„Eine Alternative zu Deutschland“ – Steht noch dahin

Clemens Henis Bestandaufnahme des Rechtsrucks
Nachdenken über „Eine Alternative ZU Deutschland“ fordert der Politologe Clemens Heni schon im Titel seines gleichnamigen Buches als Resümee. Daß dieses Nachdenken brennend nötig ist, belegt der Direktor des „Berlin International Center for the Study of Antisemitism“ mit jedem seiner 47 Aufsätze aus den vergangenen zehn Jahren. Heni bietet darin eine erschreckende Bestandsaufnahme wie aus rechten Infektionen immer weiter wuchernde Krankheitszustände geworden sind.


Was die „Alternative FÜR Deutschland“, ihre Vor-, Nach- und Mitläufer bereits angerichtet haben, läßt sich verdeutlichen mit zwei Ereignissen der letzten Tage, die inzwischen – so abgebrüht sind wir schon – kaum „unter ferner liefen“ wahrgenommen werden, denn die Injektionen des rechten Rauschgifts kommen in immer höheren Dosen und stets kürzeren Abständen und die Menschenfeindlichkeit hat längst die dünne Grenze zwischen verbalem Marodieren und abgefeimter Tätlichkeit überschritten.

Vor ein paar Tagen wurde ein Post auf Facebook vom Netz genommen. Das war kein Akt der Zensur – wie die Berufsopfer von Rechts sofort krakeelen – sondern einer des mindesten Anstandes, denn der Post, dessen Urheber jetzt die Gerichte beschäftigen wird, ist ein perfides Zeugnis für den ungenierten Rechtsruck: die Photomontage eines Bildes von Anne Frank und einer Pizzapackung von Dr. Oetker mit der Aufschrift „Die Ofenfrische“.

Die Patrioten

Dieser Post kam von einer Facebookgruppe mit dem Bekenner-Titel „Die Patrioten“. Unter den 30.000 Mitgliedern fanden sich Dutzende Landtags- und Bundestagsabgeordnete der AfD; einige sind inzwischen ausgetreten.

Ähnlich abstoßend wie die Photomontage im Stürmer-Stil war der Shit-Storm den Carsten Härle, AfD-Stadtverordneter der hessischen Kleinstadt Heusenstamm, gegen eine fünfzehnjährige Schülerin in den asozialen Netzwerken anzettelte: die politisch wache Teenagerin aus Dresden hatte einen Preis für Zivilcourage gegen Antisemitismus und Rechtsradikalismus gewonnen. Sie hatte, da Diskussionen fruchtlos waren, einige ihrer Mitschüler wegen Volksverhetzung und Präsentieren des Hitlergrußes angezeigt.

In frauenverachtender Manier bezichtigte Härle die Schülerin des Denunziantentums und des „sittlichen Verfalls“. Ohne Unterlaß weideten sich die Claquere Härles im Internet an Beleidigungen, Drohungen und Verletzungen. „Schäm dich, du Viech. Das Karma ist eine Sau und wird dich noch fertig machen, “ hieß es da. Und man wünschte ihr die Vergewaltigung durch zehn Männer.

Ausbrüche des Hasses

Das sind die Sehnsüchte der deutschen Patrioten, das sind die inzwischen täglichen Ausbrüche des Hasses und der Menschenverachtung.

Clemens Heni macht deutlich, woher der Samen für diese Ausbrüche stammt und wer ihn gesät hat. Die erwähnten Hetzer, die leichtfertig so genannten Besorgten Bürger, stellt der Politologe unmißverständlich fest, sind keine Abgehängten oder Perspektivlosen, keine sozial und intellektuell Depravierten. Sie sind auch nicht geschichtsvergessen oder bildungsfern. Das zeigen gerade diese Beispiele: der Angriff auf die mutige Schülerin stammte rechtsgeregelt aus dem Handbuch der Volksverhetzer und jener Bildbastler hatte genug historische Kenntnisse, um genau zu wissen, mit wem er da was machte. Es war ja gerade seine Absicht, ein ermordetes jüdisches Mädchen zu verhöhnen. Und damit ebenso die heute in Deutschland lebenden Juden.

…böse, rassistisch, antisemitisch…

Das „Wir-sind- das- Volk“, darauf besteht Clemens Heni zu Recht: „…ist durchaus böse, rassistisch, antisemitisch, dumpf, brutal und abstoßend!“. Dieses Volk der autoritären und destruktiven Charaktere hat Freude daran, so zu sein. Adornos und Benjamins bald 80 Jahre alten Explorationen der geistig-seelischen Verfaßtheit sind offenbar vergessen. Mit schäbigster Sentimentalität tagträumen viele Deutsche wieder von alten Zeiten.

Heni fragt, was diese Enthemmung, diese neue/alte „Volkslust“ wie er sie nennt, bewirkt hat, die obszöne Lust an Volk und Vaterland, an Hetze und Haß. Seine Spurensuche in den vergangenen 20 Jahren zeigt, wie anfangs subkutan das Abgleiten nach rechts vonstatten ging, sich aber dann immer ungenierter exhibitionierte, wie feinverästelt sie inzwischen ist, die rechte Hegemonie über den politischen Diskurs und wie tief die Menschenverachtung bereits sitzt. Es waren keineswegs kahlrasierte Dumpfbacken die Protagonisten, sondern durchweg und in großer Zahl Intellektuelle: Akademiker, Philosophen, Schriftsteller und Journalisten.

Walsers Startschuß

Der „vor Kühnheit zitternde“ Martin Walser gab bei seiner Dankesrede zum Friedenspreis 1998 den lauten Startschuß. Sein Hantieren mit der „Auschwitzkeule“ wurde damals von der bundesdeutschen Intellektuellen- und Politelite in der Paulskirche durch die Bank beklatscht – nur nicht vom vor Entsetzen versteinerten Ignaz Bubis. Danach folgten in immer kürzeren Abständen Schlußstrichforderungen mehr oder weniger verblümt. Heni zählt die markantesten auf – sie gipfelten in den Bemerkungen Björn Höckes zur „Erinnerungskultur“ oder Alexander Gaulands zum Stolz auf Wehrmachtssoldaten und seinem Hornsignal zur Jagd.

Bei der Reinwaschung und Aufwertung der über 70 Jahre vergangenen Nazizeit wurde aber nicht stehen geblieben. Der Schriftsteller Martin Mosebach wagte in seiner Büchnerpreisrede 2007 die alte und horrende fundamentalkatholische Propaganda anzubringen, die den Zivilisationsbruch durch Nazideutschland mit der französischen Revolution gleichsetzt. Diese absurde Verachtung der Moderne diskreditiert den Höhepunkt der Aufklärung, die Deklaration der Menschenrechte, und ist seitdem wieder Standard in rechten „Vor-Denkerkreisen“

Der Schulhofbully

Peter Sloterdijk, Philosoph des raunend Elitären, zeigte sich ebenso als Verächter der Aufklärung und der Demokratie, eher an Menschenparks interessiert, denn an Menschlichkeit, als er bereits 1999 forderte, den Begriff des Humanismus aufzugeben. Der ehemalige Kulturchef des SPIEGEL, Mathias Matussek, redete sich eben nicht um Kopf und neugestärkten patriotischen Kragen mit seinem hymnischen Geschwalle von der „Vaterlandsliebe“. Heni nennt Matusseks Buch „Wir Deutschen – warum uns die anderen gern haben können“; „offen nationalistisch“ –und ohne Zweifel wurde es gerade deswegen zum Bestseller. Sich auf diesem Publikumspolster des Wohlwollens räkelnd irrlichtert Matussek seitdem patzig provozierend durch Talkshows und Internetgruppen wie ein Schulhofbully und produziert sich mit Spott und Häme oder als berufsbeleidigtes Würstchen, wenn man ihm ein paar Wahrheiten an den Kopf wirft.

Thilo Sarrazin verschaffte solcher völkischen Lyrik die Pseudofakten zur Unterfütterung mit seinen Tabellen und Statistiken zum sich angeblich abschaffenden Deutschland.

Clemens Heni belegt: Von solchen Vorsängern übernahmen Radio, TV, Print- und Internetmagazine die neuen Melodeien. Die üblichen Verdächtigen wie „Junge Freiheit“ oder „Compact“ sowieso, aber auch Politsendungen und meinungsmachende TalkshowmasterInnen von Plasberg über Will bis Illner benutzen unreflektiert Vokabular und Sprechgestus der Rechten und räsonieren von Altparteien, Flüchtlingswellen und neu erwachter deutscher Identität.

Das Versagen der Linken

Heni dokumentiert auch das Versagen der Linken in Europa und den USA. Es wurde offenbar, da sie die Gründe für das Abgleiten in den neuen Faschismus im Maßanzug ausschließlich im wild gewordenen Neoliberalismus sahen und meinten, mit sozialer Gerechtigkeit könne man ihm beikommen.

Anhand des Werdegangs und der ersten Regierungsmonate von Donald Trump, den er offen einen Faschisten nennt, macht Heni deutlich, daß es seine Wähler eben nicht nach sozialer Gerechtigkeit verlangt. Trump liefert ihnen das bejubelte Vorbild an maßloser Gier, schamlosem Sozialdarwinismus, skrupellosem Rassismus und gewissenloser Ausbeutung, an genüßlicher Verachtung von Minderheiten und notgeilem Sexismus.

Selbstverständlich ist die gnadenlos maximalkapitalisierte Welt ungerecht, unmenschlich und mörderisch. Aber um so eine Welt zu schaffen, muß man sich zu allererst lustvoll der Inhumanität in die Arme werfen. Und diejenigen, die den Propagandisten dieser Wolfswelt zujubeln, wollen gar keine sozial gerechtere und humanere. Sie wollen genauso sein wie ihre Vorbilder.

Die Beispiele der Enthemmung und Unzivilisiertheit, die ich zu Anfang lieferte, geben Heni auf traurige Weise Recht: die „Patrioten“ der Internetgruppe, die Verunglimpfer von Zivilcourage, Politiker und Publizisten, die sich wohlig wieder im Völkischen aalen, wollen diese ungerechte, unmenschliche und rassistische Welt und sie wollen „die Macht ergreifen“, damit sie dieser Lust an der Grausamkeit ungehindert frönen können. Faschistische Macht ist immer Mittel zum Selbstzweck, um Lust an Rassismus, Gier und Grausamkeit befriedigen zu können. Fake News sind Nachrichten gewordene self-fulfilling Prophecy, Volk und Vaterland deshalb immer nur Pappkameraden hinter denen die rohe Nacktheit dieser Gelüste notdürftig verborgen wird.

Lust

Henis Aufsätze und Artikel machen klar: die Macht zur Grausamkeit, zum Faschismus bereitet Lust. So nötig etwa die Anhebung von HartzIV auch wäre, die Lösung der Probleme Rente, Kinderarmut, Bildungsmisere etc. – viel nötiger ist: ein grundlegender Paradigmenwechsel – ökonomisch, ökologisch, sozial und politisch. Über den muß – nicht nur in Deutschland – nachgedacht werden. Gelingt er nicht, werden unsere heutigen Probleme uns lächerlich vorkommen, sagt der Autor. Probleme vor denen die neuen Rechte, parlamentarisch voran die AfD, die Augen verschließt, weil sie sich in patriarchale Kleinfamilienromantik, machohaften Nationalismus und Rassismus, ignorante Klimaskepsis und Wissenschaftsfeindlichkeit wohlig einigelt.

Heni spricht nicht mehr bloß von Rechtspopulisten: der neue Faschismus wird, kann und will keines dieser Probleme auch nur ansatzweise bewältigen. Er will mit Wonne wie der alte rassistisch, menschenverachtend und gewalttätig sein.

Der Haß auf Flüchtlinge, die neu aufflammende Frauenverachtung, und genüßlich zelebrierte Homophobie, der kaum verhohlene Antisemitismus und Rassismus, die abnehmende Bereitschaft zur Solidarität sind Ausdruck egozentrischer Gier oder lüsterner Egozentrik. Menschen im Mittelmeer ersaufen, Kinder in Aleppo beschießen zu lassen, Gefangene im IS-Staat zu köpfen, sich selbst mit rassistischer Abwertung anderer aufwerten, den Antisemitismus wiederhervorkramen… all das macht ja Spaß und bereitet Lust – „Volkslust“. Die Anne-Frank-Photomontage hat ebenso zehntausende zustimmend-lüsterne Klicks erhalten wie die grausam-geile Vergewaltigungsphantasie, die man einem 15jährigen Mädchen entgegen schleuderte.

Mit Rechten reden?

Wir werden immer tiefer in den neuen Faschismus gleiten, wenn wir weiter verharmlosen, die tatsächlich existierende Unsicherheit und Wut der Menschen beschwichtigen oder ihr gar auf affirmative Weise begegnen, wie es uns dieser Tage auch wieder anempfohlen wurde, als man uns riet, mit Rechten zu reden – dabei sind es doch sie, die Rechten, die uns bereits so beschwatzt haben, daß uns die Ohren fast taub geworden sind. Wir sind ihnen auf die Leimruten gegangen, die sie ohne Skrupel zu Totschlägern umbauen werden und sich dazu wie weiland der Dr. Goebbels ins Fäustchen lachen.

Wieviel Enttarnung der wahren Absichten, wie sie Heni hier in gewissenhafter Kleinarbeit leistet, soll denn noch geschehen?

Eins ist den Rechten bereits gelungen, stellt Heni dar: vor allem die Intellektuellen haben den politisch-philosophischen Diskurs längst enthumanisiert und verloren, als sie glaubten, man könne der Forderung des Vordenkers Götz Kubitschek folgen und sich auf den „voraussetzungslosen Umgang“ miteinander einlassen. So ist es nicht nur den Intellektuellen ergangen, sondern vor allem auch den Politikern, die statt den Rechten Widerstand zu leisten und rote Linien zu ziehen, ihnen willfährig entgegenkommen:

Die neoliberalen Ideen der AfD stammen mit Frau Weidel aus Thinktanks der FDP. Teile der CDU/CSU stimmen wieder patriotische und Heimatgesänge an und Sahra Wagenknecht von der Linken summt sie klammheimlich mit. Die SPD hat sich wegen schlichter Inkompetenz und neoliberaler Sucht nach der Mitte selbst ins Abseits geschossen. Schlüssiges Belegmaterial, um diese Thesen gründlich zu stützen, liefert Heni en masse.

Vieles davon könnte uns allen längst bekannt sein, hier ist es aber in stringenter Zusammenführung nachzulesen. Ich hätte diese zustimmende Besprechung nicht ohne den berechtigten Zorn schreiben können, den die erschreckende Faktenfülle ausgelöst hat. Clemens Heni fordert eine Debatte über eine Alternative zu diesem Deutschland, dessen Zustand er beschreit. Aber ob seine Forderung gehört wird in diesem Land, das zwischen dem wohlig-sattem „Weiter so, stört uns doch nicht beim Dösen, ihr rechten Lausbuben“ und höchster Agitation und Hysterie taumelt, „steht“, um nahezu resignierend mit Marie Luise Kaschnitz zu sprechen, „noch dahin.“

Clemens Heni, Eine Alternative zu Deutschland. Essays

1. Aufl.2017

ISBN – 978-3-946193-17-3

Verlag Edition Critic – Berlin – 15,– Euro

 

 

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