Vorteil Becker!

Boris Becker wurde schon nach knapp acht Monaten aus dem Gefängnis entlassen, und er ist mittlerweile zurück in Deutschland. Ist das gerecht? Eine Kolumne von Heinrich Schmitz.


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Tennislegende Boris Becker, der siebzehnjährigste Leimener aller Zeiten war erst im April 2022 in London zu einer Haftstrafe von zweieinhalb Jahren Haft wegen Insolvenzstraftaten verurteilt worden. Von diesen 30 Monaten musste er nur siebeneinhalb Monate verbüßen. Und schwuppdiwupp ist er wieder in Deutschland. Wie kann das sein?

Nun, genau wie in Deutschland sind auch in Großbritannien die Gefängnisse voll. Und deshalb gibt es in England ein Regierungsprogramm, wonach sich Ausländer in Haft für eine vorzeitige Entlassung bewerben dürfen. Die Voraussetzungen sind eher erträglich, denn neben einer guten Führung, die Wirtschaftskriminelle meistens zeigen, müssen sie lediglich die Bereitschaft erklären, in ihre Heimat zurückzukehren. Und es muss wenigstens soviel verbüßt sein, dass die Halbstrafe in 12 Monaten erreicht wäre. Den Briten reicht es offenbar, wenn Kriminelle ihr Land verlassen und sich das Heimatland dann mit denen herumschlagen muss. Wer nicht mehr im Land ist, muss auch nicht resozialisiert werden. Watt fott is, is fott.

Keine britische Spezialität

Das ist allerdings keine britische Spezialität, sondern wird in Deutschland ganz ähnlich gehandhabt. Um den Strafvollzug zu entlasten und Kosten zu sparen.

In § 456a der Strafprozessordnung heißt es:

Absehen von Vollstreckung bei Auslieferung, Überstellung oder Ausweisung

(1) Die Vollstreckungsbehörde kann von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe, einer Ersatzfreiheitsstrafe oder einer Maßregel der Besserung und Sicherung absehen, wenn der Verurteilte wegen einer anderen Tat einer ausländischen Regierung ausgeliefert, an einen internationalen Strafgerichtshof überstellt oder wenn er aus dem Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes abgeschoben, zurückgeschoben oder zurückgewiesen wird.

(2) 1Kehrt der Verurteilte zurück, so kann die Vollstreckung nachgeholt werden. 2Für die Nachholung einer Maßregel der Besserung und Sicherung gilt § 67c Abs. 2 des Strafgesetzbuches entsprechend. 3Die Vollstreckungsbehörde kann zugleich mit dem Absehen von der Vollstreckung die Nachholung für den Fall anordnen, dass der Verurteilte zurückkehrt, und hierzu einen Haftbefehl oder einen Unterbringungsbefehl erlassen sowie die erforderlichen Fahndungsmaßnahmen, insbesondere die Ausschreibung zur Festnahme, veranlassen; § 131 Abs. 4 sowie § 131a Abs. 3 gelten entsprechend. 4Der Verurteilte ist zu belehren.

Natürlich ist so eine Abschiebung für einen wegen Drogenhandels verurteilten Nigerianer nach Nigeria  deutlich unangenehmer als für einen Deutschen Promi die Abschiebung nach Deutschland. Becker dürfte hier von einem Großteil seiner Fans wie ein Held empfangen werden, während dem nigerianischen Drogendealer zuhause deutliche Unbill droht.

Frei

Die restliche Strafe muss Becker nun nicht mehr verbüßen. Er ist nun frei. Einziger Wermutstropfen: Bis zum Ende der Strafzeit darf er nicht mehr in sein „Wohnzimmer“ bzw. er darf britischen Boden nicht betreten. Tut er das doch, muss er den Rest weiter absitzen. So blöde wird Becker wohl nicht sein. Und es gibt ja auch außerhalb Deutschlands schöne warme Länder, in denen Menschen mit ordeentlich Kohle immer willkommen sind, ganz gleich woher die Kohle stammt. Und dass Becker wieder schnell an Millionen kommen wird, ist schon klar.

Er wird nun erst einmal ordentlich Profit aus seiner Kurzzeithaft schlagen. Da ihm möglicherweise sein britischer Insolvenzverwalter auch in Deutschland nachstellen wird, um irgendwie an das Geld der Geschädigten zu kommen, wird Becker sicherlich ebenfalls nicht so dumm sein, die erwarteten Millionen, die sich aus einer Vermarktung seiner Geschichte durch Exklusivinterviews, Bücher, Filme oder Serien schlagen lassen werden, selbst zu kassieren. Vermutlich wird er für einen kleinen Obolus für eine Firma seiner Freundin oder einer seiner Exfrauen oder Kinder tätig werden. Da kann er sich Tipps beim Wendler holen.

Legal

Ob das gerecht ist, wage ich zu bezweifeln, aber es ist jedenfalls legal. Es ist also von Vorteil, wenn man seine Straftaten im Ausland begeht, sofern es sich nicht gerade um ein Land handelt, in dem einem für den Besitz von etwas Haschisch die Todesstrafe droht oder in dem man wegen eines Verbrechens gegen Gott (was auch immer das sein soll) verurteilt wird. Betrügern und Wirtschaftskriminellen sei der Tatort Großbritannien empfohlen. Billiger kommt man wohl nirgendwo davon.

Ich gönne grundsätzlich fast jedem Menschen, dass er aus dem Knast kommt. Und ich gönne auch jedem, dass er nach der Strafverbüßung wieder auf die Beine kommt. Ob die Strafe allerdings nach so einer kurzen Zeit tatsächlich die erwünschte Wirkung zeigt, kann ich nicht beurteilen.

Für Becker wird sich das Haftintermezzo jedenfalls als wahre Goldgrube erweisen, wenn er – wie kolportiert wird – für ein Interview mit Sat1 sage und schreibe 450.000 € erhalten soll. Das ist auf einen Schlag ein Betrag für den ein unschuldig Verurteilter, dem 75€ Haftentschädigung pro Tag zustehen, sage und schreibe 6000 Tage, also über 16 Jahre lang, einsitzen müsste. Vielleicht sollte man darüber noch mal nachdenken, bevor man einem verurteilten Straftäter nun den roten Teppich ausbreitet.

Aber so kennen wir das ja von Boris Becker. Nach einer Spielunterbrechung in schwieriger Situation kommt er wieder auf den Platz und nach kurzer Zeit heißt es ein weiteres Mal: Vorteil Becker!

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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