Absturz einer Anwältin
Mir war die Heidelberger Rechtsanwältin Beate Bahner bis vor einer Woche völlig unbekannt. Dann war ich über ihre juristischen Aktivitäten in der Coronakrise zunächst amüsiert. Nun wünsche ich ihr Ruhe. Eine Kolumne von Heinrich Schmitz
Bild von Jim Semonik auf Pixabay
Es kommt vor, dass Anwälte die Welt oder wenigstens einen Teil davon retten wollen. Ein Kollege, der mir sehr gut bekannt war, stürmte einmal mit Mantel und Degen in eine Stripteasebar, um dort eine Tänzerin zu „befreien“. Am Ende des Tages war er in der Psychiatrie. Kann passieren. Und es ist nur halb so lustig, wie man vielleicht im ersten Moment denkt.
Eine psychische Erkrankung kann jeden jederzeit treffen. Krankheiten kennen weder arm noch reich, und ob jemand nun ohne Abschluss von der Schule abgegangen oder ein Hochschulstudium absolviert hat, ist denen auch egal. Intelligenz schützt nicht vor Wahnvorstellungen.
Keine Chance
Wer die Verlautbarungen der Heidelberger Anwältin Beate Bahner gelesen hatte und sich auch nur ein wenig mit Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht auskennt, der musste sofort erkennen, dass der Weg zum Bundesverfassungsgericht nicht den Hauch einer Chance haben konnte. Aber auch das ist nicht unbedingt etwas Ungewöhnliches, denn erfolgreiche Verfassungsbeschwerden sind eher selten. Lediglich rund 2% der Verfassungsbeschwerden gehen durch. Ich hatte erst an eine PR-Aktion geglaubt. Aber nur, bis ich ihren Antrag gelesen hatte.
Wer allerdings ein wenig auf ihrer Homepage herumstöberte, der konnte recht schnell Zweifel daran entwickeln, ob die Kollegin noch so ganz bei Sinnen war.
Nachdem das Bundesverfassungsgericht die Anträge erwartungsgemäß abgewiesen hatte, „erließ“ sie am 11. April eine Corona-Auferstehungsverordnung.
Als ich das las, dachte ich zunächst an eine Aktion von Jan Böhmermann oder an das Zentrum für politische Schönheit. Oder halt an eine sarkastische, aber eben nicht ernst zu nehmende Reaktion der Kollegin. Hätte ja sein können, dass sie den Schalk im Nacken hat. Es gibt auch unter den Anwälten Komiker. Offenbar meinte sie es aber bitterernst. Ein Zeichen von Größenwahn oder Hinweis auf eine narzisstische Störung.
Als nächstes wurde ich dann auf den Post eines Impfkritikers namens Tolzin hingewiesen, der etwas ganz Erschröckliches zu berichten hatte:
(Hans U. P. Tolzin) Die Heidelberger Rechtsanwältin Beate Bahner, bekannt durch ihre Verfassungsbeschwerde gegen den eindeutig verfassungswidrigen Corona-Lockdown und ihren öffentlichen Widerspruch gegen die derzeitigen staatlichen Maßnahmen, wurde meinen Informationen zufolge am Ostersonntag abend von der Polizei unter erschreckend brutalen Umständen verhaftet und unter entwürdigenden Umständen in die Isolierstation der Psychiatrie Heidelberg verfrachtet.
Ist schon irre, wie schnell jemand blind glaubt, was er von irgendwoher geflüstert bekommt, wenn es nur in sein Weltbild passt. „Eindeutig verfassungswidrig“,“erschreckend brutale Umstände“, „entwürdigende Umstände“ – Kantholz ick hör dir trapsen. Der gute Herr Tolzin, der offenbar zu den staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Coronapandemie ein ähnliches Verhältnis wie zum Impfen hat, witterte auch gleich Übles:
Angesichts der in der deutschen Geschichte beispiellosen Wegnahme fast aller Grundrechte durch die aktuelle Bundesregierung kann dieser Vorfall von der Öffentlichkeit nicht einfach so hingenommen werden. Wir fordern eine Erklärung und ggf. angemessene Konsequenzen für die beteiligten und verantwortlichen Personen:
– die beteiligten Polizeibeamten
– der evtl. beteiligte Richter
– der beteiligte Psychiater
Ich hatte ja bereits angekündigt, dass ich am Mittwoch, den 15. April 2020, vor dem Kripo-Gebäude in der Römerstr. 2-4 in Heidelberg um 12:30 Uhr auf sie warten (ihr Verhörtermin ist um 13 Uhr) und sie um ein Interview bitten möchte.
Das WIR
Wer nun außer Herrn Tolzin dieses WIR ist, dass da Forderungen stellt, weiß ich nicht, vielleicht meint er auch nur sich selbst. So ein pluralis majestatis schmückt ja ungemein und verleiht dem Nutzer deutlich mehr Glanz und Macht als ein popeliges, bürgerliches „ich“. Vielleicht ist aber auch jenes ominöse „Volk“ gemeint, das sich nun mal wieder zum Widerstand aufgerufen fühlt, weil es in der schlimmsten aller denkbaren Tyranneien zu leben glaubt.
Dass der Herr Tolzin da auf die Anwältin warten wollte, war völlig okay. Zwei Menschen dürfen sich ja im öffentlichen Raum aufhalten. Allerdings dürfte es mit folgendem Aufruf schon etwas schwieriger sein:
Nach den Ereignissen von Gestern rufe ich hiermit alle Menschen in Deutschland, denen ihre Grundrechte noch irgendetwas wert sind, dazu auf, ebenfalls um 12:30 Uhr dort zu erscheinen und ihre Solidarität mit Frau Bahner zu zeigen.
Ein solcher Aufruf zu einer Versammlung ist infolge der Coronaverordnungen zur Zeit eklatant rechtswidrig und mindestens eine Ordnungswidrigkeit oder aber auch eine Straftat. Aber wer weiß, vielleicht fühlte sich Herr Tolzin ja ebenfalls hier durch das Widerstandsrecht des GG gerechtfertigt. Kann ja nicht verboten sein, wenn man die Retterin der Welt respektive Deutschlands aus den Klauen der Tyrannei reißen will und dazu ein paar Millionen Bürger um Unterstützung bittet.
Herr Tolzin will wissen
Und der gute Mann stellt Fragen:
Ich will wissen, auf welcher rechtlichen Grundlage und auf wessen Anordnung und aufgrund welchen psychiatrischen Gutachtens sie unter solch dramatischen Umständen weggesperrt wurde.
Ja nun. Das lässt sich recht einfach beantworten. Wie heißt es so schön: der Blick ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung. Das steht alles im BW PsychKHG (Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz – PsychKHG))
Nach § 13 Abs. 3 BW PsychKHG gilt,
3) Unterbringungsbedürftig ist, wer infolge einer psychischen Störung nach § 1 Nummer 1 sein Leben oder seine Gesundheit erheblich gefährdet oder eine erhebliche gegenwärtige Gefahr für Rechtsgüter anderer darstellt, wenn die Gefährdung oder Gefahr nicht auf andere Weise abgewendet werden kann.
Erste Voraussetzung für eine Unterbringung ist also grundsätzlich (das ist in allen Bundesländern so) eine psychische Störung. Das kann so ziemlich alles mögliche sein, vom akuten Drogenrausch über hirnorganische Veränderungen und paranoide Psychosen bis hin zur Demenz. Demenz ist ein sehr häufiger Unterbringungsgrund. Das können aber ebenso ganz akute und schnell wieder verschwindende Störungen sein oder auch Dauererkrankungen ohne Aussicht auf Genesung.
Hinzukommen muss, dass aufgrund dieser psychischen Störung eine erhebliche Selbst- oder Fremdgefährdung besteht, die nicht auf andere Weise beseitigt werden kann. Ob das der Fall ist, muss ein/e Richter/in entscheiden. Das ist alles nicht immer ganz unproblematisch, aber im Großen und Ganzen lässt sich das in der Regel ganz gut feststellen.
Herr Tolzin fordert:
Frau Bahner ist unverzüglich auf freien Fuß zu setzen
Die beteiligten Beamten haben sich öffentlich bei ihr zu entschuldigen
die Verantwortlichen sind namentlich zu nennen und müssen zur Rechenschaft gezogen werden
Ob und wann eine untergebrachte Person wieder die geschlossene Psychiatrie verlassen darf, entscheidet ein Gericht und nicht ein Herr Tolzin. Wofür die beteiligten Beamten sich entschuldigen und wofür sie zur Rechenschaft gezogen werden sollten, weiß wohl nur Herr Tolzin und die von ihm aktivierten Schwurbelartisten. Dass die Anwältin am Mittwoch die Station wieder verlassen durfte, bedeutet nichts anderes, als dass die Gründe für die Unterbringung zu diesem Zeitpunkt nicht mehr vorlagen. Nicht mehr und nicht weniger. Es sagt gerade nicht, dass diese Voraussetzungen bei der Unterbringung nicht vorgelegen hätten.
Schweigen ist Gold
Warum die Anwältin zu einer Vernehmung bei der Polizei erschien, bleibt ihr Geheimnis. Niemand, der noch alle Tassen im Schrank hat, folgt als Beschuldigter einer polizeilichen Vorladung. Schon gar nicht ohne Begleitung eines Verteidigers. Eine Anwältin sollte wissen, dass man dabei nicht wirklich etwas gewinnen kann, und dass man da auch gar nicht erscheinen muss. Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Wenn man es allerdings darauf anlegt, im Nachhinein irgendwelche wahrheitswidrigen Behauptungen aufzustellen und den bösen, bösen Staat anzuprangern, dann kann man das schon mal so machen.
Dass es tatsächlich 150 (manche sprechen auch von 200) Menschen gibt, die sich trotz der momentanen Kontaktregeln vor einer Polizeiwache versammeln, um der armen, vom Staat bestialisch gefolterten Frau Beistand zu leisten, wundert mich wenig; dass diese Personen auch aus dem rechtspopulistischen Milieu stammten noch weniger. Jeder Jeck findet eine Unterstützerherde, egal ob er nun an Reptiloide glaubt, meint, die Erde sei eine Scheibe oder das Coronavirus sei eine Erfindung. Irren Verschwörungstheorien zu folgen, bewahrt einen nicht einmal davor, Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika oder Juror bei DSDS zu werden.
Tyrtyratyrannei
Ja, im Gegensatz zu der recht extremen Meinung der Anwältin, leben wir auch in Zeiten von Corona nicht in einer Tyrannei. Trotz der diversen Einschränkungen des öffentlichen Lebens hat niemand die Meinungsfreiheit eingeschränkt, und so darf ein jeder sich zusammenmeinen, was er meint, ganz gleich wie absurd das ist. Man darf auch gegen eine nicht vorhandene Tyrannei sein, solange man dabei nicht zu Straftaten greift, um sich von dieser zu befreien. Dafür wird man auch nicht in die Psychiatrie gesperrt. Es kann sein, dass man nicht mehr DSDS-Juror oder Talkshowmoderatorin sein darf, es kann auch sein, dass man vielleicht seine Zulassung als Anwältin verliert, aber auch da sind die Hürden hoch und eine Meinungsäußerung alleine reicht dafür nicht, sofern man nicht gerade den Holocaust leugnet.
Ich wünsche mir bei manchen in der Psychiatrie untergebrachten Menschen, dass er sich auch dann weiter helfen lässt, wenn die akute Gefahr gerade nicht mehr besteht und er die Station verlassen darf. Wenn er versucht, mit professioneller Hilfe zu erkennen, ob und was ihn in in den Zustand versetzte, der ihn in die Geschlossene gebracht hat. Aber man kann das nicht erzwingen. Niemand muss sich helfen lassen, niemand darf länger als unbedingt erforderlich zum Aufenthalt in der Psychiatrie gezwungen werden, das wäre Freiheitsberaubung. Jeder hat das Recht krank zu sein, auch wenn das reichlich bekloppt ist.
Seit Frau Bahner wieder draußen ist, schreibt sie munter weiter Texte auf ihrer Kanzleihomepage. Nun, in gespielter Unterwürfigkeit, schreibt sie das Gegenteil dessen, das sie bisher behauptet hat – und selbstverständlich auch noch immer glaubt. Wer meint, das lesen zu müssen kann das gerne tun. Ich werde es hier nicht zitieren und auch nicht verlinken.
Ich hoffe vielmehr, dass die Kollegin es schafft, ein paar Tage die Finger von der Tastatur zu lassen, zur Ruhe zu kommen und sich nicht mit jedem Text, den sie veröffentlicht, selbst weiter schadet. Vielleicht gibt es ja neben denen, die sie nun für ihre Zwecke als Galionsfigur ausnutzen und für ihre Propaganda einspannen wollen, noch ein paar echte Freunde, denen es gelingt, sie von dem nun eingeschlagenen Hermansweg abzubringen. Der führt geradewegs ins Abseits. Aber um es mit den wahren Worten des Jammerbarden zu sagen:
„Dieser Weg wird kein leichter sein.“