„Kann man im Recht gegen die Partei sein?“ Zur Entmachtung Leo Trotzkis vor hundert Jahren

Vor hundert Jahren verlor Leo Trotzki, der zu den wichtigsten Urhebern des bolschewistischen Staatsstreiches vom 7. November 1917 zählte, den Kampf um die Nachfolge Lenins. Den Umständen, die zu Trotzkis Niederlage führten, ist diese Kolumne von Leonid Luks gewidmet.


Trotzkis Popularität

Der Kampf um die Nachfolge Lenins begann noch zu seinen Lebzeiten. Im Dezember 1922 hatte Lenin den zweiten Gehirnschlag erlitten, der ihn zu einem weitgehenden Rückzug aus den Regierungsgeschäften zwang, vom dritten Gehirnschlag im März 1923 konnte sich Lenin bis zu seinem Tod im Januar 1924 nicht mehr erholen. Die ersten Anzeichen für den Kampf um Lenins Nachfolge ließen sich bereits Ende 1922 beobachten. Worin sollte aber diese Nachfolge bestehen? Lenin bekleidete kein bestimmtes Parteiamt, das ein Nachfolger hätte erben können. Im Politbüro, das zunächst aus fünf und dann aus sieben Mitgliedern bestand, war er nur der Primus inter Pares. Zwar bekleidete Lenin zugleich das Amt des Vorsitzenden des Rates der Volkskommissare (des Regierungschefs), jedoch gab dies Lenin keine Sonderrechte innerhalb der Parteiführung. Der sowjetische Staatsapparat war weitgehend von der Partei abhängig und die wichtigsten politischen Entscheidungen wurden vor allem in deren Führungsgremien und nicht innerhalb der Regierung gefällt.

Mit anderen Worten, es gab weder innerhalb der bolschewistischen Partei noch innerhalb des Staatsapparates irgendein Amt, das seinem Inhaber die Führung in der Partei gesichert hätte. Lenins Autorität war nicht institutionalisiert. Seine Sonderstellung innerhalb der Partei, die von niemandem, nicht einmal von seinen radikalsten innenpolitischen Opponenten, in Frage gestellt wurde, war also nicht mit seinen Funktionen, sondern mit seiner Person verbunden. Sein Nachfolger konnte von ihm kein Amt erben. Er musste über eine Lenin vergleichbare Popularität innerhalb der bolschewistischen Partei wie auch innerhalb der kommunistischen Weltbewegung verfügen. Man wartete sowohl in der Partei wie auch in der Kommunistischen Internationale im Grunde auf eine neue charismatische Persönlichkeit, und für die Mehrheit der einfachen Parteimitglieder wie auch für die Mehrheit der nichtrussischen Kommunisten unterlag es keinem Zweifel, dass Lenins Nachfolger nur Trotzki sein könne. Trotzki war neben Lenin die populärste Gestalt der Revolution und des Bürgerkrieges. Nach der übereinstimmenden Meinung vieler Beobachter trug er entscheidend zum Erfolg der Bolschewiki beim Staatsstreich vom November 1917 bzw. zum Sieg der Roten Armee im Bürgerkrieg bei. Dabei darf man nicht vergessen, dass Trotzki zur Zeit des Bürgerkrieges zu den glühendsten Verfechtern des damals errichteten „kriegskommunistischen Systems“ zählte, das auf Terror und Zwang basierte. Diese Verklärung des Zwangs als Allheilmittel stellte allerdings keine Privatmeinung Trotzkis, sondern die Meinung maßgeblicher Kräfte in der bolschewistischen Partei, nicht zuletzt auch Lenins, dar, die sich auch nach dem Sieg der Bolschewiki im Bürgerkrieg zunächst (bis zur Verkündung der Neuen Ökonomischen Politik im März 1921) vom kriegskommunistischen System nicht verabschieden wollten.

Trotzki und die „alte bolschewistische Garde“

Nun aber zurück zum Kampf um die Nachfolge Lenins. Wie bereits gesagt unterlag es für viele Parteimitglieder keinem Zweifel, dass Lenins Nachfolger nur Trotzki sein könne. Diese weit verbreitete Überzeugung wurde allerdings von der Mehrheit der bolschewistischen Führer nicht geteilt. Diese hielten eine eventuelle Vorherrschaft Trotzkis in der Partei, im Gegensatz zu den Parteimassen, für eine Gefahr, die um jeden Preis verhindert werden müsse. Trotzki galt in der Parteiführung, im Gegensatz zu Lenin, als autoritär, ja beinahe despotisch. Man fürchtete, er werde versuchen, innerhalb der Partei ein diktatorisches Regiment bonapartistischen Charakters zu errichten. Abgesehen davon kam für die alte bolschewistische Garde die Übertragung der Nachfolge Lenins auf Trotzki schon deshalb nicht in Frage, weil Trotzki hier als Außenseiter, als eine Art Emporkömmling galt. Trotzki war kein alter Bolschewik, jahrelang hatte er Lenin bekämpft und ihn als Verfälscher des Marxismus, als jakobinischen Diktator usw. bezeichnet.

Mit ähnlicher Schärfe war Trotzki auch von Lenin kritisiert worden. Erst im Sommer 1917, also nur wenige Monate vor der Oktoberrevolution, trat Trotzki der bolschewistischen Partei bei.

Die alte bolschewistische Garde beobachtete die steile Karriere Trotzkis in der Partei mit Neid und Misstrauen. Nach dem Ausscheiden Lenins offenbarte sich allmählich, dass die Position Trotzkis innerhalb der Partei in erster Linie auf die Unterstützung durch Lenin gegründet gewesen war. Im Politbüro war Trotzki völlig isoliert, die Verhinderung einer eventuellen Diktatur Trotzkis in der Partei sollte den Inhalt des ersten Aktes des Kampfes um die Nachfolge Lenins bilden.

Lenins politisches Testament

Lenin hatte diesen Kampf vorausgesehen. In seinem politischen Testament vom Dezember 1922 warnte er die Führung der Partei vor einer Spaltung. Er sah im Konflikt zwischen Trotzki und Stalin, die er als die zwei bedeutendsten Gestalten innerhalb der Partei bezeichnete, die größte Gefahr für die Zukunft der Bolschewiki. Man muss Lenin insoweit ein feines psychologisches und politisches Gespür bezeugen. Ende 1922, als Lenin sein Testament schrieb, wäre es keinem Vertreter der bolschewistischen Elite eingefallen, Stalin auf die gleiche Stufe wie Trotzki zu stellen. Trotzkis Machtstreben wurde damals im Allgemeinen überschätzt und dasjenige Stalins unterschätzt. Der britische Historiker E. H. Carr sagt, die ständigen Parallelen, die die Bolschewiki zur Französischen Revolution gezogen hätten, seien ihnen zum Verhängnis geworden. Von allen bolschewistischen Führern habe Trotzki am meisten und Stalin am wenigsten an einen potentiellen „bonapartistischen“ Diktator erinnert. Deshalb hätten sich die Bemühungen der bolschewistischen Führer auch zunächst und in erster Linie auf die Verhinderung der Alleinherrschaft Trotzkis konzentriert.

Lenins politisches Testament, das seine Witwe, Nadeshda Krupskaja, unmittelbar nach seinem Tod an die Parteiführung weiterleitete, stellte bei der Auseinandersetzung um die Nachfolge Lenins keine allzu große Hilfe dar. Bei der Charakterisierung seiner engsten Parteigefährten erinnerte Lenin an ihre Schwächen und gelegentliches politisches Fehlverhalten. Besonders scharf wandte sich der sowjetische Staatsgründer gegen den Generalsekretär der Partei, Stalin:

Stalin ist zu grob, … und dieser Mangel … kann in der Funktion des Generalsekretärs nicht geduldet werden. Deshalb schlage ich den Genossen vor, sich zu überlegen, wie man Stalin ablösen könnte.

Lenin war der Meinung, dass eine Spaltung der Partei nur dann zu verhindern sei, wenn man zusätzliche Kontrollinstanzen in die Parteiführung einbauen würde. So schlug er in seinen letzten Schriften die Schaffung einer Zentralen Kontrollkommission vor, deren Mitglieder an den Tagungen des Zentralkomitees der Partei teilnehmen sollten. Dieses Gremium sollte gegen Bürokratisierung und Verkrustung des Parteiapparates kämpfen. Diese Zentrale Kontrollkommission, die dann in der Tat geschaffen worden war, wurde aber in Wirklichkeit nur zu einer zusätzlichen bürokratischen Einrichtung, die weder die Spaltung der Partei noch das Anwachsen der Bürokratie zu verhindern vermochte. Der Kampf gegen die Bürokratie mit bürokratischen Mitteln, wie er Lenin vorgeschwebt hatte, musste zwangsläufig scheitern.

Trotzkis Auflehnung gegen die „Parteibürokratie“

Trotzki wurde nach dem Ausscheiden Lenins aus dem politischen Leben zum wichtigsten Wortführer des Kampfes gegen den Parteibürokratismus innerhalb der bolschewistischen Führung. Und diese Kritik sollte allmählich eine erbitterte innerparteiliche Kontroverse auslösen. Trotzki gehörte jahrelang zu den Befürwortern der eisernen Parteidisziplin, dennoch begann er seit 1923 immer stärker mit denjenigen Kräften in der Partei zu sympathisieren, die für die Bewahrung der inneren Parteidemokratie plädierten und den autoritären Dirigismus ablehnten. Dieser Sinneswandel Trotzkis war sicher mit seiner Isolation innerhalb des Politbüros verbunden, die nach dem Ausscheiden Lenins plötzlich offensichtlich wurde. Er versuchte nun, durch eine Verbindung mit der Parteibasis seine Ausgangssituation im innerparteilichen Konkurrenzkampf zu verbessern. Dennoch hatte die Kampagne Trotzkis gegen die Bürokratie und für die stärkere Entfaltung der Parteidemokratie auch andere, nicht nur machtpolitische Gründe. Und diese waren mit den Entwicklungen im Westen, nicht zuletzt in Deutschland, verknüpft. Das Scheitern des kommunistischen Aufstandsversuchs in Deutschland im Oktober 1923 zerstörte die Aussicht auf einen unmittelbaren Sieg der „proletarischen Weltrevolution“ im Westen. Diese Niederlage führte zur Verstärkung isolationistischer Tendenzen innerhalb der bolschewistischen Partei. Die Vertreter dieser Tendenzen maßen den weltrevolutionären Zielsetzungen nicht mehr eine derart vorrangige Bedeutung bei, wie dies bisher in der Partei üblich gewesen war. Sie wollten sich eher auf innenpolitische Aufgaben konzentrieren. Für Trotzki bedeutete eine solche Einstellung einen Verrat an den ursprünglichen Idealen des Bolschewismus. Er wollte die Bolschewiki in ständiger revolutionärer Bereitschaft halten und warnte die Partei vor dem Versinken in den Alltag und in die Routine. Wenn die Partei die weltrevolutionären Zielsetzungen nicht in den Vordergrund stellen werde, werde sie sich in eine reformistische Partei, in eine Art SPD verwandeln, schrieb er im Mai 1923.

In der ersten Oktoberhälfte schickte Trotzki eine Reihe von Briefen an das Zentralkomitee der Partei, in denen er gegen das bürokratische Regime protestierte, das die Aktivität der Partei ersticke.

Die Kampagne gegen den „Trotzkismus“

Im Grunde ähnelten die Argumente Trotzkis denen, die Lenin in seinen letzten Regierungsjahren verwendet hatte. Auch Lenin hatte die Parteibürokratie scharf angeprangert. Dennoch reagierte die Parteiführung auf die Kritik Trotzkis ganz anders, als sie dies seinerzeit bei Lenin getan hatte. Als Lenin von gravierenden Mängeln in der Partei sprach, fiel es keinem bolschewistischen Führer ein, diese Kritik als Verstoß gegen die Parteidisziplin aufzufassen. Trotzkis Kritik hingegen konnte keineswegs mit einem vergleichbaren Respekt rechnen. Die Angriffe Trotzkis beantwortete die Parteiführung mit einer massiven Kampagne gegen den „Trotzkismus“, die Mitte Dezember 1923 in der ganzen kommunistischen Presse begann.

Trotzki wurde nun vorgeworfen, er wolle durch seine Forderung nach Parteidemokratie die Bildung von Fraktionen innerhalb der Partei ermöglichen. Besonders empört reagierten die Kritiker Trotzkis auf dessen These von der Entartung der alten bolschewistischen Garde und von der Notwendigkeit einer Regenerierung der Parteiführung durch neue Kräfte aus den Reihen der Parteijugend. Diese Worte Trotzkis fassten seine Gegner als Aufruf an die jungen Parteimitglieder auf, gegen die bisherige Parteiführung zu rebellieren.

Trotzkis Fehler wurden von seinen Gegnern in erster Linie mit seiner nichtbolschewistischen Vergangenheit erklärt. Trotzki habe sich die bolschewistischen Grundsätze nie völlig zu eigen machen können, weil er nicht die bolschewistische Schule hinter sich habe, so einige seiner Kritiker.

„Right or wrong, my party“?

Trotzkis Sturz war ebenso schnell und spektakulär wie sein Aufstieg. Trotzki selbst besiegelte seine Niederlage mit seiner pathetischen Rede auf dem XIII. Parteitag der Bolschewiki im Mai 1924, in der er von der Unfehlbarkeit der Partei sprach: Die Partei habe letzten Endes immer Recht, denn die Partei stelle das einzige Instrument dar, das die Geschichte dem Proletariat zur Lösung seiner wichtigsten Aufgaben gegeben habe. Man könne nicht im Recht gegen die Partei sein, so Trotzki. Dann führte Trotzki aus: Die Engländer sagten: „Right or wrong, my country“. Die Bolschewiki könnten mit noch größerer Berechtigung sagen: „Right or wrong, my party“. Durch dieses Axiom von der Unfehlbarkeit der Partei entwaffnete Trotzki im Grunde sich selbst und seine Gesinnungsgenossen, die die Linie der Parteimehrheit für verderblich hielten. An welche Instanz sollten sie appellieren, um auf die herrschende Gruppierung in der Partei Druck auszuüben? Die Gesellschaft wurde von den Bolschewiki entmündigt, die Kommunistische Internationale in eine immer größere Abhängigkeit von Moskau gebracht. So entschied über den Kurs des sowjetischen Staates diejenige Gruppierung, die in der Partei über die stärksten Bataillone verfügte.

Der erste Akt der Kämpfe um die Nachfolge Lenins, der mit der Niederlage Trotzkis endete, hat den Charakter der nächsten Akte in starkem Ausmaß geprägt. Die prominentesten Vertreter der alten bolschewistischen Garde bezeichneten Trotzkis Opposition als einen unzulässigen Bruch der Parteidisziplin. Sie verurteilten die Bildung von Fraktionen gegen die Parteiführung nachdrücklich.  Als sie später selbst in die Opposition gedrängt wurden, wurden sie von Stalin an diese ihre Worte erinnert.

Trotzkis Kampf gegen Stalin und Hitler

Fünf Jahre nach seiner Entmachtung wurde Trotzki aus der Sowjetunion ausgewiesen. Das Exil – zunächst von Trotzki als Tragödie empfunden – erwies sich letztlich aber als ein Privileg, denn nur von dort aus war eine Auseinandersetzung mit der Stalinschen Despotie möglich. Aber nicht nur die Auseinandersetzung mit der stalinistischen Innenpolitik, sondern auch die Kritik an der verheerenden Deutschlandpolitik der Stalinisten war seit Ende der 1920er Jahre einzig aus dem Exil möglich. Mit der sogenannten „Sozialfaschismus“-Theorie, die sich in der Kommunistischen Internationale 1928/29 durchgesetzt hatte, wurde der KPD jegliche Möglichkeit genommen, die NSDAP effizient zu bekämpfen. Diejenigen Kommunisten, die in der NSDAP und nicht in der SPD den Hauptfeind der Arbeiterklasse erblickten, wurden von der Führung der KPD des Opportunismus bezichtigt. Ernst Thälmann beschuldigte sie zum Beispiel:

vor den nationalsozialistischen Bäumen den sozialdemokratischen Wald nicht sehen zu wollen (Dezember 1931).

Solche abstrusen Thesen waren aus der Sicht Trotzkis typisch für den stalinistischen „Vulgärradikalismus“. Das einzige Mittel, das die nationalsozialistische Machtübernahme verhindern könnte, ist für Trotzki eine gemeinsame Front von KPD und SPD. Die stalinistische Führung erkenne indes nur eine Art der Einheitsfront an – eine solche, in der alle anderen Parteien den Befehlen der Kominternführung bedingungslos gehorchten, so Trotzki. Aber auch die Taktik der SPD unterzieht Trotzki einer schonungslosen Kritik. Die SPD glaube nicht, dass die Nationalsozialisten sich entschließen könnten, von Worten zu Taten überzugehen, schreibt er im Januar 1932. Für den Fall einer wirklichen Gefahr setze die SPD ihre Hoffnung auf die preußische Polizei und auf die Verfassungstreue des Reichspräsidenten. Die SPD – eine Millionenpartei – wolle, dass die Beamten des Staates sie vor einer anderen Millionenpartei schützten. Trotzki verurteilt also die Passivität der deutschen Sozialdemokraten und ihre Unfähigkeit, in Krisensituationen den skrupellosen Gegner ohne Rücksicht auf parlamentarische Gepflogenheit zu bekämpfen.  Alle diese Eigenschaften, die Trotzki bei den deutschen Sozialdemokraten so scharf anprangert, waren auch für die russischen Sozialdemokraten und Sozialrevolutionäre charakteristisch gewesen. Dies hatte den Bolschewiki im Jahre 1917 die Machtergreifung erleichtert. Unmittelbar nach dem bolschewistischen Staatsstreich hatte Trotzki die sozialdemokratischen Gegner der Bolschewiki in einer Rede voller Hohn und Verachtung auf den „Kehrichthaufen der Geschichte“ verwiesen. 13 Jahre später sah er im Bündnis mit einer Bewegung, die er so überheblich von der politischen Bühne Russlands gejagt hatte, den einzigen Weg für die Kommunisten, einen nationalsozialistischen Sieg zu verhindern. Diesmal kam die Hilflosigkeit der Sozialdemokraten bei der Konfrontation mit einem rücksichtslosen Gegner nicht den Kommunisten, sondern den Nationalsozialisten zugute.

Anders als die Kominternführung wurde Trotzki von der „Machtergreifung“ Hitlers nicht überrascht. Er hatte sie schon 1931 als möglich vorausgesehen. Sogar die Form dieser „Machtergreifung“ – die freiwillige Übergabe der Regierungsverantwortung an Hitler durch die herrschenden Gruppierungen in Deutschland – wurde von Trotzki als politische Eventualität vorausgesagt.  Die weitgehende Widerstandslosigkeit, mit der die deutsche Arbeiterbewegung den Aufstieg Hitlers zur Macht hingenommen hatte, kam für Trotzki allerding völlig unerwartet. Die Bolschewiki, die am 7. November 1917 relativ leicht die Macht in Russland erobert hatten, mussten diese Macht etwas später in einem dreijährigen zermürbenden Bürgerkrieg verteidigen. Die deutschen Arbeiterparteien dagegen kapitulierten vor Hitler fast ohne Kampf. Zwar weigerte sich die SPD-Fraktion im Reichstag, am 23. März 1933 dem Ermächtigungsgesetz zuzustimmen. Diese Geste konnte aber die nationalsozialistische Diktatur nicht mehr verhindern. Diese katastrophale Niederlage der deutschen Arbeiterbewegung bezeichnete Trotzki im Juni 1933 als die „(größte) Niederlage in der Geschichte der Arbeiterklasse“.

Leonid Luks

Der Prof. em. für Mittel- und Osteuropäische Zeitgeschichte an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt wurde 1947 in Sverdlovsk (heute Ekaterinburg) geboren. Er studierte in Jerusalem und München. Von 1989 bis 1995 war er stellvertretender Leiter der Osteuropa-Redaktion der Deutschen Welle und zugleich Privatdozent und apl. Professor an der Universität Köln. Bis 2012 war er Inhaber des Lehrstuhls für Mittel- und Osteuropäische Zeitgeschichte an der KU Eichstätt-Ingolstadt. Er ist Geschäftsführender Herausgeber der Zeitschrift Forum für osteuropäische Ideen- und Zeitgeschichte.

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