Metzelder und die Wut der Kollegen

Das Urteil gegen Christoph Metzelder – 10 Monate auf Bewährung – ist rechtskräftig. Manchen ist das zu viel Kuscheljustiz. Das Gesetz wurde gerade verschärft. Eine Kolumne von Heinrich Schmitz


Bild von mohamed Hassan auf Pixabay

Egal, ob prominent oder nicht, wer sowas macht: lebenslang weggesperrt.

so meint es Fußballer Max Kruse. Der Kollege Toni Kroos meint:

So ein Urteil ist für diese ganzen kranken Menschen nicht abschreckend. Mir fehlt dafür das Verständnis

und der große Kölner Rechtsphilosoph Lukas Podolski, bekannt für seinen schnellen Drang zum Abschluss, sagte:

Wer sich gegen Kinder versündigt, muss mit aller möglichen Härte des Gesetzes bestraft werden. Noch mal: Es werden Kinder geschädigt! So wie ihre Eltern und Familien! Die Strafe wird dem Vergehen nicht gerecht.

Alles Profis. Aber Fußballprofis.

Die meisten Juraprofis haben an dem Urteil nichts oder jedenfalls nichts besonderes zu meckern. Die sahen auch keinen wirklichen Handlungsbedarf im Bereich der Gesetzgebung. Da aber nun Politiker von der Gunst der Mehrheit der Wähler abhängig sind und nicht von der Minderheit der Strafrechtsexperten, wurde schon vor einiger Zeit an der Gesetzesschraube gedreht.

Alles Verbrechen

Nun hat auch der Bundesrat dem neuen Gesetz zugestimmt und es wird am 1. Januar 2022 in Kraft treten.

Danach gilt dann Folgendes:

Der Grundtatbestand des sexuellen Missbrauchs von Kindern wird künftig ein Verbrechen sein mit einem Strafrahmen von einem Jahr bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe – das war bisher als Vergehen mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bedroht.

Verbreitung, Besitz und Besitzverschaffung von Kinderpornografie werden zum Verbrechen hochgestuft. Für die Verbreitung von Kinderpornografie sieht das Gesetz Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren vor – bisher drei Monate bis fünf Jahre.

Der Besitz und die Besitzverschaffung können künftig mit Freiheitsstrafen von einem Jahr bis zu fünf Jahren geahndet werden – bisher bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe oder Geldstrafe. Das gewerbs- und bandenmäßige Verbreiten kann künftig mit Freiheitsstrafe von zwei bis 15 Jahren bestraft werden – bisher sechs Monate bis zehn Jahre.

Das ist zwar noch eine ganze Ecke von der Lebenslang-Forderung von Max Kruse für den Besitz von Kinderpornos entfernt, aber immerhin. Der Staat schreibt neue Strafen auf Papier.

Magisches Denken

Und wer im magischen Denken verhaftet ist, mag sogar daran glauben, dass deshalb künftig ein potentieller Täter davon ablässt, sich strafbar zu machen.

Die Justizministerin scheint das jedenfalls zu glauben, denn sie schreibt auf der Homepage des Ministeriums:

Wir haben heute ein sehr umfassendes Gesetzespaket beschlossen, um Kinder vor entsetzlicher sexualisierter Gewalt zu schützen. Wir bekämpfen diese Gräueltaten mit aller Kraft.

Täter fürchten nichts mehr als entdeckt zu werden. Den Verfolgungsdruck erhöhen wir deshalb massiv. Das schreckliche Unrecht dieser Taten kommt nun auch in sämtlichen gesetzlichen Strafrahmen zum Ausdruck. Künftig ist Kindesmissbrauch ohne Wenn und Aber ein Verbrechen. Gleiches gilt für die abscheulichen Bilder und Videos, mit denen diese Taten zu Geld gemacht werden. Wer mit der Grausamkeit gegen Kinder Geschäfte macht, kann künftig mit bis zu 15 Jahren Haft bestraft werden.

Wir brauchen höchste Wachsamkeit und Sensibilität für Kinder, die gefährdet sind oder Opfer sexuellen Kindesmissbrauchs wurden. Um sicherzustellen, dass Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte ihren verantwortungsvollen Aufgaben gerecht werden können, legen wir konkrete Qualifikationsanforderungen in der Familien- und Jugendgerichtsbarkeit fest.“

Okay, die Motivation für die Gesetzesverschärfung ist also – wie immer – gut gemeint. Kinder sollen vor entsetzlicher sexualisierter Gewalt geschützt werden. Gut so. Wer wollte das nicht?

Wenn man sich ein kleines bisschen mit der Täterstruktur auskennt, dann weiß man aber, dass kaum einmal ein Täter sich vor seiner Tat darüber informiert hat, wie hoch denn die Strafe für das von ihm beabsichtigte Delikt ist. Ich habe noch keinen Mandanten gehabt, der mir gesagt hätte:

Also eigentlich wollte ich ja einen Mord begehen, aber als ich im StGB gelesen habe, dass man dafür eine lebenslange Freiheitsstrafe bekommt, hab ich halt eine Sachbeschädigung begangen. Dafür gibt es ja deutlich weniger.

Und nein, Frau Lambrecht, dass Täter nichts mehr fürchten als entdeckt zu werden, entspricht auch nicht der Realität. Jedenfalls die Täter, die ich bisher so vertreten habe, die waren vollkommen überrascht, dass man sie überhaupt entdeckt hatte. Die rechneten überhaupt nicht damit, entdeckt zu werden und fürchteten das deswegen auch gar nicht. Ich kenne keinen einzigen Straftäter, der sich vor Begehung seiner Tat Gedanken darüber gemacht hat, wie die denn wohl bestraft werden würde.

Minimum ein Jahr

Okay, man kann natürlich sämtliche Variationen von Kindesmissbrauch einschließlich des Besitzes von Kinderpornos grundsätzlich zum Verbrechen erklären. Das bedeutet aber, dass die Mindeststrafe in allen Fällen, ganz gleich wie schlimm oder weniger schlimm sie sind, immer mindestens ein Jahr beträgt. Eine Differenzierungsmöglichkeit wird damit den Gerichten genommen. Möglicherweise war das sogar die Absicht. Das ist aber nicht zwingend klug, und ob es zu mehr Gerechtigkeit führt, wage ich zu bezweifeln.

Wie gesagt, nach der derzeitigen Gesetzeslage und den bisher „üblichen Tarifen“ war die Strafe für Metzelder mit 10 Monaten durchaus normal und aus meiner Sicht auch geeignet, diesen Täter zu einem künftig straffreien Leben anzuhalten.  Ab 1.1.22 gibt es für die nach diesem Stichtag begangenen Taten mindestens 1 Jahr. Durch die Einstufung als Verbrechen bekommt jetzt auch jeder Tatverdächtige einen Pflichtverteidiger. Ob das der Plan war?

Dass man für besonderes schwere Fälle die Höchststrafen in den Bereich anhebt, in dem bisher der Totschlag liegt, kann ich hingegen nachvollziehen. Manchmal darf es halt ein wenig mehr sein wie beim Metzger. Allerdings bringt das nicht etwa mehr Abschreckung und damit den versprochenen Schutz für Kinder im Allgemeinen, sondern nur eine höhere Strafe für eine begangene Tat. Und jede begangene Tat ist eine, die gerade nicht verhindert wurde.

Ich stimme der Justizministerin zu, wenn sie sagt:

Wir brauchen höchste Wachsamkeit und Sensibilität für Kinder, die gefährdet sind oder Opfer sexuellen Kindesmissbrauchs wurden.

Aber da brauchen wir etwas ganz anderes als ein paar höhere Strafen für die Täter. Ziel muss doch sein, künftige Taten zu verhindern. Und da muss der Staat einfach mehr machen als Gesetze zu verschärfen.

Er muss – was offenbar möglich ist, wenn es um Hilfen für die Wirtschaft in der Corona-Pandemie geht – viel Geld in die Hand genommen werden. Nicht nur, dass tatsächlich für jedes Kind ein Kita- oder Kindergartenplatz gewährleistet sein muss – nein, man muss da auch für qualifiziertes und gut ausgebildetes Personal sorgen, bei dem sichergestellt ist, dass nicht gerade von diesem eine Gefahr ausgeht.

Es muss mehr gut ausgebildetes Personal bei den Jugendämtern geschaffen werden, damit nicht wieder Pflegekinder in die Hände von Kinderpornoproduzenten aus einem Wohnwagen geraten und keine Sau was davon mitbekommt. Lehrer, aber auch Eltern, sollten fortgebildet werden, um schnell zu merken, wenn mit ihrem Kind etwas geschehen ist. Kinder müssen immer wieder ertüchtigt werden, NEIN zu sagen und sie müssen Anlaufstellen haben, bei denen sie reden können, ohne gleich Angst zu haben, in ein Heim zu müssen und ohne auf einen Termin zu warten.

Und da liegt dann auch ein Problem mit den schönen neuen verschärften Strafen: Je höher die Mindeststrafe ist, um so unwahrscheinlicher ist es, dass jemand der gerade die unterste Schwelle überschritten hat, also z.B. ein kinderpornografisches Foto auf seinem Handy hat, sich noch öffnet und eine Therapie beginnt. Der wäre ja bekloppt, wenn er offensiv mit seinem Problem umginge, wenn er weiß, das er nun ein Jahr Freiheitsstrafe bekommt. Und deshalb wird er schön sein Maul halten. Er wird nicht zu „Kein-Täter-werden“ gehen, sich nicht helfen lassen.

Ja und so nimmt dann das Unheil seinen Lauf. Kinderpornobesitzer sind in der Regel Jäger und Sammler, aus einem Foto werden 10, aus 10 werden 100 und irgendwann sind es dann 10.000 oder 100.000. Und in der Regel ist es so, dass die Bilder dann auch immer krasser werden.

Ich musste mir als Verteidiger bereits tausende dieser widerwärtigen Machwerke ansehen und kann mir beim besten Willen nicht erklären, welchen Reiz diese Aufnahmen haben sollen, außer dem Brechreiz und dem unendlichen Mitleid für die dort missbrauchten und misshandelten Kinder. Es muss also darum gehen, zu verhindern, dass solcher Missbrauch, egal ob er nun fotografiert wird oder nicht, überhaupt geschieht.

Mehr ist mehr

Und dazu braucht es mehr als eine Gesetzesverschärfung. Die mag das unzufriedene „Volk“ kurzfristig befriedigen, dem bei gerechter Bestrafung häufig jedes Maß und Ziel fehlt. Viel mehr erreicht man damit aber nicht. Und wenn Herr Kruse meint, jemand der 18 verbotene Fotos auf seinem Handy hat, müsse lebenslang eingesperrt werden, dann soll er mir mal verraten, wo er denn schon nur die 400.000 Kunden des erst vor ein paar Tagen abgeschalteten Netzwerkes alle einsperren will. Im Jahr 2020 gab es am Stichtag 31. März 46.054 Gefangene und Verwahrte in den Justizvollzugsanstalten in Deutschland. Für viel mehr ist da kein Platz.

Weniger populistische Gesetzeskosmetik und mehr echtes Engagement wären hilfreich.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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