Kann mich nicht begnügen

Will immer noch siegen

Will alles, oder nichts

Für mich soll’s rote Rosen regnen

Mir sollten ganz neue Wunder begegnen

Mich fern vom alten neu entfalten

Von dem, was erwartet, das meiste halten

Ich will, ich will

Ja nun,von dem, was erwartet, das meiste halten, hat sie meiner Meinung nach getan. Da ich aber ohnehin von sogenannten „Kurts“ und „Svens“ als Lohnschreiber der Merkel-Diktatur, als Systemschreiberling, Merkelhure und Stiefellecker Merkels bezeichnet werde, der von der BRD-GmbH üppig für seine Elogen auf die Regierung, die Kanzlerin und wen oder was auch immer beschimpft wird, möchte ich meinen geschätzten Gegnern und Kritikern auch gerne noch einmal Futter für ihre screenshots geben, die sie schon machen, um solche wie mich nach der Machtübernahme zur Verantwortung zu ziehen:

Liebe Frau Merkel,

Sie haben sicherlich nicht alles richtig gemacht, was Sie gemacht haben, aber das hätte niemand. Nicht einer ihrer Kritiker, schon gar nicht die Schreihälse auf den Straßen, hätten auch nur eine Woche Ihr Arbeitspensum bewältigen können ohne verrückt zu werden – was allerdings bei vielen offenbar auch so eingetreten ist. Sie haben das 16 Jahre lang geschafft. Dafür möchte ich mich gerne bei Ihnen bedanken und Ihnen alles gute auf Ihrem weiteren Lebensweg wünschen. Machen Sie einfach was Sie wollen. Und wenn es dann so sein sollte, dass Sie Lust darauf hätten, die erste Frau im Amt des Bundespräsidenten zu werden, ich wäre begeistert. In diesem Sinne:

Danke Merkel!

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

More Posts - Website