Mehr Blasphemie wagen

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat ein Urteil gegen die polnische Sängerin Doda wegen angeblicher Blasphemie aufgehoben. Wozu sollen solche Vorschriften gegen Blasphemie eigentlich gut sein? Eine Kolumne von Heinrich Schmitz


Bild von Rob Owen-Wahl auf Pixabay

Was war passiert? Im Jahr 2009 hatte die Sängerin Dorota Rabczewska, die unter dem Künstlernamen Doda auftritt, sich in einem Interview zur Entstehung der Bibel geäußert. Dabei sagte sie, dass wissenschaftliche Entdeckungen sie mehr überzeugten als die unglaublichen Geschichten der Bibel, die ihrer Meinung nach von Personen unter dem Einfluss von Alkohol und rauchbaren Drogen geschrieben worden sein müssten. Erst drei Jahre später, also im Jahr 2012, klagten zwei Personen sie wegen eines Verstoßes gegen Artikel 196 des polnischen Strafgesetzbuches an. Der lautet übersetzt:

Wer die religiösen Gefühle anderer Personen verletzt, indem er öffentlich einen Gegenstand religiöser Verehrung oder einen Ort beleidigt, der für öffentliche religiöse Zeremonien bestimmt ist, muss eine Geldstrafe zahlen oder für einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren seiner Freiheit beraubt werden.

Ja nun. Ist so eine Sache mit diesen religiösen Gefühlen. Wie mögen die sich eigentlich anfühlen? Ich verstehe, was ein religiöser Glaube ist und ich verstehe auch, dass man vielleicht angepisst ist, wenn jemand sich negativ oder abfällig gegen diese Religion äußert, aber das sind halt einfach Gefühle. Dass es explizit religiöse Gefühle gibt, wage ich zu bezweifeln. Aber gut. Jeder wie er mag. Nun scheint es im Fall Doda ein spezielles Gefühl zu sein, dass erst einmal drei Jahre nach einer Äußerung anschwillt, um dann dazu zu führen, dass jemand eine Anzeige ertstattet.

Die Sängerin wurde also angeklagt und zu 1.200 € Geldstrafe verurteilt. Das polnische Verfassungsgericht, dessen Verfassung offenbar nicht die beste ist, fand das alles ganz okay. Aber der EGMR hob die Entscheidung auf, weil sie gegen das Menschenrecht auf Meinungsfreiheit verstößt und sprach Doda eine Entschädigung von 10.000 € zu. Ende gut, alles gut?

Schon krass. Nun ist Polen ja nicht alleine mit seinem Blasphemie-Gesetz. Auch in Deutschland gibt es noch einen rudimentären Rest einer solchen Vorschrift.

Alle paar Jahre kommt in Deutschland die Vorschrift des § 166 StGB in die Diskussion. Todsicher jedenfalls dann, wenn im Zusammenhang mit einer lästerlichen bildlichen Darstellung eines Propheten und unter Berufung auf eine Religion oder die Verletzung religiöser Gefühle Menschen ermordet werden.

Selber schuld

Die Ermordung von Karikaturisten oder Satirikern wird dann zwar pflichtgemäß bedauert, es findet sich aber immer jemand, der meint, darauf hinweisen zu müssen, dass solche Taten ja nicht passieren würden, wenn die „religiösen Gefühle“ von anderen Menschen nicht verletzt würden. Klingt irgendwie nach „selber schuld“. Was musst Du den bissigen Hund auch zanken, Kind? Allerdings sind diese Mörder keine bissigen Hunde, die irgendwelchen kranken Reflexen folgen, sondern verantwortlich handelnde Menschen, für deren Taten es zwar Erklärungen, jedoch keine Rechtfertigungen geben kann. Und die Religion gerne als Vorwand missbrauchen.

2012 wurden der amerikanische Botschafter in Libyen und drei seiner Mitarbeiter ermordet. Angeblich wegen eines beschissen gemachten Mohammed-Videos. Nicht, dass der Botschafter und seine Mitarbeiter selbst unter die Filmschaffenden gegangen wären; so genau nehmen die Empörten das ja nicht. Die rächen ja häufig weit ab vom Schuss.

In Paris traf es bekanntlich auch nicht nur die Karikaturisten von „Charlie Hebdo“. Nein, es traf weitere Mitarbeiter, Polizisten und mit den Karikaturen überhaupt nicht in Verbindung stehende Juden. Diejenigen, die mit einem Ja/Aber argumentieren – und damit den Karikaturisten so nebenbei eine Mitschuld an dem Terror geben –, sind regelmäßig auch dafür, Gotteslästerungen oder Blasphemie zu bestrafen.

Schauen wir uns den „Blasphemie-Paragrafen“ mal etwas genauer an

Der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Stephan Mayer von der Christlich-Sozialen Union, meinte 2015 mal in einem Interview mit der „Welt“

Selbstverständlich muss das Beschimpfen religiöser oder weltanschaulicher Bekenntnisse unter Strafe gestellt bleiben. Wenn der öffentliche Friede auf diese Weise gestört wird, muss der Rechtsstaat dagegen vorgehen können.

Wenn der Friede auf andere Weise gestört wird, nicht? Wieso? Ist der Nationalsozialismus keine Weltanschauung? Soll ich den nicht „beschimpfen“ dürfen? Oder Idioten, die meinen, ihr Gott fordere sie auf, Menschen zu köpfen? Die vorhandene Regelung des § 166 StGB ging diesem Mayer da offenbar noch nicht weit genug, denn er glaubt:

Eher sollte über die Anhebung des Strafrahmens gesprochen werden als über eine Abschaffung des §166 StGB.“

Dass Politiker nach aufwühlenden Ereignissen gerne an Gesetzen rumschrauben, ist bekannt. Das ist immer so. Was nun allerdings daran „selbstverständlich“ sein soll, dass das Beschimpfen religiöser oder weltanschaulicher Bekenntnisse unter Strafe gestellt bleiben muss und sogar noch härter bestraft werden soll, bleibt wohl das Geheimnis von Herrn Mayer, der sich womöglich von einem speziellen religiösen Gefühl getrieben sieht.

Schauen wir uns den „Blasphemie-Paragrafen“ mal etwas genauer an: Streng genommen ist dieses Beschimpfen von Religionen und Weltanschauungen als solches gar nicht strafbar. Wer sich den Wortlaut des § 166 StGB einmal genau ansieht, müsste das auch als Laie oder Politiker merken.

§ 166 Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen*

(1) Wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) eine im Inland bestehende Kirche oder andere Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsvereinigung, ihre Einrichtungen oder Gebräuche in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, “den öffentlichen Frieden zu stören.

Erneut ein CSU-Mann, der eine Anhebung der Strafe forderte, komisch. Es mag ja sein, dass der ein oder andere Politiker nur die Überschrift des Paragrafen liest und dann denkt, das Beschimpfen von Religionen oder Weltanschauungen sei da für sich genommen unter Strafe gestellt – ist es aber nicht. Die Religionen oder gar Gott oder Allah, Buddha oder das Spaghettimonster werden von dieser Vorschrift gerade nicht strafrechtlich vor kritischer Unbill beschützt – die könnten ja mangels Präsenz wohl eh keinen Strafantrag stellen –, sondern ein eher schwammiges Konstrukt mit dem Namen „öffentlicher Frieden“. Der § 166 StGB ist also gerade kein Straftatbestand gegen Blasphemie oder Gotteslästerung. Das war er früher mal, vor 1969.

Und es gab auch immer Menschen, die zu diesem alten Tatbestand wieder zurück wollten. Schon im Jahr 2000 legten die Abgeordneten Norbert Geis, Ronald Pofalla, Wolfgang Bosbach, Johannes Singhammer, Hermann Gröhe, Dr. Jürgen Gehb, Dr. Wolfgang Götzer, Volker Kauder, Hans-Peter Repnik, Norbert Röttgen, Dr. Rupert Scholz, Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten, Dr. Susanne Tiemann, Andrea Voßhoff, Bernd Wilz und die Fraktion der CDU/CSU einen Gesetzentwurf vor, mit dem die „Störung des öffentlichen Friedens“ als Tatbestandsmerkmal gestrichen werden sollte. Gottlob scheiterte der. Wir sind ja schließlich kein Gottesstaat. Auch kein christlicher.

Insbesondere für Herrn Singhammer – was macht der iegtnlich heute? – scheint die Blasphemie bzw. deren harte Bestrafung eine Herzensangelegenheit zu sein, denn 2012 packte er “den alten Entwurf erneut aus. Ich hatte das damals schon mal als „Singhammers Traum“ “verspottet” , was problemlos möglich war, da damals jedenfalls noch keine Singhammer-Religion oder -Weltanschauung von besonderer Bedeutung existierte. Es ist also häufig ein CSU-Mann, der eine Anhebung der Strafe fordert. Die haben es vermutlich mit dem Kreuz.

Immerhin gibt es auch eine Gegenbewegung, die die Abschaffung fordert. In erster Front erwartungsgemäß der deutsche Philosoph und Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung, Michael Schmidt-Salomon. Der fordert das auch immer wieder. Und auch er nutzte dabei die Gunst der grausamen Tat in Paris für seinen neuen Vorstoß und reichte am 8. Januar 2015 “eine Petition” ein.

Die Begründung kam zwar im üblichen religionsfeindlichen MSS-Sound daher, in der Sache ist das aber wesentlich überzeugender als der Versuch, die Scheiterhaufen für Häretiker und Lästerer symbolisch mit einem „selbstverständlich“ wieder aufzuschichten.

Nebenbei, ich habe diese Petition damals unterzeichnet und verrate Ihnen auch, warum: Ich bin Christ, katholischer Christ. Am Tag meiner Geburt getauft, wie das früher gemacht wurde, damit man in Falle eines plötzlichen Ablebens nicht vor einer verschlossenen Himmelstür stand. Wäre ja blöd gewesen, als Kind von Christen am Türsteher zu scheitern. Da wurde niemand gefragt. Meine Sozialisation erfolgte zwangsläufig in einer rheinisch-katholischen Umgebung, mit der dazugehörenden Rundumversorgung.

Vom katholischen Kindergarten über eine katholische Grundschule, Vater im Kirchenvorstand und beide Eltern im Kirchenchor, Kommunion, Firmung, Messdiener, Betreuer bei Jugendfreizeiten des katholischen Caritasverbandes. Das volle Programm katholischer Indoktrination. Glücklicherweise nicht von ultrakatholischen Vollhonks, sondern von offenen Franziskanern, bei denen immer der Mensch im Vordergrund stand. Was daneben im Vordergrund stand, war ein gelassener und humorvoller Umgang mit allen Dingen. Auch mit der eigenen Religion und mit sich selbst. Warum sollte ich mich aufregen, wenn jemand meine Religion beschimpft? Kümmert mich nicht die Bohne. Loss se doch schwaade, wie man hier sagt ( Lass sie doch reden ). Falls ein Gott das Bedürfnis hegen sollte, jemanden für etwas zu bestrafen, dann kann der das garantiert besser als jeder Strafrichter. Ich habe über „Das Leben des Brian“ – der natürlich kein bisschen blasphemisch war – genauso gelacht wie über den Blechdosenjesus. Ich liebe Satire und selbst über hoch erregte Mitchristen, die angesichts von Beschimpfungen des Christentums ganz unchristliche Hasstiraden ablassen, kann ich mich amüsieren. Am liebsten würde ich dann noch laut „Allahu Akbar“ rufen, aber wozu? In diesem Punkt halten die sich sonst spinnefeind seienden Fundamentalisten aller Religionen fest zusammen.

Trotz oder vielleicht sogar wegen meiner Religion, halte ich den § 166 StGB für verzichtbar und unterstütze seine Aufhebung.

Frieden schaffen, ohne Pfaffen?

§ 166 StGB soll den öffentlichen Frieden vor schweren Verletzungen des Toleranzgebotes schützen. So steht das in den Gesetzes-Kommentaren. Was nun genau dieser „öffentliche Frieden“ sein soll, darüber schweigt das Gesetz sich aus. Eine große Anzahl von Rechtswissenschaftlern hält seit Jahrzehnten ein Rechtsgut des „öffentlichen Friedens“ als Schutzgut strafrechtlicher Tatbestände für gänzlich ungeeignet und zieht die Möglichkeit einer berechenbaren Anwendung von Friedensschutztatbeständen in Zweifel. Was öffentlicher Friede sein soll, ist ebenso wenig abschließend geklärt, wie die Frage, wann eine entsprechende Handlung geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu gefährden.

Es kommt bei der Vorschrift ja nicht darauf an, dass der wie auch immer definierte Friede tatsächlich gefährdet ist, sondern nur darauf, dass den blasphemischen Versen oder Bildern eine entsprechende Eignung beigemessen wird.

Die sogenannte herrschende Meinung in der juristischen Lehre besagt, dass „öffentlicher Friede“ einen Zustand oder ein „Klima“ beschreibt, das frei von Unsicherheit und Furcht ist. Ob es so etwas in einem Staat überhaupt gibt? Zur Zeit garantiert nicht und vorher vermutlich auch nicht. Irgendwas ist ja immer. Einigkeit besteht lediglich darüber, dass „öffentlicher Friede“ kein Begriff ist, der in einem Gerichtsverfahren mithilfe psychologischer Erkenntnismittel zuverlässig aufgeklärt werden könnte. Das ist ein misslicher Zustand. Normalerweise sollte man als Täter von Straftaten vorher wissen, ob das, was man zu tun beabsichtigt, strafbar ist. Beim § 166 StGB ist das aber kaum möglich. Letztlich entscheidet das Gericht dann auch aufgrund persönlicher Vorstellungen, die je nach eigener Sozialisation recht unterschiedlich sein können.

Und was noch schlimmer ist: Bei der Entscheidung spielt dann zwangsläufig auch eine Rolle, mit welcher Aggressivität eine bestimmte Religionsgemeinschaft oder auch einzelne verpeilte Fundamentalisten auf verbale Angriffe ihrer Religion erfahrungsgemäß reagieren. Wer die meisten Köpfe abschneidet und Krawall macht, genießt dann letztlich noch den größten strafrechtlichen Schutz des Staates. Das ist reichlich pervers. Ich bin nicht scharf darauf, meine oder andere Religionen zu beschimpfen, aber ich denke, dass es wichtig ist, dass man das im Rahmen der Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit tun darf. Die gelten ja sonst auch nicht schrankenlos. Es gibt ausreichend andere Möglichkeiten, sich z.B. gegen persönliche Beleidigungen oder gegen Volksverhetzung auch strafrechtlich zur Wehr zu setzen.

Wenn Herbert Grönemeyer meint, „Religionen sind zu schonen“, dann ist das zwar ein schöner Reim, mehr aber auch nicht. Beschädigt nicht der Umgang der katholischen Kirche mit Kindesmissbrauch die Religion mehr, als jeder blasphemische Spruch das könnte? Wäre ein Frieden schaffen ohne Pfaffen da nicht vernünftig?

Die Zunahme religiös begründeten Unfriedens dämmt man nicht damit ein, dass man die Religionen unter einen besonderen staatlichen Strafrechtsschutz stellt, sondern dadurch, dass jeder angstfrei seine Meinung auch zu diesen Religionen sagen kann – auch dann, wenn dabei irgendwelche angeblich religiösen Gefühle verletzt werden.

Es wäre in der Tat ein Zeichen, den § 166 StGB aus dem Strafgesetzbuch zu streichen, ein Zeichen für eine offene Gesellschaft und ein Weg in eine offenere Streitkultur. Vielleicht sollte man mal mehr Blasphemie wagen.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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