Das Arschloch an Ihrer Seite

Als Strafverteidiger ist man nicht unbedingt beliebt. Aber das macht nichts. Denn wenn es drauf ankommt, ist jeder froh, wenn er jemanden hat, der ihm zur Seite steht. Eine Kolumne von Heinrich Schmitz.


Bild von Alexa auf Pixabay

Das Image von StrafverteidigerInnen ist nicht so gut. Dabei sind sie für den Rechtsstaat unverzichtbar.

„Noch so eine Frage und du kriegst was auf die Fresse!“ – Ich hatte nicht etwa einen Rocker gefragt, ob er mir seine Kutte schenkt, sondern nur einen Zeugen, ob er schon einmal etwas zusammen mit dem Angeklagten und dessen Freundin unternommen habe. Trotz der wilden Antwort blieb eine Reaktion der Vorsitzenden aus. Na ja, irgendwie verständlich. Ich möchte ihr persönlich ja nichts Böses unterstellen, aber es gibt wohl viele Menschen, darunter auch Richter, die nichts dagegen hätten, wenn so ein Strafverteidiger mal „was auf die Fresse“ bekäme.

Menschen sind keine Schweine

„Wie kannst Du solche Schweine vertreten“ hat garantiert jeder Verteidiger schon gehört – und das nicht nur von juristischen Laien. „Damit tust Du Dir keinen Gefallen“ hörte ich auch schon von einem „wohlmeinenden“ Juristen. Die Antwort, „vielleicht aber der Gerechtigkeit“ quittierte er mit einem Kopfschütteln. Ich vertrete keine Schweine, sondern Menschen, die einer Straftat beschuldigt werden. Und auch wenn die Angeklagten schuldig sind, verteidige ich nicht die Tat, sondern den Menschen.

Vermutlich hätte selbst ein Henker mehr Sympathie zu erwarten als ein Strafverteidiger. Der Henker macht die Welt ja besser, oder? Räumt ein paar kriminelle Schweine weg. Strafverteidiger tanzen doch mit denen. Das sind doch Arschlöcher.

Befangenheit

Als junger Anwalt bekam ich das Mandat eines Kleindealers. Da mich an dem Gericht noch niemand kannte, hielt ich es für ein Gebot der Höflichkeit, den Richter vor der Sitzung in seinem Zimmer aufzusuchen, um mich ihm vorzustellen. Zur Begrüßung wollte ich ihm die Hand reichen – damals gab’s noch keine Coronainfektionen –, griff aber verdutzt ins Leere, weil er seine Hände schnell hinter seinem Rücken versteckte. Ich versuchte es mit einem Scherz und sagte ihm, dass die Hand frisch gewaschen sei. Darauf traf mich ein ungnädiger, eisiger Blick und die Worte:“Ich gebe keinem die Hand, der solche Typen vertritt.“ Wohlgemerkt ein Richter. Nicht dass er sich selbst als befangen abgelehnt hätte, nein, er war geradezu darauf erpicht, „solche Typen“ zu verurteilen. Den Befanbgenheitsantrag musste ich dann selbst stellen.

Später erfuhr ich von einem Bekannten, dass die Tochter des Richters heroinabhängig war. Menschlich verständlich, dass er einen Hass auf Dealer hegte, professionell allerdings unerträglich. Unreflektiert und damit nicht geeignet, den Angeklagten richtig zu be- und verurteilen.

Immerhin wusste ich nun, was ich als Verteidiger an Freundlichkeiten zu erwarten hatte. Aber das war noch harmlos.

Arschloch

Irgendwann gewöhnt man sich daran, wegen des Berufs als Arschloch angesehen zu werden, Drohmails zu bekommen, im Internet verdächtigt zu werden auf Kinder zu stehen, weil man einen „Sexopa“ oder den “Psycho-Sextäter“ verteidigt hat. Jeder Verteidiger – und auch die meisten Richter und Staatsanwälte – weiß, dass ein gerechtes Urteil nur möglich ist, wenn der Angeklagte konsequent verteidigt wird. Das bedeutet aber auch, dass ein Richter der merkwürdige Sprüche macht, wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden muss, dass Beweisanträge gestellt werden, dass Zeugen und auch vermeindliche Opfer intensiv befragt werden müssen, auch wenn ihnen das nicht gefällt. Wenn dann ein Opfer zusammenbricht, ein Zeuge rumbrüllt oder ein Sachverständiger rote Ohren bekommt, weil man ihm einen Fehler nachweist, dann mag das für eine ungemütliche Stimmung sorgen, aber da müssen dann halt alle durch. Das ist vielleicht nicht schön, aber es ist oft unvermeidbar. Eine Hauptverhandlung ist keine Wellnessveranstaltung. Wenn ein Prozess sich durch Anträge des Verteidigers verlängert, wird grundsätzlich von der „Öffentlichkeit“ die Verteidigung beschuldigt, das Verfahren zu verzögern. Tatsächlich ist es aber doch so, dass ein erfolgreicher Antrag nur zeigt, dass Staatsanwaltschaft und Gericht vorher etwas übersehen haben.Warum richtet sich der Verzögerungsvorwuf dann nicht gegen die?

Spaß

Wenn ich jetzt verrate, dass es mir und meinen Strafverteidiger-KollegInnen sogar Freude macht, Angeklagten beizustehen, sie vor menschenunwürdiger Behandlung zu schützen, wackelige Anklagen zu zerlegen und lügenden Zeugen ihre Lügen nachzuweisen, dass es Spaß macht, undichte Stellen in einer Indizienkette aufzudecken, Vorurteile zu widerlegen und vermeintlich sichere Beweise zu entkräften, wird das vermutlich manchen in seiner Einschätzung „Arschloch“ bestärken. Aber glauben Sie mir, wenn Sie selbst einmal der Angeklagte sind – und das kann schneller gehen als Sie glauben –, werden Sie froh sein, wenn so ein „Arschloch“ an ihrer Seite ist.

P.S.: Dieser Text – in leicht abgewandelter Form  – wurde vor ziemlich genau 10 Jahren bereits einmal unter der Überschrift „Die mit den Schweinen tanzen“ an anderer Stelle veröffentlich. Es war eine meiner ersten Kolumnen. Und leider hat sich seit dieser Zeit die Stimmung gegenüber der Strafverteidigung keineswegs verbessert.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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