Betreff: NetzDG – Der Bundestag braucht Zeit!

In politisch turbulenten Zeiten versucht die Bundesregierung ein Gesetz, das ausgerechnet die Meinungsfreiheit im Netz betrifft, im Eiltempo durchzudrücken. Macht der Bundestag dabei mit, bestätigt das die Kritik, der er sich von Populisten wie Politikverdrossenen ausgesetzt sieht. Ein solches Signal wäre fatal und verantwortungslos.


Warum die Bundesregierung
immer wieder an ihrer Machtfülle scheitert

Die Große Koalition hat viele Dinge gemacht, die gut klingen, aber nicht so recht klappen wollen. Da wäre etwa die zur Dauerbaustelle gewordene Energiewende, die Euro-Rettung oder die aus den Fugen geratene Grenzöffnung. Natürlich ist es gut, sich unabhängig von fossilen Energieträgern machen zu wollen, die Griechen auch geopolitisch langfristig an die Europäische Staatengemeinschaft zu binden oder die Flüchtlinge angesichts einer humanitären Notlage von den ungarischen Autobahnen geholt zu haben. Aber diese Projekte sind nicht zuletzt deshalb so in Verruf geraten, weil sie teilweise so hundsmiserabel konzipiert und umgesetzt wurden. Das liegt aber nicht etwa, wie manche meinen, an der Unfähigkeit von so genannten „Politikdarstellern“ oder der Korruptheit des Establishments. Die Große Koalition macht rein technisch betrachtet keine schlechte Regierungsarbeit, ihr fehlt es nur an politischem Widerspruch.

Das Problem ist nicht die Regierung, sondern die Opposition, genauer genommen ein im großkoalitionären Exekutivbürokratismus aus seiner angestammten Rolle als legislative Kraft gedrängtes Parlament. Der Bundestag muss im Krisenmanagement der Regierung, das schnelles Handeln erfordert, weil sie ständig zu spät dran ist, in der Regel Dinge abnicken, die von Partei- und Fraktionsvorsitzenden im ebenso informellen wie mächtigen „Koalitionsausschuss“ ausgemacht wurden. Dass man nicht in langwierigem parlamentarischen Zank stecken bleibt, wenn schwere Kompromisse geschlossen und dazu robuste Mehrheiten gebraucht werden, mag zu den Vorteilen großer Koalition gehören. Aber mindestens ein offenkundiger Nachteil ist, dass der Widerspruch und die Kritik fehlen, von denen man in Demokratien annimmt, dass der von ihnen ausgehende Druck gute Entscheidungen formt.

Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz aus dem Hause des Bundesjustizministers Heiko Maas kann von der Bedeutung her kaum in einem Atemzug mit der Eurorettung, dem Klimawandel oder der Flüchtlingskrise genannt werden. Aber die Art und Weise, wie dabei das Parlament ein ums andere Mal durch Zurückhaltung glänzte, ist symptomatisch für den Stil der Regierungen von Angela Merkel, und trägt auch hier wieder.

Nicht der Inhalt ist
das größte Problem, sondern die Zeit

Erinnert sich noch jemand an das Zugangserschwerungsgesetz von Ursula von der Leyen? Das wurde auch im Schnelldurchlauf am 22. April 2009 vom Kabinett gebilligt und dann am 18. Juni im Bundestag beschlossen. Danach folgte der Wahlkampf und das Gesetz wurde kurz darauf wieder kassiert. Damals ging es auch um die Meinungsfreiheit im Netz und die Angst vor Zensur. Inhaltliche Kritik war und bleibt in solchen Fällen schwierig, weil man dabei leicht in Verdacht gerät, sich hinter Kinderpornos oder fremdenfeindliche Hetze zu stellen.

Aber die inhaltliche Kritik an dem durchaus Mängel aufweisenden Gesetzentwurf von Maas ist nicht das größte Problem, ein gutes Gesetz zur Regulierung der sozialen Netzwerke ist möglich, sondern dass für diese Kritik nicht genügend Zeit bleibt. Vor der Sommerpause, die den endgültigen Beginn des Bundestagswahlkampfes markiert, verbleiben noch drei Sitzungswochen des Bundestages. In den Terminkalender müssen also noch zwei Lesungen gequetscht werden und eine Anhörung von Experten vor dem Ausschuss hätte das bürgerrechtlich sensible Thema auch verdient. Stattdessen muss das Gesetz hastig und am liebsten ohne große Diskussion durchgedrückt werden. Man nennt das „Nachbessern“.

Was auch immer nach- oder verschlimmbessert wird, es wird nichts an dem wirklich katastrophalen Signal ändern, dass in Zeiten politischer Kulturkämpfe Fragen der Meinungsfreiheit im Schweinsgalopp reglementiert werden. Abgesehen vom Sturm der Entrüstung der Rechten, die politisch korrekte Löschkommandos befürchten, dürften auch moderatere Milieus frustriert zur Kenntnis nehmen, dass der Bundestag so ziemlich alles beschließt, was ihm die Regierung serviert.

Abgeordnete sollten (zu) lange
beraten und damit ein Zeichen setzen

Immerhin hat neben der Opposition auch die CDU/CSU-Fraktion Änderungsbedarf angekündigt, was im Netz zunächst als Ablehnung der gesamten Gesetzesinitiative missverstanden wurde. Die Frage ist jetzt, wie eine intensive parlamentarische Beratung gelingen kann, in der jeder Zweifel ausgeräumt wird, dass es den Verantwortlichen wirklich ausschließlich darum geht zu verhindern, dass sich Betreiber sozialer Netzwerke von strafbaren aber populären Inhalten profitieren – und nicht darum, mit staatlicher Autorität unliebsame aber legale Äußerungen durch eine willkürliche Denunziations- und Zensurstruktur zu bekämpfen.

Sollte jedoch irgendein Zweifel oder auch nur ein schaler Beigeschmack bleiben, dass die Meinungsfreiheit eingeschränkt wird, weil die Parlamentarier nicht so genau hingesehen haben, wird das die demokratische Institution des Bundestages als solche beschädigen. Denn betroffen werden sich nicht nur eine erhebliche Menge von Menschen fühlen, die sich parlamentarisch ohnehin nicht mehr adäquat vertreten und in der ihnen verbleibenden Möglichkeit, politisch zu partizipieren, eingeschränkt sehen. Darüber hinaus wird man sich auch in der Breite fragen, wofür man überhaupt einen Bundestagsabgeordneten wählen soll, wenn der wiederum doch ohnehin keine andere Wahl hat, als die von der Regierung als alternativlos deklarierten Gesetze durchzuwinken.

Daher sollten alle, egal aus welchen Gründen sie wie zum Netzwerkdurchsetzungsgesetz stehen, denen die parlamentarische Demokratie am Herzen liegt, ihren Abgeordneten schreiben und an deren Ehre appellieren: Gerade bei Fragen der Meinungsfreiheit ist die Souveränität der Parlamentarier und ihre Nähe zur Bevölkerung gefragt. Sie sollten die Chance haben und nutzen, sich in ihren Wahlkreisen umzuhören und intensive Diskussionen zu führen.

Und allein schon deshalb, weil der Zeitplan dergleichen nicht mehr zu lässt, sollten sie ein Zeichen setzen und die Debatte so intensiv führen, dass es in dieser Legislaturperiode mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz nichts mehr wird. Und das nicht etwa, weil es so ein Gesetz nicht bräuchte, sondern weil der Bundestag aus der Vergangenheit gelernt hat und sich allein schon aus Prinzip nicht mehr hetzen lässt.

Philipp Mauch

Philipp Mauch ist von Berufs wegen Stratege für Regulierungsmanagement in der Konsumgüterindustrie. Als Stipendiat der Hanns-Seidel-Stiftung hat er über Nietzsche promoviert – eine Kombination, die er als Ausweis seines liberal-konservativen Nonkonformismus verstanden wissen möchte. In seinem Blog „Variationen der Alternativlosigkeit“ grübelt er über Deutschlands politische Kultur.

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