Drama, Baby, Drama!

Am 22. November entscheiden die Argentinier in einer Stichwahl über ihren nächsten Staatschef. Egal, ob der Liberale Mauricio Macri oder der Peronist Daniel Scioli gewinnt. Der Sieger wird Cristina Kirchner im Nacken haben, die populistische Powerfrau, die partout nicht privatisierten will.


Jeder kennt „Don´t cry for me, Argentina“ aus dem Musical „Evita“. Die legendäre Präsidentengattin Eva Perón war die bislang schillerndste Figur an der argentinischen Staatsspitze. Nicht nur in der Politik lieben die Argentinier Theatralik und großes Kino. Die Vierfaltigkeit der Nationalhelden unterstreicht dies: Evita, Fußballer Diego Maradona, Revolutionär Ché Guevara und Armenpapst Franziskus – kalt lassen sie niemand. Kein Wunder also, dass Populismus, Pomp, Glamour und Großsprecherei auch aus dem Präsidentenpalast „Casa Rosada“ kaum weg zu denken sind.

Auch die noch amtierende Staatschefin Cristina Fernandez de Kirchner liebt teure Kleider, teuren Schmuck, noch teurere Wahlversprechen und exzentrisches Auftreten. Ständig ist sie versucht, ihr Vorbild Evita in Tonfall und Mimik zu kopieren. Manchmal fließen Tränen, manchmal tanzt sie, fast immer überschlägt sich die Stimme. Nur das (verlorene) WM-Finale gegen Deutschland 2014 wollte sich „la presidenta“ partout nicht ansehen. Ansonsten sucht „Cristinita“ die Nähe der Basis. Drama, Baby, Drama!

Kirchner geht mit desaströser Bilanz

Kirchner, die ungeachtet von Korruptionsvorwürfen und einer desaströsen Wirtschaftsbilanz populär ist, durfte nach zwei aufeinanderfolgenden Amtszeiten nicht wieder zur Wahl antreten. Umso mehr schmerzt der Abschied von der Macht. Mehrfach hat die 62-Jährige versucht, ihr Mandat zu verlängern. Doch für eine Verfassungsänderung, die eine dritte Amtszeit ermöglicht hätte, brachte sie keine notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit im Kongress zustande. Die Zeichen stehen auf Abschied.

Aber auch einer der beiden verbliebenen Bewerber um die Nachfolge, Mauricio Macri, Bürgermeister von Buenos Aires und Sohn eines der reichsten Unternehmer des Landes, steht für Glanz und Show. Immerhin war Macri einmal Boss des legendären Fußballclubs Boca Juniors, der Heimat von Maradona. Jedoch stünde der Liberale für einen Bruch mit dem Peronismus, einer nationalpopulistischen Ideologie – und Ursache für den Niedergang des Landes.

Seit 70 Jahren sind die Peronisten die dominierende Partei. Ältere Wähler erinnern sich gern an opulente Jahre unter Präsident Juan Perón, als der Fleischlieferant Argentinien eines der reichsten Länder dieser Erde war und die Regierung das Geld in vollen Zügen verteilte. Der operettenhafte General Perón und seine glamouröse Evita gaben die Engel der Armen, wurden selbst aber immer reicher. Aus der liberalen Demokratie Argentiniens sollte ein Kooperativstaat nach dem Vorbild von Mussolinis Italien werden. Die Wirtschaft wurde mit einem Mix aus Nationalismus, Protektionismus und Verteilen sozialer Wohltaten neu gestaltet. Gleichzeitig schuf der Machthaber ein Netz abhängiger Gewerkschaften, die bis heute Stütze des Peronismus sind.

Links oder Rechts? Egal, für Peronisten zählt Macht!

Unterbrochen durch Militärregierungen und kurzen Zwischenspielen der „Radikalen Bürgerunion“ (der anderen traditionellen Partei in Argentinien) bestimmen die Peronisten seither den Rhythmus des gesellschaftlichen Lebens am Rio de la Plata. Ideologisch erwiesen sie sich stets als flexibel. Peronismus? Das kann ein Carlos Menem sein, der in den Neunzigerjahren als Bannerträger des Neoliberalismus galt. Das können aber auch Néstor und Cristina Kirchner sein, die nach dem Staatsbankrott 2001 auf einen starken Staat setzten, Aerolinas Argentinas, die Rentenfonds und den Ölkonzern YPF nationalisierten.

Machterhalt war Peronisten immer wichtiger als Prinzipien. Insofern ist deren aktueller Präsidentschaftskandidat Daniel Scioli ein Musterbeispiel des peronistischen Zynismus. Scioli war bei Menem genauso dabei wie bei Néstor. Nur mit Cristina wurde er nie wirklich warm. Jetzt soll er das peronistische Erbe gegen den liberalen Macri retten.

Dieses Erbe ist vergiftet. Mit Dirigismus, Devisenkontrollen und Konjunkturprogrammen versuchten die Kirchners, Argentinien wieder aufzubauen. Zudem schüttete ihre Regierung ein Füllhorn an Sozialleistungen und Subventionen aus. Doch diese Morgengaben wurden von der Inflation weitgehend zu Nichte gemacht. Überall auf der Welt trifft Inflation vor allem die ärmeren Bevölkerungsgruppen. In Argentinien genau jene, deren Lage die Kirchners verbessern wollten.

Néstor und Cristina haben Vermögen angehäuft

Cristina und Néstor indes machten seit ihrem Einzug in den Präsidentenpalast Kasse. Ihr bekanntes Vermögen wuchs von weniger als einer halben Million Dollar auf fast 18 Millionen Dollar an. In ihrer Heimatprovinz Santa Cruz schufen sich die beiden ihr eigenes Universum.

Am Anfang jedoch waren die Kirchners beim Wiederaufbau Argentiniens erfolgreich. Hohe Weltmarktpreise für Rohstoffe und Finanzspritzen vom venezolanischen Öl-Caudillo Hugo Chávez wirkten als Treibstoff für ein starkes Wachstum von Wirtschaft und Löhnen. Über Jahre verbuchte Argentinien Zuwachsraten um die neun Prozent.

Spätestens seit Ende des Rohstoff-Booms zeigt sich, dass die Kirchners auf Sand gebaut hatten. Aus Venezuela sowie von den Rohstoffmärkten flossen immer weniger Devisen; die Wirtschaft büßte in Folge von Abschottung und deutlich über der Produktivität liegenden Löhnen Wettbewerbsfähigkeit ein. 2011 kappte die Präsidentin den Devisenhandel und stellte ihn unter ein Kontrollregime. Dollar und Euro brauchte die Regierung dringend selbst – u. a für die Einfuhr von Gebrauchsgegenständen – und natürlich, um den gigantischen Schuldenberg abzutragen. Nach objektiven Maßstäben ist Argentinien ein Krisenstaat. Inflation, Staatsverschuldung, Exportflaute, Devisenmangel, Protektionismus und Rezession – das Land droht immer weiter abzustürzen.

Politik wird wirtschaftsfreundlicher

Egal, ob Macri oder Scioli. Wer bei der Stichwahl am 22. November gewinnt, wird kaum Spielraum haben. Um wirtschaftliche Handlungsfähigkeit wieder zu gewinnen, dürften sowohl der Liberale Macri als auch der pragmatische Peronist Scioli auf die Kapitalmärkte zugehen und eine investorenfreundlichere Politik verfolgen. Andererseits steht die Mehrheit der Wähler traditionell links der Mitte. An Sozialprogrammen und Subventionen wird also auch Macri kaum die Axt anlegen.

Das größte Problem für beide dürfte aber „Schattenfrau“ Cristina werden. Beobachter können sich kaum vorstellen, dass sich die Machtverliebte auf ihr Anwesen in Patagonien zurückzieht und dort Schafe züchtet. Im Falle eines Sieges Sciolis wird erwartet, dass Kirchner versucht, im Hintergrund die Strippen zu ziehen. Schließlich hat sie dem vermeintlichen Platzhalter ihre „rechte Hand“ Carlos Zannini als Kandidat für die Vizepräsidentschaft aufgedrückt. Gewinnt Macri, könnte Kirchner die eigentliche Oppositionsführerin geben, die notfalls die Straße gegen liberale Reformen mobilisiert.

Ein Musical für „Cristinita“?

Spätestens 2019 aber – nach den nächsten Wahlen – besteht die Chance, dass Cristina in den Präsidentenpalast zurückkehrt. Dann wäre der Stoff für ein Musical „Cristinita“ perfekt. Viele Argentinier sind trotz aller Fehler bereit, ihre Drama-Queen in den Pantheon ihrer Helden aufzunehmen. Wie brachte es der peruanische Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa einst auf den Punkt: „Die Argentinier haben sich im letzten halben Jahrhundert für die schlechtesten politischen Optionen entschieden. Für den Peronismus zu stimmen, heißt den Irrtum zu wählen, auf dem Irrtum zu beharren, trotz der Katastrophen in der modernen Geschichte Argentiniens. Die Argentinier wollten offenbar arm sein. Das Volk ist mitverantwortlich für das Geschehene.“

Andreas Kern

Der Diplom-Volkswirt und Journalist arbeitet seit mehreren Jahren in verschiedenen Funktionen im Bereich Öffentlichkeitsarbeit. Kern war unter anderem persönlicher Referent eines Ministers, Büroleiter des Präsidenten des Landtages von Sachsen-Anhalt sowie stellvertretender Pressesprecher des Landtages. Er hat nach einer journalistischen Ausbildung bei einer Tageszeitung im Rhein-Main-Gebiet als Wirtschaftsredakteur gearbeitet . Aufgrund familiärer Beziehungen hat er Politik und Gesellschaft Lateinamerikas besonders im Blick. Kern reist gerne auf eigene Faust durch Südamerika, Großbritannien und Südosteuropa.

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