Darf ein Politiker ne teure Uhr tragen?

Warum reiben wir uns so gerne an Politikern mit Migrationshintergrund, fragt Kolumnist Henning Hirsch


Ob wir hier über ein C- oder gar D-Thema reden?
Klar!
Gibt meiner Meinung nach kaum was Blöderes, als Politiker danach beurteilen zu wollen, ob ihre privaten Handlungen stets im Einklang mit ihren (ver-) öffentlich(t)en Positionen stehen. Sobald wir diese strenge Messlatte anlegen, werden sich Parlamente und Regierungsbänke schlagartig leeren. Und zwar fraktionsübergreifend. Weshalb sollte ein Grüner keinen SUV fahren, ein Sozi keine teuren Zigarren rauchen, ein Linker nicht in einen Oldtimer-Porsche steigen, der Konservative zu Hause im Schlafzimmer kein Che-Guevara-Poster aufhängen oder ein AfD-Kreisvorsitzender nach Dienstschluss nicht (heimlich) einen Ladyboy-Puff aufsuchen? Wer sein politisches Urteil davon abhängig macht, ob Abgeordneter Meier am Samstagabend zu tief ins Glas schaut oder Staatssekretärin Müller in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung lebt, der hat die Spielregeln einer freien demokratischen Gesellschaft nicht verstanden. An dieser Stelle könnte ich deshalb mit der Kolumne stoppen und mich stattdessen mit was Vernünftigem beschäftigen.

Steile Karriere

Aber es geht mal wieder um Frau Chebli. Und hier lohnt sich schon ein kleiner Exkurs. Geboren 1978 in (West-) Berlin als zwölftes – von insgesamt 13 – Kind/ern palästinensischer Asylsuchender. Die Familie lebt beengt in Zwei- und Dreizimmerwohnungen. 1993 erhält sie die deutsche Staatsbürgerschaft, 1999 Abitur und Aufnahme des Politikstudiums an der Freien Universität. 2001 Eintritt in die SPD, 2004 Abschluss als Diplom-Politologin. Sie sammelt erste berufliche Erfahrungen als wissenschaftliche Mitarbeiterin von sozialdemokratischen MdBs. Mit einer Zwischenstation in der Senatsverwaltung wechselt sie 2014 ins Auswärtige Amt, wo der damalige Chefdiplomat Steinmeier sie zur stellvertretenden Sprecherin der Behörde ernennt. Nach knapp drei Jahren scheidet Chebli auf eigenen Wunsch im AA aus und kehrt zum Berliner Senat zurück, in dem sie im Range einer Staatssekretärin die Position der Bevollmächtigen des Landes beim Bund bekleidet. Bis hierhin eine zwar steile, aber nicht außergewöhnliche Karriere.

Was aber macht die Causa Chebli derart außergewöhnlich, dass so viele Kommentatoren sich ständig an ihr reiben? Da wäre zum einen ihr Aufstieg aus ärmsten Einwandererverhältnissen anzuführen. Des Weiteren ist sie eine der an den Fingern einer Hand abzählbaren Muslima, denen der Sprung in ein politisches Spitzenamt gelingt. Sie sieht gut aus – okay, über Geschmäcke (das ist übrigens die korrekte Pluralform) lässt sich streiten –, weiß sich medienwirksam in Szene zu setzen und vertritt offensiv ihr Glaubensbekenntnis. Mit Sätzen wie, „Ja, das Kopftuch ist für mich eine religiöse Pflicht, aber nein, ich trage es nicht, weil es für mich nicht das Wichtigste im Islam ist“ oder: „Ich trage kein Kopftuch, weil ich es nicht möchte. Ich will aber, dass jede Frau das für sich selbst entscheiden kann“, eckt sie schnell bei Konservativen und Besorgtbürgern an. 2016 äußert sie in einem FAZ-Interview: „Die Scharia regelt zum größten Teil das Verhältnis zwischen Gott und den Menschen. Es geht um Dinge wie das Gebet, um Fasten, um Almosen. Das stellt mich als Demokratin doch vor kein Problem im Alltag, sondern ist absolut kompatibel, wie es für Christen, Juden und andere auch der Fall ist“ und konkretisiert diese Aussage, nachdem ein Shitstorm über sie hereinbrach, ein paar Tage später dahingehend:

Scharia beinhaltet rituelle Vorschriften für das Gebet und das Verhalten gläubiger Menschen, darunter die Verpflichtung zu Almosen. Das alles fällt unter die Religionsfreiheit. Andere Vorschriften der Scharia widersprechen ganz klar dem Grundgesetz und haben in einem demokratischen Staat nichts zu suchen.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt ist Chebli zu einem Lieblingshasssubjekt der Rechten avanciert.

(Alltags-) Rassismus & Sexismus als ständige Begleiter

Als sie es im Herbst 2017 wagt, den zum Fremdschämen peinlichen Satz, „Ich habe keine so junge Frau erwartet. Und dann sind Sie auch so schön“, mit dem sie ein älterer Versammlungsleiter bei einer Diskussionsrunde begrüßt, als typisches Beispiel für Alltagssexismus zu bezeichnen, bricht erneut eine Welle an verbalem Unflat über sie herein. Dabei hat sie völlig Recht. Genau das ist Alltagssexismus. Und nun also die Rolex an ihrem Handgelenk. Auf einem vier Jahre alten Foto. „Typisch Soze. Wasser predigen und Wein saufen“, lautet noch einer der harmlosen Kommentare, den sie sich dafür einfängt.

Gelangen wir nun zur grundlegenden Frage: Warum gerät der gemeine mitteleuropäische Socialmedia-Troll speziell bei dieser Frau so in Wallung? Mir kommen spontan ein paar Antworten in den Sinn, die Sie wahrscheinlich nicht alle erfreuen werden:

Muslima, bekennt sich zu ihrem Glauben, fordert selbstbestimmtes Recht fürs Kopftuchtragen: Damit hat jeder dritte Deutsche ein Problem, weil Kopftuch pawlowartig mit Zwang und Ablehnung unserer abendländischen Kultur gleichgesetzt wird.

Fastet an Ramadan: Das ruft die besorgte deutsche Hausfrau auf den Plan. Den ganzen Tag nichts essen und trinken – das ist mega-ungesund. Und die armen Kinder, die das auch tun müssen. Wie kann eine Religion nur so grausam sein, etwas derart Unmenschliches wie stundenweisen Nahrungsverzicht von ihren Anhängern zu fordern? Auf den Schreck schnell ein Stück Käsekuchen und einen Latte macchiato.

Kritisiert alte weiße Männer für deren alltagssexistisches Vokabular, für das gönnerhafte, „Na du kleines ausländisches Mädchen, was willst du uns denn Neues aus deinem Berufsleben erzählen? Oder sollen wir deinen Vortrag gleich ganz überspringen und direkt zum geselligen Teil der Veranstaltung wechseln? Brauchst jetzt gar nicht so zu schauen. Obwohl dir der entrüstete Ausdruck gut steht.“

Leicht übertrieben von mir dargestellt?
Klar! Es ist eine Kolumne.

Religiöse Toleranz:
In Deutschland immer noch unterentwickelt

Machen wir uns nichts vor. 90 Prozent der Kritik, die wir an Politikerinnen wie Sawsan Chebli oder Aydan Özoğuz richten, hat nullkommanichts mit deren Sacharbeit zu tun, sondern speist sich aus (alltags-) rassistischen, islamophoben, multikulti-verteufelnden Denkschablonen, wie wir sie täglich zigtausendfach in den beiden großen Internetkloaken namens Facebook und Twitter niedergeschrieben sehen. Von Toleranz und Gelassenheit anderen Kulturen und Religionen gegenüber ist ein nicht gerade kleiner Teil der Bevölkerung noch Lichtjahre entfernt. Muslime wollen wir im Anatol-Grill und in der Änderungsschneiderei – nicht aber als Politiker oder Anwälte – sehen. Auch auf diesen Feldern nehmen sie uns jetzt schon die Jobs weg? Wo soll das alles noch hinführen?

Um am Ende des Textes die Ausgangsfrage „Darf eine sozialdemokratische Politikerin ne teure Uhr tragen?“, zu beantworten: Natürlich darf sie das. Genauso wie Sie, der Sie Ihrer Frau und den beiden Kindern ständig Sparsamkeit predigen, den neuen Mercedes C-Klasse auf Pump finanzieren dürfen, ohne dass wir sofort Ihr Credo „Bleibt bescheiden!“ in Abrede stellen. Alles erlaubt.

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern ... Wer mehr von ihm lesen möchte: www.saufdruck.de

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