Liebeserklärung in As-Dur oder Die Liebe in Zeiten der Corona

Clemens Haas über Felix Mendelssohn-Bartholdy und die Liebe in As-Dur.


Bild von Gerd Altmann auf Pixabay
Wie ich neulich so müßig auf der Couch lümmelnd in youtube rumzappe (stay the fuck home!), stoße ich auf ein von mir Jahrzehnte vergessenes Stück, das mich aus reiner Schönheit zutiefst erschüttert: Das Lied ohne Worte op. 38 Nr. 6 von Felix Mendelssohn-Bartholdy, und ich denke: „WTF! Schon wieder As-Dur!“ Ich denke das, weil so viele „Liebeslieder“ ausgerechnet in As-Dur sind.

Ich weiss nicht, wie´s Ihnen geht mit den Tonarten, wenn Sie lesen „Symphonie in C“, „Symphonie in Es“ etc. Es könnte doch eigentlich total schnurz sein, in welcher Tonart irgendwas geschrieben ist, und diese Meinung finde ich auch bei einigen befreundeten Profi-Musikern. Aber vertrauen Sie mir, obwohl ich keine Ahnung habe, warum: Doch, das spielt eine Rolle. C-Dur hat eine total andere Klangfarbe als das direkt benachbarte Des-Dur. Überhaupt, „Klangfarbe“, ich weiss gar nicht, wer diesen Begriff erfunden hat, aber er trifft als Metapher ganz gut. d-moll ist düster, das eignet sich für Sachen, die echt scheisse sind wie etwa der Tod, also z.B. für Requien, D-Dur ist hell, strahlend, (für mich sonnengelb), also super für Krönungszeremonien. Bei einem Weihnachtsessen der Klavierklasse meiner Professorin fragte sie mal ein Kommilitone: Welche Farbe hat denn für Sie B-Dur? Ich dachte: beige, und sie sagte: beige. Ok, könnte auch ocker sein oder bernstein, das hängt dann etwas vom Kontext ab, aber niemals und niemals ist B-Dur hellblau. Wie gesagt: Ich habe nicht die allergeringste Ahnung, woran das liegt oder wie ich das halbwegs rational erklären soll, aber es funktioniert. Meine Professorin sagte mal bei einem Brahms-Intermezzo: Nee, denk mal die linke Hand dunkelgrün, und ich wusste genau, was sie meint.

Und bei Liebesliedern funktioniert: As-Dur.

Aber hören Sie selbst. Wir beginnen nicht mit Mendelssohn, sondern mit dem ultrabekannten Liebestraum Nr. 3 von Franz Liszt.

In As-Dur.

 

Es gibt drei Liebesträume von Liszt, Nr. 1 und 3 sind in As-Dur, wie es sich geziemt, Nr. 2 aber ist in E-Dur. E-Dur! Ein Frevel! Ein Frevel? Dazu später.

Jetzt aber das Lied ohne Worte op. 38 Nr. 6 von Mendelssohn-Bartholdy. In As-Dur. Zunächst gespielt von Murray Perahia.

Und gleich noch eine total andere Interpretation von Emil Gilels.

Dieses Lied ohne Worte hat Mendelssohn als Hochzeitsgeschenk für seine Braut Cecile Jeanrenaud geschrieben, wofür ich zwar auf die Husche keinen belastbaren Beleg finde, aber es trotzdem glaube.

Ebenfalls als Hochzeitgeschenk für seine Braut Clara Wieck hat Robert Schumann seine „Widmung“ geschrieben, hier in einer Transkription für Klavier von Franz Liszt. Ursprünglich war das aber ein Lied mit Worten. Nämlich mit diesen hier:

Du meine Seele, du mein Herz,
Du meine Wonn‘, o du mein Schmerz,
Du meine Welt, in der ich lebe,
Mein Himmel du, darein ich schwebe,
O du mein Grab, in das hinab
Ich ewig meinen Kummer gab.

Du bist die Ruh, du bist der Frieden,
Du bist vom Himmel mir beschieden.
Dass du mich liebst, macht mich mir wert,
Dein Blick hat mich vor mir verklärt,
Du hebst mich liebend über mich,
Mein guter Geist, mein bessres Ich!

Du meine Seele, du mein Herz,
Du meine Wonn‘, o du mein Schmerz,
Du meine Welt, in der ich lebe,
Mein Himmel du, darein ich schwebe,
Mein guter Geist, mein bessres Ich!

In As-Dur.

 

Ich weiss ich weiss, das kennen Sie schon von mir, aber das kann man gar nicht oft genug hören.

Für die gleiche Frau, die da allerdings nicht mehr Clara Wieck hieß, sondern schon Clara Schumann, hat Johannes Brahms den zweiten Satz seiner Klaviersonate 3 geschrieben (zweiter Satz ab 11:40). Das ist natürlich als Klavierstück auch sozusagen ein Lied ohne Worte, dennoch stellt Brahms dem zweiten Satz ein Text voran:

Der Abend dämmert, das Mondlicht scheint
da sind zwei Herzen in Liebe vereint
und halten sich selig umfangen

In As-Dur.

 

Und Beethoven, unser Jubilar? Da gucken wir uns mal den zweiten Satz an aus der „Pathetique“-Sonate. (ab 8:30)

In As-Dur.

 

Na? Kein Text, es steht auch nix dabei, ich weiß auch nix darüber, ob Beethoven da gerade verknallt war, aber hören Sie es nicht auch?

Billy Joel zumindest scheint es auch gehört zu haben. Hier natürlich als Lied mit Worten:

This night is mine
It’s only you and I
Tomorrow is a long time away
This night can last forever

 

Allerdings war Billy Joel so frech, das nicht in der Originaltonart As-Dur zu singen, aber derartigen Frevel findet man auch zuhauf bei klassischen SängerInnen, weil´s ihnen halt jeweils besser in den persönlichen Stimmkram passt. Naja.

A propos Popmusik: Möchten Sie kurz noch mal hochscrollen zu Mendelssohn? In der Perahia-Aufnahme z.B. bei 2:09. Hören Sie da nicht auch „Falling in Love with you“?

Und gleich weiter mit Popmusik, aber zuerst das „Original“: Der zweite Satz aus dem Klavierkonzert Nr.2 von Rachmaninoff. Mein Vater sagte vor wenigen Jahren, dass er in diesem Satz sein gesamtes Leben abgebildet sieht, bei mir ist es eher der erste Satz. Zumindest so weit fällt der Apfel also vom Stamm. Und meine Leib- und Seel-Aufnahme ist die mit Sviatoslav Richter, die von meinem Vater ist mit Krystian Zimerman, und die hören wir jetzt auch.

 

Huch! Das ist ja gar nicht As-Dur! Sondern E-Dur! Wie beim frechen Liszt ganz oben mit seinem zweiten Liebestraum!

Ich hab da mal drüber nachgedacht bzw. besser: nachgefühlt. Und kam zu folgendem Ergebnis, das ich auch mit vielen weiteren Beispielen untermauern könnte, aber völlig unmöglich belastbar belegen oder eben rational erklären könnte: As-Dur für verliebte/unmittelbare/umarmende Liebe, E-Dur für nachdenkliche/retrospektive/transzendente Liebe.

Was wie, retrospektiv transzendent? Will er uns verarschen? Nein, will ich nicht.

Man kann´s aber auch populärer ausdrücken:

 

Und wie sieht´s bei Bach aus, der mit dem Wohltemperierten Klavier das Tonarten-Ding gleich zweimal durchexerziert hat? Hören wir Präludium und Fuge As-Dur aus dem zweiten Teil mit der wunderbaren Angela Hewitt, die aus mir nicht erklärbaren Gründen nicht zu den absoluten Topstars zählt.

 

Das ist in derartigem Maß transzendent, dass wir darüber schweigen müssen, weil nicht sprechen können. Was ich hiermit tue.

Wir enden pflichtgemäß mit Trifonov und der Etüde op. 25 Nr. 1 von Frederic Chopin, der sogenannten Harfenetüde. Also ein Werk, das vordergründig dazu dient, die Motorik und Muskulatur des Ausübenden zu trainieren. Aber ich bin ganz zuversichtlich, dass Sie dahinter auch Liebe erkennen, Verliebte/unmittelbare/umarmende Liebe.

In As-Dur.

STAY THE FUCK HOME!

Clemens Haas

Clemens Haas, geb. 1968, hat Mathematik und Philosophie durchaus studiert mit eifrigem Bemühn, dann aber doch zurück gefunden zur ersten Liebe, Klavier und Tonmeisterei und dieses Studium dann auch abgeschlossen. Er arbeitet als freier Toningenieur und Komponist für ÖR und private Rundfunk- und Fernsehanstalten und für die Werbeindustrie.

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