Gemeinsame Zukunft

Die Liberalen begrüßen Wirtschaftsmigranten. Das ist angesichts der aufgeheizten Stimmung sehr mutig. Und richtig: Deutschland muss beherzt ein Einwanderungsgesetz verabschieden, um sich für die Zukunft gut aufzustellen und dem rechten Populismus ein für alle mal Einhalt zu gebieten.


Einwanderung ist das Top-Thema des Wahlkampfs: Die Nachbereitung der Flüchtlingskrise aus dem Jahr 2015, die Politik der großen Koalition, die sich dazu entschieden hatte, rund einer Million Kriegsflüchtlingen Schutz in Deutschland zu gewähren. Ganz häufig geht es dabei darum, was Frau Merkel alles vermeintlich falsch gemacht hat, um den Schutz der Grenzen, um Aufnahmekapazität. Dabei wird in die Vergangenheit geblickt, nicht in die Zukunft. Die Angst vor der AfD ist genauso groß wie die Fantasielosigkeit in den beiden großen Parteien, das Thema Einwanderung nach vorne gewandt anzupacken.

Auch bei diesem Thema ist daher im Wahlkampf der Blick auf die Ideen der kleinen Parteien entscheidend, die um den dritten Platz am Wahlsonntag streiten. Hier fällt vor allem die FDP auf, die nicht nur, wie Grüne und Linkspartei, die Idee von Zuwanderung generell gutheißt, sondern Vorschläge macht, wie wie in Deutschland zum ersten Mal zu einer Definition von Einwanderung kommen, die den Namen verdient und dem Phänomen gerecht wird.

Da ist zu allererst der Wirtschaftsmigrant. Es ist den liberalen Demokraten auf das höchste anzurechnen, dass sie in einem so aufgeheizten Klima wie dem deutschen, davon sprechen, dass ein Einwanderungswunsch aus wirtschaftlichen Gründen erst einmal absolut nachzuvollziehen ist und in Ordnung geht. Mit den Wirtschafts-Migranten haben die Deutschen ja von jeher ein Problem, was sich darin ausdrückt, dass, wenn über diese Gattung Zuwanderer gesprochen wird, der Zusatz „nur“ verwendet wird. Jemand ist „nur“ Wirtschafts-Migrant.

Deutschland ist ein Einwanderungsland, der wirtschaftliche Erfolg der Nation wurde von Gastarbeitern mit ermöglicht. Das waren Menschen, deren Kinder noch in der dritten und vierten Generation gerne einmal gefragt werden, wo sie „wirklich“ oder „eigentlich“ herkommen. Klar ist: Deutschland kann nicht jeden aufnehmen, das fordert die FDP in ihrem Vorschlag ja auch nicht. Aber dass unser Land grundsätzlich bereit sein sollte, Qualifizierten, die deutsch erlernen, sich integrieren und als unbescholtene Steuerzahler ihr Dasein fristen, ist das Gebot der Stunde. Das hat es mit der großen Koalition nicht gegeben und wird es auch nicht geben, da sich die Union außer Stande sieht, den Realitäten ins Auge zu blicken.

Wichtig ist auch, dass der Flüchtlingsstatus von dem des Asylsuchenden unterschieden wird. Beide wurde häufig und mit Absicht vermengt. Dabei ist es nicht dasselbe: wenn, wie im Falle Syriens, eine ganze Bevölkerung zum Verlassen ihres Landes gezwungen wird, dann ist das etwas anderes, wie wenn ein Individuum aufgrund seiner politischen Überzeugung gezwungen wird, das Land zu verlassen. Wir sehen im Moment eine steigende Zahl von Asylanträgen aus der Türkei. In dem Land sind ehemalige Staatsbedienstete, Journalisten und Universitätsprofessoren wegen des Gegenputsches von Herrn Erdoğan in Bedrängnis.

Das Interview, das FDP-Chef Christian Lindern der Bild gegeben und in dem er das Konzept der Liberalen der Einwanderung vorgestellt hat, wurde verkürzt auf die Aussage, dass Flüchtlinge nach Ende des Krieges in ihrer Heimat das Land wieder verlassen müssten. Das schlug hohe Wellen. Was dabei unter den Tisch fiel: jeder Flüchtling, der sich integriert hat, der deutsch spricht, der eine Arbeit hat, kann einen Antrag auf Zuwanderung stellen, seinen Status wechseln und unter Umständen so in Deutschland bleiben.

Bei einer Wahlkampfveranstaltung in Rostock jüngst präzisierte Christian Lindner noch einmal: es sei nicht relevant, wo jemand herkommt, sondern wohin er mit uns gemeinsam gehen will. Das ist eine moderne Einwanderungspolitik, die einem Land wie Deutschland gut zu Gesicht stünde.

Alexander Görlach

Alexander Görlach ist In Defense of Democracy Affiliate Professor der F.D. Roosevelt Stiftung am College der Harvard Universität und Fellow am Center for Research in Arts, Social Sciences and Humanities an der Universität von Cambridge, UK. Der promovierte Theologe und Linguist ist zudem Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Relations und Senior Advisor des Berggruen Instituts. Er arbeitet zu Themen von liberaler Demokratie, Politik und Religion, Säkularismus und Pluralismus sowie den Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz auf die Gesellschaft. Görlach ist der Gründungsherausgeber des Debatten-Magazins The European, das er von 2009-2016 auch als Chefredakteur geleitet hat. Heute gibt er das Online-Magazin www.saveliberaldemocracy.com heraus und ist unter anderem Autor für die New York Times und die Neue Zürcher Zeitung.

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