Ein Forstmeister a.D

Haben Sie schon mal von Franz Mueller-Darss gehört? Ich bisher auch nicht. Aber die Beschäftigung mit diesem Karrieristen lohnt sich. Eine Leseempfehlung von Heinrich Schmitz

Bild aus Pixabay (gemeinfrei)

Mir werden häufiger Bücher geschickt, deren Autoren sich durch eine positive Besprechung eine gewisse Werbewirkung versprechen. Das sind häufig Bücher, die keinen Verlag gefunden haben und denen damit jeglicher Werbeetat fehlt. Die finden Sie nicht in der Buchhandlung, die fliegen Ihnen nicht einfach so zu wie die Bestseller. Und meistens ist das auch gut so. Einem Großteil der Autoren schreibe ich nach der Lektüre dieser Bücher freundlich zurück, dass ich ihnen einen Gefallen damit getan habe, ihr Buch nicht zu besprechen. Es gibt Ausnahmen. Vor vielen Jahren „entdeckte“ ich die Autorin Carla Berling und war so begeistert, dass ich mir eine Verfilmung wünschte. Heute ist Carla Berling eine gefeierte Bestsellerautorin – und das freut mich sehr.

Empfehlung

Das Buch, das ich Ihnen heute wärmstens empfehlen möchte, hat wohl leider nicht das Zeug zum Bestseller. Das liegt allerdings nicht an seiner Qualität, sondern am Thema. Es geht um Franz Mueller-Darss, einen Forstmeister, der es vor dem Krieg zum SS-Generalmajor und obersten Nazi-Hundeführer brachte und der nach dem Krieg ohne größere Probleme zunächst in der Organisation Gehlen und später beim BND weiter Karriere machen konnte, um dann, ohne jemals von den Behörden behelligt worden zu sein, gut versorgt seinen Lebensabend in Lenggries zu verbringen.

Der Autor

Der Autor dieses Buches, Ulrich Kasparick, ein halbes Jahr älter als ich, ist ein deutscher Pfarrer und ehemaliger Politiker. Er war von 2004 bis 2005 Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung. Zwischen 2005 und 2009 war er Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.

Für das Buch „Franz Mueller-Darss – SS-Generalmajor – Eine Recherche“ hat er drei Jahre recherchiert und dabei eine bemerkenswerte Lebensgeschichte ausgegraben.

Es handelt sich weder um einen Roman, noch um eine Biographie, sondern in der Tat um eine gründliche Recherche in deutschen Archiven aus der Nazizeit, der Stasizeit und der BND-Zeit. Gerade die Tatsache, dass Kasparick eine Menge an Originalmaterial als Faksimile zur Verfügung stellt und selbst eher wenig wertet,stattdessen lieber die Akten sprechen lässt, macht die Lektüre so spannend.

Eine deutsche Karriere

Niemand hätte wohl das Schicksal des jungen Kadetten Mueller in dessen Kinder- und Jugendzeit erleben wollen. Das Leben mit einem erbarmungslosen Drill, einer Schicksalsgemeinschaft mit Gleichaltrigen, deren Weg zu einer künftigen Elite mit Schlägen, Demütigungen und Schikanen gepflastert war. Wie aus einem normalen Kind ein künftiger Nazidrecksack wird, der bereit ist, für seinen eigenen Vorteil über Leichen zu gehen, der Zwangsarbeiter für sich schuften ließ, der zum obersten Nazi-Hundeführer wurde und Hunde darauf drillte, Menschen zu zerreißen, der die KZ-Hunde ausbildete und gleichzeitig als jovialer Förster auf dem Darss prächtige Beziehungen zu Himmler, Göring und anderen Nazigranden, aber offenbar auch zur Bevölkerung auf dem Darss, unterhielt, erscheint geradezu folgerichtig. Der junge Müller kann einem leid tun, der ältere nun sicher nicht. Aber den älteren gäbe es nicht ohne den jüngeren Müller und der perversen Erziehung, die dieser erleben musste.

Weiter geht*s

Nun wäre es nicht wirklich etwas Besonderes, wenn die Lebensgeschichte des „Forstsmeisters a.D“ im Jahre 1945 ein Ende gefunden hätte, oder wenn dieser wenigstens wie ein paar andere Nazigrößen im Knast gelandet wäre. So war es aber gerade nicht. Und so kann der erstaunte Leser anhand von Originalunterlagen verfolgen, wie Mueller-Darss nach seiner Flucht aus dem Osten nach Hamburg ganz flink auch im Westen wieder Karriere machen konnte. Ganz offen, mit Hilfe früherer Kameraden und Geld der Amerikaner, das diese der Organisation Gehlen – dem Vorläufer des BND – zur Verfügung stellten, konnte Mueller-Darss in der Bundesrepublik unbehelligt weiterleben, um nach einem langen Leben erst 1976 in Lenggries zu sterben.

Mit der Hilfe alter Kameraden wurde er problemlos entnazifiziert und dann konte es munter weitergehen. Er schrieb sogar ein Buch, in dem er seine eigene Geschichte in einem guten Licht erscheinen ließ. Irgendwie irre alles.

Ich möchte in dieser Leseempfehlung nicht zu viel spoilern. Aber ich war bei der Lektüre erschüttert, wie einfach es für Mueller-Darss war, durch die verschiedenen Systeme zu wandern und sich die Taschen voll zu machen.

Ein Ausbilder

Während meiner Ausbildung traf ich auf einen früheren Waffen-SS-Mann, der in der Verwaltung Karriere gemacht hatte. Ein eher mäßiger Jurist, der gegenüber uns ReferendarInnen keinen Hehl aus seiner „glprreichen“ Vergangenheit machte. Jaja, hart wie Kruppstahl, zäh wie Leder und schnell wie die Windhunde. Zum Kotzen. Der uns täglich von seinen Heldentaten berichtet und zusätzlich schlechte Witze erzählte. Stets jovial und nicht bemerkend, dass alle unangenehm berührt seinen Ausführungen lauschten. Ich wunderte mich damals, wie so jemand in so eine Position kommen konnte. Und der war ja „nur“ bei der Waffen-SS. Das Schwärmen von Kameradschaft, Zusammenhalt und sogar von Anstand war kaum zur ertragen. Der Mann war offenbar mit sich im Reinen. Vermutlich war das bei Mueller-Darss nicht anders. Die Banalität des Bösen ist erschreckend, aber halt Realität. Oder wie meine Frau es immer ausdrückt: Die Schlechten kommen immer durch.

Lesen Sie das Buch, um sich ein eigenes Bild zu machen. Schlagen Sie es in der Schule Ihrer Kinder als Unterrichtsmaterial vor. Nur wer sieht, wie leicht aus einem normalen Kind ein „Unmensch“ werden und wie leicht auch in einer Demokratie das Netzwerk dieser Unmenschen überleben kann, erkennt, wie wichtig es ist, seine Kinder gegen totalitäre Ideologien zu immunisieren, durch Bildung und Erziehung zur Freiheit.

Auch hier würde ich mir wünschen, dass ein Fernsehteam diese Recherche auf die Bildschirme bringt. Und bitte nicht erst wieder nach 23:00 Uhr.

https://www.lehmanns.de/shop/literatur/58582830-9783754942109-franz-mueller-darss-ss-generalmajor

Franz Mueller-Darss, SS-Generalmajor

Eine Recherche

Ulrich Kasparick (Autor)

Buch | Softcover

136 Seiten

2022
epubli (Verlag)
978-3-7549-4210-9 (ISBN)

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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