IS – Kein islamischer Staat
Frankreichs Präsident Hollande ist im Krieg. Zumindest einmal verbal. Aber er lässt es auch militärisch krachen und die syrische Stadt Ar-Raqqa bombadieren. Das wird am Terror in Europa nichts ändern.
Wieviele Menschen derzeit in Ar-Raqqa leben, weiß wohl niemand so genau. Vor Beginn des Bürgerkrieges waren es etwas mehr als 200000 Einwohner, dann schwoll die Zahl durch Flüchtlinge auf rund 1000000 an.
Seit Sommer 2013 wird Ar-Raqqa von einer Gruppierung, die sich selbst IS nennt kontrolliert. Dieses IS soll Islamischer Staat bedeuten. Und dieser IS hat „dem Westen“ den Krieg erklärt. Jedenfalls hat ein selbst ernannter Kalif Namens Abu Bakr al-Bagdadi das getan. So weit, so schlecht.
Die Organisaton des „IS“ will „den Westen“ mit Terror überziehen und Europa soll nach seinem Willen eines der Schlachtfelder sein. Sogar von einem Weltkrieg ist da die Rede. Die Propaganda des IS funktioniert ganz wunderbar. Alleine die Videos der Werbeabteilung des IS erzeugen auf der einen Seite Angst und Schrecken und auf der anderen Seite stürmischen Jubel. Die Klaviatur der modernen westlichen Werbung beherrschen die in Perfektion, wie Hasso Mansfeld zutreffend beschrieben hat. Obwohl diese terroristische Vereinigung vorgibt, „den Westen“ bekämpfen zu wollen und dessen Kultur, die sie als Unkultur brandmarkt, zu vernichten, benutzt sie dessen Technik nahezu perfekt. Ob nun das Internet, die Fahrzeuge oder die Waffen, nichts davon stammt aus „islamischer“ Produktion.
Unbewusster Rassismus ?
Dass diese Gruppierung in der Lage ist, weltweit zu Allem entschlossene junge Menschen zu rekrutieren, haben nicht erst die Terroranschläge in Paris gezeigt. Schon 2014 fielen weltweit insgesamt 32.650 Menschen dem Terror zum Opfer. Gut die Hälfte der Toten gehen auf das Konto des „IS“ sowie der in Westafrika operierenden „Schwestergruppe“ Boko Haram. Alleine im Irak starben über 10000 Menschen bei Terroranschlägen. Dass das in Europa niemanden bewegt hat, sein Facebookprofil in den Landesfarben des Irak einzufärben oder einen Krieg gegen den „IS“ auszurufen, wundert nur auf den ersten Blick. Als Europäer haben wir uns offenbar daran gewöhnt, dass die Menschen außerhalb Europas Opfer von terroristischer Gewalt werden, nicht wir. Wir nehmen die Opfer nur schmerzlich wahr, wenn es Europäer oder wenigstens Nord-Amerikaner sind. Es mag ein unbewusster Rassismus sein, der uns die irakischen und syrischen Opfer mehr oder weniger schulterzuckend zwischen zwei Unterhaltungssendungen im TV hinnehmen ließ, vielleicht ist es auch nur eine Schutzfunktion der Seele, die nicht alles Unheil in der Welt ertragen kann.
Nun aber, wo der Terror einmal wieder im Herzen Europas zugeschlagen hat, soll dem Terror erneut der Krieg erklärt werden. Hatten wir schon mal. Sie erinnern sich? Damals nach 9/11? Damals war es al-Khaida, die in New York mordete. Zum ersten Mal in der Geschichte der NATO wurde damals der Bündnisfall ausgerufen. Bereits am 7.10.2001 marschierten NATO-Truppen in Afghanistan ein, die Taliban wurden entmachtet und 10 Jahre lang Osama Bin Ladn gesucht. Der wurde dann irgendwann in Pakistan erschossen.
Zwei Jahre später marschierten US-Streitkräfte mit einer Allianz der Willigen im Irak ein.Ohne UN-Mandat und wie man später feststellte, ohne wirklichen Plan. Dass nun dadurch der Terror in der Welt oder wenigstens in Afghanistan und dem Irak weniger geworden sein soll, wird vermutlich niemand ernsthaft behaupten wollen.
Staat ohne Struktur
Was allerdings hinterlassen wurde, war ein Staat ohne brauchbare Strukturen. Ein Staat, der selbst dem Terror im eigenen Land nicht mehr Herr werden konnte. Ein Staat, in dem der IS in weiten Teilen schalten und walten konnte. Und in dem er gut ausgebildeten geschassten Soldaten wieder einen bezahlten Job gab.
Gleichwohl ist diese Terrororganisation kein Staat und ihre Angriffs- und Terrorhandlungen sind kein Krieg, sondern Bürgerkrieg in Syrien, Irak und Libyen und Terrorangriffe in allen Teilen der Welt.
Nach der klassischen Definiton des Völkerrechts benötigt ein Staat eine Bevölkerung, also ein Staatsvolk, ein von anderen Staaten abgegrenztes Staatsgebiet und ein stabile Regierung, die die Staatsgewalt ausübt.
Es gibt keine ISSER
Nichts davon hat der IS. In den von ihm beherrschten Gebieten leben jede Menge Menschen, die aber nicht IS-ser sind, sondern Iraker, Syrer, Libyer und was auch immer. Es gibt auch kein klar abgegrenztes Staatsgebiet, sondern ein alle paar Tage wechselndes Gebiet, je nachdem, wo die paramilitärischen Einheiten des „IS“ gerade einmarschieren oder wieder vertrieben werden. Der IS soll nach Schätzungen ca. 30.000 bis 50.000 bewaffnete Kämpfer befehligen. Genau weiß das niemand. Das kann man eine Armee nennen. Und sicher ist es das Ziel dieser Gruppe, einen Staat auf dem Gebiet der gescheiterten Staaten des nahen Ostens zu errichten. Aber das ist eben noch nicht geschehen. Es ist zu viel der Ehre und wird dem selbsternannten Kalifen und seinen Mitführern einen Heidenspaß machen, wenn ihnen echte Staaten den Krieg erklären. Eine bessere Form der Anerkennung kann man diesen Leuten gar nicht zukommen lassen.
Islamisch?
Wenn der IS schon kein Staat ist, ist er dann wenigstens „islamisch“? Nicht wirklich. Natürlich berufen diese Kriminellen sich auf den Islam und natürlich ist es auch Unfug zu behaupten, das alles hätte gar nichts mit dem Islam zu tun. Wie bereits Heiko Heinisch in seiner viel beachteten Kolumne erklärt hat, finden sich viele Inhalte der IS-Propaganda, „wenn auch in mehr oder weniger stark abgeschwächter Form auch im aktuellen Mainstream des Islam, wie er von den großen Islamverbänden und diversen Moscheegemeinden in Europa propagiert wird“. Und trotzdem missbraucht der IS diese Religion gnadenlos zu Propagandazwecken und handelt eben alles andere als islamisch. Jörg Friedrich hat das in seiner Kolumne zutreffend ausgedrückt: „Das Religiöse ist nicht Motiv, sondern nur Werkzeug des herrschsüchtigen Manipulators, der den Terror als Erfüllung seiner Machtphantasien erlebt.“
Blindes Bombardieren
Ein Krieg gegen den „IS“ wird den Terror weder in Syrien und im Irak, noch in Europa oder Amerika bekämpfen. Blindes Bombardieren von Städten, in denen sich zwar ein paar tausend IS-Kämpfer aufhalten, aber eben auch eine wesentlich größere Zahl von ganz normalen Menschen, die ebenso wie wir nur in Ruhe leben wollen, wird zwar maximale Zerstörung bringen, aber eben auch eine Vielzahl an unschuldigen zivilen Opfern. Deren Familien werden das womöglich als Bestätigung der IS-Propaganda betrachten, wonach der sündige Westen die guten Muslime insgesamt auslöschen will. Die nächste Generation der Terroristen wird so herbeigebombt. Genau das will der „Kalif“.
Die bitterböse Satire des Postillion,“Französische Kampfjets bringen Gewalt wieder dahin, wo sie hingehört“, hat es auf den Punkt gebracht. „Ein Anschlag auf Zivilisten in Europa verstößt gegen die Spielregeln, die klar besagen, dass sich zivile Opfer auf Länder des Nahen Ostens – insbesondere Irak und Syrien – zu beschränken haben“. Das ist böse, aber ich denke ein Großteil der Europäer denkt genauso.
Jeder halbwegs normale Mensch war von den Anschlägen in Paris schockiert und betroffen. Nicht nur wegen der Toten selbst, sondern auch, weil einem bewusst wurde, dass jeder von uns jederzeit ein Opfer des Terrors werden kann. Ausnahmslos jeder. Dass der Terror eben nicht etwas ist, was man mit leisem Gruseln aus fremden Ländern in den Nachrichten sieht. Dass es keine vollständige Sicherheit geben kann.
Keine Entscheidung aus Wut
In dieser Kombination aus Wut und Angst sollte man aber keine Entscheidungen treffen. Schon gar keine unbedachten Kriegserklärungen in die Welt tröten. Das mag zwar bei den Wählern erst mal ganz gut ankommen, aber zu viel mehr ist das nicht nutze. Da sollte man erst einmal gründlich überlegen, was wirklich helfen könnte.
Selbstverständlich kann man die kriminelle Vereinigung des IS auch in seinen Rückzugsgebieten angreifen. Auch mit militärischen Mitteln. Das wäre dann allerdings kein Krieg im klassischen Sinn, der eben zwischen Staaten ausgetragen wird, sondern eine mit militärischen Mitteln geführte „polizeiliche“ Maßnahme zur Gefahrenabwehr oder zur Strafverfolgung. Das geht aber nicht mal so einfach aus der Luft. Auch wenn uns die Streitkräfte immer etwas von chirurigischen Eingriffen erzählen, glauben sie mir, von so einem Chirurgen, der gleich noch 3 Zimmer weiter versehentlich ein paar Köpfe abschneidet, möchte ich nicht operiert werden. Für die Bekämpfung des IS vor Ort sollte man aber, wenn man schon nicht von den Staaten in denen der IS sein Unwesen treibt, um Hilfe gebeten wird, wenigstens ein UN-Mandat haben. Und man kommt nicht darum herum, mit massiven Bodentruppen einzugreifen. Das macht aber auch nur Sinn, wenn es von der Staatengemeinschaft getragen wird und das neu entstehende Machtvakuum nicht vom nächsten Terrortrupp gefüllt wird.
Mohamed oder Matthias
Hier bei uns in Europa lässt sich der Terror nicht mit Bomben und militärischem Brimborium, geschlossenen Grenzen oder verschärften „Sicherheits“-gesetzen bekämpfen. Es sind in den meisten Fällen gerade keine einreisenden Ausländer, die hier in Europa morden. Es sind schon gar keine Flüchtlinge. Es sind hier geborene und aufgewachsene Menschen. Ja, Menschen, keine Bestien. Das waren auch einmal kleine Kinder, die in der Schule etwas lernen wollten, die eine Ausbildung machen wollten, die dazu gehören wollten. Und die dann immer wieder erleben mussten, dass es eben doch einen Unterschied macht, ob man Mohamed oder Matthias, Ahmed oder Francois heißt. Die in die Banlieue abgeschoben wurden, wo Arbeitslosigkeit, städtische Verwahrlosung und Gewalt den Alltag prägen, und die nicht mehr an eine reelle Chance für ihr Leben geglaubt haben.
Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit?
Gäbe es wirklich Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, dann hätten wir mit solchen selbstgemachten Terroristen kein Problem. Wenn die Ausgrenzungsgesellschaft Menschen aufgrund ihrer Herkunft wie Ratten behandelt, dann haben es die Rattenfänger leicht. Ahmad Mansour hat das eindringlich beschrieben.
„Im Augenblick sind die Salafisten die besseren Sozialarbeiter. Sie bedienen die Bedürfnisse der Jugendlichen. Sie holen sie dort ab, wo sie zuweilen orientierungslos stehen. Sie machen sich die Mühe, in einer Sprache zu sprechen, die diese Jugendlichen verstehen. Warum tun wir das nicht? Warum lassen wir sie tatenlos in die Fänge von Radikalen laufen?“
Das gilt übrigens nicht nur für die Salafisten, das gilt auch für völkische Hassprediger. Diese eigentlichen Geburtshelfer des Terrors geben den Hoffnungslosen zunächst einmal das, was diese sich sehnlichst wünschen. Eine Gemeinschaft, in der sie Anerkennung spüren, einen Sinn im Leben und wenn es nur der ist, als vermeintlicher Märtyrer sein Leben zu beenden und möglichst viele andere mitzunehmen. Solange sie diese Gemeinschaft und diese Anerkennung nicht in unseren europäischen Gesellschaften finden, werden wir den Terror – ganz gleich aus welcher Ecke – nie beenden.
Lesen Sie auch die letzte Kolumne von Heiko Heinisch: Es hat mit dem Islam zu tun
oder von Hasso Mansfeld: Terror ist Theater
oder von Jörg Friedrich: Terror hat keine religiösen Motive
Schreibe einen Kommentar