Volksverhetzung – Frecher Juden-Funktionär

Sascha Krolzig, früher im Bundesvorstand der Partei DIE RECHTE, wurde wegen Volksverhetzung rechtskräftig zu sechs Monaten Haft verurteilt. Seine Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen. Eine Kolumne von Heinrich Schmitz


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Das Amtsgericht Bielefeld hatte Sascha Krolzig am 22. Februar 2018 wegen Volksverhetzung in Tateinheit mit Beleidigung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt.

Zur Vorgeschichte:

Im August 2016 veröffentlichte der Westdeutsche Rundfunk einen Beitrag, in dem berichtet wurde, dass die Stadt Preußisch Oldendorf ihr Amtsblatt von einem Verleger herausgeben ließ, dessen Inhaber als Geschäftsführer eines anderen Verlags auch Schriften mit rechtsradikalem Hintergrund veröffentlicht haben soll. Der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Herford-Detmold, Prof. Matitjahu Kellig, forderte in diesem Fernsehbeitrag, dass die Gemeinde künftig ihr Amtsblatt in einem anderen Verlag herausgeben solle. Das gefiel dem Angeklagten offenbar nicht. In einem Artikel, den er auf einer von ihm verantworteten Seite seiner Partei veröffentlichte, machte er seinem Ärger ordentlich Luft.

Vorbildliche Männer der Waffen-SS

Er kritisierte zunächst allgemein den Versuch, „Dissidenten … mundtot zu machen“. Damit meinte er den Verleger der „Deutschen Verlagsgesellschaft“, dessen Programm jede Menge Bücher enthält, die ich mit der Kneifzange nicht anfassen würde. Krolzig meinte, der Verlag habe „diverse zeitgeistkritische Bücher im Programm“, darunter auch eines „über vorbildliche und bewährte Männer der Waffen-SS“. Ja, schön. Soweit, so noch nicht strafbar. Ich hatte in der Verwaltungsstage einen Ausbilder, der nahezu täglich über seine schöne Zeit in der Waffen-SS schwadronierte und schlechte Witze erzählte. Ich habe es überlebt.

Krolzig schreibt dann weiter von einer „massiven Hetzkampagne von Medien, Linken und Jüdischer Gemeinde“. Er fordert, man solle daher „jegliche Kooperation mit der Jüdischen Gemeinde Herford-Detmold. unverzüglich einstellen“. Dann fährt er fort:

DIE RECHTE würde den Einfluss jüdischer Lobbyorganisationen auf die deutsche Politik in allerkürzester Zeit auf genau Null reduzieren. Da wir der Meinung sind, dass sich der Staat religiös strikt neutral zu verhalten hat, würden wir auch sämtliche staatliche Unterstützung für jüdische Gemeinden streichen und das Geld für das Gemeinwohl einsetzen. DIE RECHTE – die Partei für deutsche Interessen.“

Ausschlaggebend für die Verurteilung wegen Volksverhetzung waren aber folgende Äußerungen des Angeklagten auf einer Internetseite der Partei:

Noch dreister gebärdet sich […], Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde H., wohnhaft … Selbstgefällig fordert der freche Juden-Funktionär die Stadt dazu auf, umgehend Konsequenzen zu ziehen und sich von [Name des Verlags] zu trennen‘. […D]a muss die Stadt natürlich Konsequenzen ziehen und sich sofort einen neuen Drucker suchen – vielleicht, als Akt der Reue, sogar einen jüdischen?“

Und damit hat er dann endgültig den Bereich der freien Meinungsäußerung verlassen und sich selbst  ins strafrechtlich relevante Abseits gekickt.

In der Berufungsinstanz stellte das Landgericht Bielefeld fest, der Betroffene werde durch die Bezeichnung „frecher Juden-Funktionär“ in seiner Funktion als Angehöriger der jüdischen Bevölkerungsgruppe angesprochen.

Eine solche herabsetzende öffentliche Adressierung unter Verwendung nationalsozialistischer Terminologie sei als eine Aufstachelung zum Hass im Sinne von § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB zu werten. Denn dadurch werde dem Betroffenen implizit, aber beabsichtigt und eindeutig, der Status zugedacht, den ein Jude im Nationalsozialismus gehabt habe, nämlich als ein Mensch ohne Würde und Existenzrecht und insofern als jemand, auf den sich Hass entladen könne und solle. Eine solche Bezugnahme auf Ideen und Methoden des Nationalsozialismus werde auch aus dem Gesamtkontext deutlich, insbesondere der lobenden Erwähnung von Männern der Waffen-SS und dem Passus, die Partei DIE RECHTE werde den Einfluss jüdischer Lobbyorganisationen auf die deutsche Politik in allerkürzester Zeit auf Null reduzieren. Denn es sei gebildeten Lesern, insbesondere dem Beschwerdeführer und dem Betroffenen, bekannt, wie die Nationalsozialisten letzteres Ziel zu erreichen versucht hätten, nämlich durch Ghettoisierung und Vernichtung von Personen jüdischen Glaubens. In dieser Vernichtungsrhetorik liege letztlich ein Gutheißen von Gewalt gegen Personen jüdischen Glaubens, allerdings noch kein konkretes Auffordern zu Gewalt- und Willkürmaßnahmen.“

Wenn Krolzig nun meinte, besonders schlau gewesen zu sein, weil er nicht konkret zu Gewalt- und Willkürmaßnahmen aufgefordert hatte, dann hat er sich geschnitten. Denn:

Die Äußerung sei auch nicht durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Insbesondere stehe hier nicht infrage, inwieweit der Betroffene wegen seiner vorherigen Äußerung auch scharfe und polemische Kritik hinnehmen müsse. Entscheidend sei vielmehr die Bezugnahme auf und positive Identifizierung mit dem Nationalsozialismus, aus der sich in besonderem Maß ein von der Meinungsfreiheit nicht geschütztes Aufstacheln zum Hass herleiten lasse.

Das OLG Hamm bestätigte die Verurteilung in der Revisionsinstanz, indem es die Revision als unbegründet verwarf.

Dagegen legte dann der Verurteilte Verfassungsbeschwerde ein, weil er meinte, in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit verletzt zu sein. Und diese Beschwerde hielt nun das Bundesverfassungsgericht für offensichtlich unbegründet und nahm sie deshalb erst gar nicht an.

Meinungsfreiheit

Dazu führt das Gericht aus:

1. Die strafrechtliche Sanktionierung wegen der von den Fachgerichten als wertende Stellungnahme eingeordneten Äußerungen des Beschwerdeführers greift in dessen Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ein.

Aber – und das wird so gerne von den Helden der Meinungsfreiheit übersehen – solche Eingriffe sind nicht per se unzulässig. Man darf eben nicht alles zum Besten geben, was einem so durch den Kopf geht.

2. Dieser Grundrechtseingriff ist jedoch gerechtfertigt.

a) Nach Art. 5 Abs. 2 GG unterliegt das Grundrecht der Meinungsfreiheit insbesondere den Schranken, die sich aus den allgemeinen Gesetzen ergeben. Eingriffe müssen danach formell auf ein allgemeines, nicht gegen eine bestimmte Meinung gerichtetes Gesetz gestützt sein, und materiell in Blick auf die Meinungsfreiheit als für die demokratische Ordnung grundlegendes Kommunikationsgrundrecht den Verhältnismäßigkeitsanforderungen genügen.

Was das Landgericht allerdings zu Unrecht angenommen hatte, war, dass es hier glaubte, dass das Bundesverfassungsgericht in Bezug auf die Verherrlichung der Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus eine Ausnahme vom Allgemeinheitserfordernis des Art. 5 Abs. 2 GG anerkennt und der Angeklagte deshalb schuldig zu sprechen gewesen sei. Das mit der Ausnahme vom Allgemeinheitsprinzip ist zwar grundsätzlich in § 130 Abs. 4 StGB so, wenn es um die Verherrlichung des Nationalsozialismus geht; hier ging es aber schlicht und ergreifend um das ganz allgemeine Verbot der Volksverhetzung. Und gegen das – das bei jeder Minderheit, nicht aber bei der Mehrheit, möglich ist – hatte der verurteilte Neonazi nun einmal verstoßen.

Demgegenüber gilt für Äußerungen mit Bezug auf den Nationalsozialismus keine allgemeine und insbesondere keine materielle Ausnahme von den Anforderungen an meinungsbeschränkende Gesetze. Das Grundgesetz kennt kein allgemeines antinationalsozialistisches Grundprinzip, das ein Verbot der Verbreitung rechtsradikalen oder auch nationalsozialistischen Gedankenguts schon in Bezug auf die geistige Wirkung seines Inhalts erlaubte. Vielmehr gelten hier die allgemeinen Anforderungen für Eingriffe in die Meinungsfreiheit. Dabei gewährleistet Art. 5 Abs. 1 und 2 GG die Freiheit der Meinung als Geistesfreiheit unabhängig von der inhaltlichen Bewertung ihrer Richtigkeit oder Gefährlichkeit. Art. 5 Abs. 1 und 2 GG erlaubt nicht den staatlichen Zugriff auf die Gesinnung, sondern ermächtigt erst dann zum Eingriff, wenn Meinungsäußerungen die rein geistige Sphäre des Für-richtig-Haltens verlassen und in Rechtsgutverletzungen oder erkennbar in Gefährdungslagen umschlagen (BVerfGE 124, 300 <330>). Dies ist der Fall, wenn sie den öffentlichen Frieden als Friedlichkeit der öffentlichen Auseinandersetzung gefährden und so den Übergang zu Aggression oder Rechtsbruch markieren (vgl. BVerfGE 124, 300 <335>).

Gewaltaufruf nicht erforderlich

Und das wird hier vom BVerfG bestätigt, obwohl der Angeklagte gar nicht offen zur Gewalt gegen Juden aufgerufen hat.

Für die Beurteilung von Äußerungen ist nach allgemeinen Grundsätzen ihre konkrete Wirkung im jeweiligen Kontext in Betracht zu nehmen. Dabei gebieten die besonderen Erfahrungen der deutschen Geschichte, insbesondere die damals durch zielgerichtete und systematische Hetze und Boykottaufrufe eingeleitete und begleitete Entrechtung und systematische Ermordung der jüdischen Bevölkerung Deutschlands und Europas, eine gesteigerte Sensibilität im Umgang mit der abwertenden Bezeichnung eines anderen als „Juden“, zumal wenn sie durch weitere pejorative Zusätze ergänzt wird. Insoweit wird in der Regel zu prüfen sein, ob hierin eine die Friedlichkeitsgrenze überschreitende Aggression liegt. Je nach Begleitumständen im Einzelfall, insbesondere wenn die sich äußernde Person ersichtlich auf eine Stimmungsmache gegen die jüdische Bevölkerung zielt, sich in der Äußerung mit der nationalsozialistischen Rassenideologie identifiziert oder die Äußerungen sonst damit in direktem Zusammenhang stehen, kann darin eine menschenverachtende Art der hetzerischen Stigmatisierung von Juden und damit implizit verbunden auch eine Aufforderung an andere liegen, sie zu diskriminieren und zu schikanieren (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 6. September 2000 – 1 BvR 1056/95 -, Rn. 40; BGHSt 40, 97 <100>). Maßgeblich für die Beurteilung einer Äußerung bleibt allerdings diese selbst und ihr unmittelbarer Kontext, nicht die innere Haltung oder die parteiliche Programmatik, die möglicherweise den Hintergrund einer Äußerung bilden (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 15. Mai 2019 – 1 BvQ 43/19 -, Rn. 11).

Das Gericht stellt hier fest, dass die Instanzgerichte diese Maßstäbe richtig angewendet haben.

Die Gerichte haben ihre Bewertung der bestraften Äußerungen als ein Aufstacheln zum Hass gegen die jüdische Bevölkerung eingehend und differenziert begründet. Dabei haben sie sich insbesondere nicht auf die allgemeine ideologische Ausrichtung des Beschwerdeführers und der von ihm mitvertretenen Partei DIE RECHTE, sondern auf die Äußerung selbst gestützt. Im Einzelnen haben sie nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass das Ziel des Beschwerdeführers, zum Hass mittels Bezugnahme auf gegen die jüdische Bevölkerung gerichtetes nationalsozialistisches Gedankengut und Methoden aufzustacheln, insbesondere aus der Verwendung von seitens der nationalsozialistischen antisemitischen Propaganda verwendeter Termini („frecher Jude“), aus der positiven Hervorhebung der „Männer der Waffen-SS“ und aus dem unmittelbar an die Äußerung angeschlossenen Boykottaufruf gegenüber der vom Betroffenen geleiteten jüdischen Gemeinde deutlich wurde. Die zum Hass gegen die jüdische Bevölkerung aufstachelnde Stoßrichtung der Äußerung wird auch durch die Einbettung der Äußerung in den Vorwurf eines angeblich besonders ausgeprägten Einflusses jüdischer Organisationen auf die Politik in Deutschland, die ersichtlich den Topos einer angeblichen jüdischen Weltverschwörung aufgreifen soll, klar kenntlich. Schließlich weist das Landgericht zutreffend darauf hin, dass die auf die Äußerung folgende Ankündigung, den Einfluss jüdischer Organisationen auf die deutsche Politik „in allerkürzester Zeit auf genau Null reduzieren“ zu wollen, in ihrer Militanz an nationalsozialistische Vernichtungsrhetorik anknüpft.

Wichtig ist zu beachten, dass die Gesinnung des Angeklagten für die Strafbarkeit  gar keine Rolle spielt. Der darf soviel Nazi sein, wie andere Friedensaktivisten oder bekennende Puffgänger sind. Nicht auf den Matsch in der Birne des Angeklagten kommt es an, sondern auf den Matsch, der aus der Birne in Richtung Öffentlichkeit strömt.

In § 130 Abs 1 StGB heißt es:

§ 130 Volksverhetzung

(1) Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören,

1.
gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung zum Hass aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordert ….wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

Gefährdung der Friedlichkeit

Dass der Angeklagte das gemacht hat, bezweifelt des Bundesverfassungsgericht nicht.

Derartige verbale Anlehnung mag in anderen Zusammenhängen zulässig sein; spezifisch gegen bestimmte Bevölkerungsteile, insbesondere die jüdische Bevölkerung gerichtet begründet sie aber aufgrund der historischen Erfahrung und Realität eines solchen Unterfangens einen konkret drohenden Charakter, trägt die Gefahr in sich, die politische Auseinandersetzung ins Feindselige und Unfriedliche umkippen zu lassen und gefährdet damit – zumal wegen der Verlautbarung gegenüber einem unbegrenzten Personenkreis im Internet – deren grundlegende Friedlichkeit. Eben dagegen schützt der Tatbestand der Volksverhetzung nach § 130 Abs. 1 StGB.

Ob das nun dem Angeklagten eine Lehre sein mag, weiß ich nicht. Er scheint mir angesichts einer ganzen Reihe von Vorstrafen eher zu den unbelehrbaren „Überzeugungstätern“ wie Ursula Haverbeck zu gehören, die sich irgendwann dafür entschieden haben, für ihre Überzeugung den Großteil ihrer Zeit im Knast zu verbringen. In der Szene macht sie das zu Märtyrern, und ob diese Haftstrafen tatsächlich der Weisheit letzter Schluss sind, weiß ich auch nicht, denn sie führen ja offenbar nicht zu einer Verhaltensänderung, sondern allenfalls zu einer weiteren Radikalisierung. Krolzig gehört nicht zu den bildungsfernen Dumpfbirnen, sondern hat ein erstes juristisches Staatsexamen bestanden. Zu einem zweiten Staatsexamen kam es nur deshalb nicht, weil das OVG entschied, dass er das für das zweite Staatsexamen erforderlich Referendariat wegen zahlreiche Vorstrafen nicht antreten darf. Für einen Ausbildungsgang, der zum Richteramt befähige, sei Krolzig „unwürdig und charakterlich nicht geeignet“. Schauen wir mal, ob sich an seinem Verhalten nach Verbüßung der Haftstrafe etwas ändert. Ich glaub nicht dran. Dennoch ist es gut, dass das Bundesverfassungsgericht hier noch einmal klar die Grenzen der Meinungsfreiheit im Hinblick auf die Volksverhetzung gezogen hat.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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